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Bauhaus-Fotografie: Vorne lang, hinten kurz

Die Galerie Kicken gratuliert dem Bauhaus mit einer erlesenen Fotoausstellung zum 90. Geburtstag.

Wie jung sie waren, und wie verwegen sie aussahen. Das Gruppenfoto, das Louis Held im Juni 1924 bei einem Bauhausfest im Ilmschlösschen, einem Ausflugslokal bei Weimar, machte, zeigt rund fünfzig Studenten und Studentinnen in demonstrativer Ausgelassenheit. Die Männer tragen weiße Oberhemden und dünne schwarze Krawatten, ihre strähnigen Volahiku-Frisuren nehmen den New-Wave-Look der achtziger Jahre vorweg. Die Frauen zeigen sich in Reformkleidern und mit Bubiköpfen, einige sind kostümiert. Schilder werden hochgehalten, auf denen „Gemütsbewegung“ und „Leidenschaft“ steht.

Das Bauhaus wollte „den neuen Bau der Zukunft“, ein „kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“ erschaffen, wie es Walter Gropius in seinem Gründungsmanifest forderte. Nebenher war aber noch genügend Zeit für rauschende Feste. Das Programm der Kunst-, Design- und Architekturschule folgte einem strengen Modernismus, doch der Alltag dort muss eher leger gewesen sein. Es gab Fußballturniere und eine Jazzkapelle, die Faschingsbälle waren legendär. Von diesem Leben erzählen die Schnappschüsse, auf denen die Bauhaus-Schüler ihren Alltag dokumentiert haben. Einige davon sind in der Fotoausstellung „Happy Birthday Bauhaus!“ zu sehen, mit der die Galerie Kicken parallel zur großen Retrospektive im Martin-Gropius-Bau an die Gründung der Schule vor 90 Jahren erinnert.

Auf einer Aufnahme von Grit Kallin-Fischer liegt ein Student langgestreckt beim Sonnenbad auf der Mensa-Terrasse des Dessauer Bauhausgebäudes, neben ihm der Schatten der Fotografin, die in ihre Boxkamera starrt. Gerd Balzer zeigt in steiler Draufsicht Bauhaus-Schüler an einem Geländer, ihre Köpfe fügen sich zu einem zickzackförmigen Band in einer geometrischen Komposition. Es sind unspektakuläre Bilder, in denen aber dennoch der Geist der Avantgarde zu spüren ist. Den eigenen Schatten festzuhalten, dass ist ein Kniff, der der forcierten Subjektivität des „Neuen Sehens“ der zwanziger Jahre entspricht. Und das Spiel mit den stürzenden Linien und schrägen Perspektiven hatten die Bauhäusler von der sowjetischen Revolutionsfotografie übernommen.

Die Ausstellung umfasst gut vierzig Fotos, durchweg Vintage-Prints, von erlesener Qualität. Vertreten ist das gesamte Repertoire der Bauhaus-Fotografie: Porträts, Stillleben, Reportage-, Architektur- und Werbeaufnahmen, Fotogramme und andere Experimente. Bauhaus-Fotos sind rar und begehrt, die Preise liegen zwischen 2000 und 150 000 Euro. Das teuerste Bild stammt vom Bauhaus-Schüler Otto Umbehr, der anschließend als Umbo zu einem der berühmtesten Fotoreporter der Weimarer Republik aufstieg. Eine Idylle: ein Spielplatz, von weit oben aufgenommen, auf dem Kinder um eine Nonne herumklettern, schaukeln, toben. Weil Umbos Archiv im Berliner Bombenkrieg verbrannte, gelten manche seiner frühen Vintage-Prints als Unikate.

Fotografie war am Bauhaus von Anfang an wichtig, doch erst 1929 wurde ein Fotokurs unter der Leitung von Walter Peterhans eingerichtet. Bis dahin war es vor allem László Moholy-Nagy gewesen, der sich für das Medium stark gemacht hatte. Von ihm ist ein großformatiges Fotogramm zu sehen, die grauschwarze, so enigmatisch wie erhaben anmutende Aufnahme eines kreisförmigen Gebildes. Moholy-Nagy lobte den „technischen Blick“ der Kameralinse und befand: „Wir besitzen in dem fotografischen Apparat das verlässlichste Hilfsmittel zu Anfängen eines objektiven Sehens.“

Mit dieser Heilserwartung verkörperte der ungarische Konstruktivist den ästhetischen Gegenpol zu Peterhans, für den Fotografie vor allem ein Handwerk war. Ihm ging es darum, die Dingwelt ganz utopiefrei in größtmöglicher Präzision abzubilden. Peterhans, der Ingenieurwesen, Mathematik und Philosophie studiert und dann ein erfolgreiches Fotostudio gegründet hatte, ist mit einem peniblen Stillleben vertreten, das einen Hering, abgenagte Gräten, Brot und Zitronenscheiben vereint. Titel: „Karfreitagszauber“. Schöner hätte selbst ein holländischer Maler des 17. Jahrhunderts die Vanitas-Symbole nicht arrangieren können.

Galerie Kicken, Linienstr. 161 a, bis 19. Dezember, Di–Sa 14–18 Uhr.

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