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George Grosz: Staatsfeind Nummer eins

Das umstrittene Spätwerk des Staatsfeindes in der Galerie Nolan Judin: Zunächst sollten es nur Papierarbeiten sein. Aber als sich abzeichnete, dass sich zum 50. Todestag von George Grosz (1893 bis 1959) keine Institution des großen Künstlers erinnern würde, nahm die Ausstellung museale Ausmaße an.

Über hundert Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen präsentiert nun die Galerie Nolan Judin unter dem Titel „The Years in America, 1933 – 1958“. Doch schon gibt es Krach. Nicht wegen der bemerkenswerten Ausstellung, bei der selbst Museumsgranden ins Staunen gerieten, so wenig hatten sie über das künstlerische Weiterleben des Malers nach seiner Weimarer Zeit gewusst, das immerhin doppelt so lang währte.

Es geht um Bilder seiner großen Phase als berühmt-berüchtigter Kritiker von Nazischergen, Großkapital und Kirche auf Papier und Leinwand, die Grosz im Januar 1933 bei seiner Übersiedlung in die USA bei seinem Galeristen Alfred Flechtheim in Deutschland zurückgelassen hatte. Nachdem der jüdische Kunsthändler fliehen musste, verliert sich die Spur der siebzig Werke in Amsterdam. Manches hat Nachlassverwalter Ralph Jentsch wieder aufgespürt, das „Bildnis des Dichters Max Hermann-Neiße“ im New Yorker Museum of Modern Art, „Pompe de funèbre“ sowie „Stillleben mit Okarina“ in der Bremer Kunsthalle oder „Andenken – Das Bündnis“ im Wiener Museum Moderner Kunst.

Doch herausgeben wollen die Museen ihre Schätze nicht; sie sehen sich als deren rechtmäßige Besitzer. Der Wunsch des in Amerika lebenden Sohnes Marty und dessen Schwägerin Lillian, ihrem Vater – ob in New York oder Berlin – ein eigenes Museum zu widmen, in das die restituierten Bilder eingebracht werden sollen, erweicht die Direktoren jedoch nicht. Noch hoffen die Erben auf eine „gerechte und faire Lösung“, wie sie die Washingtoner Konferenz 1998 in solchen Fällen anmahnt. Doch Jentsch kreuzt bereits die Klingen mit Wulf Herzogenrath von der Kunsthalle Bremen, dem er nun mit Rechtsanwalt droht. In der Ausstellung bei Nolan Judin jedenfalls zeigt sich, was neben den bekannten Spitzenwerken die eigentliche Grundlage dieses Museums wäre: der andere George Grosz.

An dessen Vergessen hatte auch der Künstler selber schuld, für den die Anstellung als Lehrer an der Art Students League in New York ein willkommener Bruch mit seinem bisherigen Schaffen bot, seiner Festlegung als meistgehasster Stimme der Kritik. Nicht zuletzt aus Angst brach er die Kontakte nach Deutschland ab. Selbst auf Angebote einer Zusammenarbeit mit Bert Brecht ging er nicht mehr ein. Zwar wurde Grosz von den Amerikanern geschätzt und als Zelebrität etwa bei Essen der Rockefellers herumgereicht, der erhoffte kommerzielle Erfolg blieb jedoch aus.

Die Arbeit als Lehrer begann ihn zu quälen, die Illustrationen für „Esquire“ oder „Harper’s Bazaar“ wurden zu seinem Verdruss nur briefmarkengroß abgedruckt. Außerdem stellten sich die alten Schrecken wieder durch die Nachricht vom KZ-Tod seines Freundes ein, dem Dichter Erich Mühsam, durch die quälenden Berichte des Schriftstellers Hans Borchardt, der nach seiner Rettung aus dieser Hölle zunächst bei Grosz Unterschlupf fand.

Doch nun malte der Künstler seine Alpträume in Farbe. Eines seiner stärksten Gemälde war erst jüngst in der „Kassandra“-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin zu sehen. In „Kain oder Hitler in der Hölle“ (1944) hockt seine schlimmste Horrorfigur vor blutrotem Himmel auf einem Stein und versucht sich mit einem Schwamm das Kainsmal von der Stirn zu wischen. Rechts von Hitler liegt der erschlagene Abel hingestreckt, zu seinen Füßen klettern Miniaturgerippe übereinander, die Millionen Opfer des Krieges und der Konzentrationslager, die in einer früheren Version des Bildes mit Wachtürmen und Stacheldraht noch konkret angedeutet waren. Der Blick Hitlers aber fällt auf die schräg stehende Signatur des Künstlers, der sich selbst im Exil als erklärter „Staatsfeind Nummer eins“ vor Verfolgungen fürchtete. Mit dem Kriegsende hörte für den zunehmend depressiven und schwer alkoholsüchtigen Künstler der Wahn jedoch nicht auf. Die Drohung einer nuklearen Katastrophe erweckten die „Stickmen“ in seinen Gemälden zum Leben, ausgehöhlte blecherne Figuren, die sich wie Aliens durch ein Inferno bewegen.

Das von Klaus Mann in die Welt gesetzte Verdikt, Grosz male nur noch Landschaften und Nackte, jene unseligen Aktdarstellungen seiner Ehefrau und Muse Eva in den Dünen, stimmt also nicht. Es gab ihn noch, den scharf beobachtenden, politisch wachen Künstler, nicht nur den vermeintlich kitschig und kraftlos gewordenen Maler der Cape-Cod-Bilder. Die Qualität der giftigen Farben, der schlierigen Malerei aber wird erst heute gesehen, mit dem Wissen um die Entwicklung dieser Gattung, die Gemälde eines Yves Tanguy, Wols oder Matta. Während der Hochphase des Abstrakten Expressionismus aber waren solche Bilder nicht gern gesehen, sie wurden weggesperrt und gerieten in Vergessenheit.

Der bisherige Erfolg der Ausstellung gibt Juerg Judins Rehabilitation recht: ein Viertel der zwischen 8000 und 28 000 Euro teuren Zeichnungen ist bereits verkauft, bei den Gemälden (120 000 bis 1,2 Mio. Euro) könnte es besser laufen, gesteht der Schweizer Kunsthändler ein, der im vergangenen Herbst zusammen mit seinem amerikanischen Partner David Nolan die Galerie in der Heidestraße eröffnete, genau mit Ausbruch der Finanzkrise. Der einstige Kinobetreiber und Immobilienentwickler, der auch die Dependance von Haunch of Venison in Berlin begründete, nimmt es mit Gelassenheit. Zum umso stärker beachteten Einstieg wurde ihm der spektakuläre Umbau einer Fünfziger-Jahre-Tankstelle in der Bülowstraße zu Wohnhaus und Außenstelle der Galerie. Dort schließt Judin gerade die im Hatje Cantz-Verlag im Juni erscheinende Grosz-Monografie über die amerikanischen Jahre ab. Noch ist der Künstler nicht vollständig zurückgekehrt, der Streit ums Erbe geht weiter.

Galerie Nolan Judin, Heidestr. 50, bis 25. 4.; Di bis Sa 11-18 Uhr.

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