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Umringt. Die Arbeit „Proximity of Imperfect Figures“, 2015, von Mwangi Hutter in der Ausstellung „The Repetition of The Good ...“ im Centrum Judaicum.

© Marcus Schneider

Ausstellungen im Sakralraum: Es werde Kunst!

Strickstrümpfe für die Seele und eine Prozession knallroter, buddhistischer Mönche: Zwei Ausstellungen im Centrum Judaicum und in der St.-Adalbert-Kirche Berlin lassen Kunst im Sakralraum wirken.

Da glänzt echtes Gold. Was auf Ikonen und mittelalterlichen Altargemälden einen Abglanz himmlischer Heiligkeit ins Bild holt, nutzt die polnischstämmige Alicja Kwade, um schnöde Kohlebriketts zu veredeln. Warenwerte und Bodenschätze sind beide, Kohle wie Gold. Ordentlich gestapelt verkörpern die schimmernden Barren geballte Finanzkraft, kapitalistische Wirtschaftsstruktur. Gut oder Böse? Die Ausstellung „The Repetition of the Good. The Repetition of the Bad“ im Centrum Judaicum macht keine klaren Grenzen auf. Statt eindeutig Hell und Dunkel zu kontrastieren, beharren die ausgestellten Arbeiten von 15 Künstlern auf Zwischentönen, Vagheiten, Doppelsinn.

Die Schau fügt sich in den elfteiligen Ausstellungsreigen „Sein.Antlitz.Körper“ des Kurators Alexander Ochs, der im Frühjahr gestartet wurde und noch bis Ende des Jahres diverse Berliner Kirchen mit neuer Kunst bestückt. Das Unterfangen erprobt deren Wirkungsaura im osmotischen Wechselspiel. Nicht um explizit religiöse Kunst geht es. Aber Bezüge und Assoziationen ploppen auf. Die Dornenkrone Christi und die Pfeile des Heiligen Sebastian hat die Künstlerin Claudia Schink in mundgeblasenem Glas nachgebildet: durchsichtige Passionsikonografie als zerbrechlich-prekäres Bedeutungsspiel. Schinks Arbeit bringt den unheiligen Konnex von Gewalt und Glauben aufs Tapet, der die Geschichte der Weltreligionen trotz aller Friedensbotschaften durchzieht. Hier in der ehemaligen Synagoge schlägt ihre Arbeit den Bogen zu einer großen Tafel, die die Namen in der NS-Zeit ermordeter Berliner Juden verzeichnet.

Intellektuelle Sprengsätze zum freien Assoziieren

Den großen runden Kuppelraum hingegen verwandeln schwarze Wandtafelzeichnungen von John Young nun in einen temporären Gedenkraum für Oskar Schindler, Dietrich Bonhoeffer und den weit unbekannteren John Rabe, der in China 200 000 Menschen während der NS-Zeit das Leben rettete. Eine ganz andere Art von Denktafeln kreiert Michael Endlich mit seinen „Dramenblechen“. Die schnörkellosen Metallschilder versammeln im knappen Dreisatz unterschiedliche Begriffe. „Orgasmus Sündenfall Autonomie“ oder „Urknall Virus Religion“ liest man da. Es sind intellektuelle Sprengsätze zum freien Assoziieren.

Nicht friedlich-transzendentale Themen, sondern sehr irdische, reale Ängste adressieren die Werke dieser Ausstellung. Sie thematisieren Gewalt, Tod, Alter, Terror und Eros. Aber sie tun es ohne Schockeffekte, auf zarte, sanfte, kontemplative Weise. Als Gegenmittel und Trost bieten sich die handgestrickten, kleinen „Clothes for a freezing soul“ von Daniel Amin Zaman an: Wärmespender als Strickstrumpf für die Seele.

Voller Widersprüche und Absurditäten

Der nächste Ausstellungsort liegt nicht weit entfernt in der Torstraße. Auf dem Weg dort sinniert man über den Titel „Reductio ad“. Da scheint es um Reduktion zu gehen. Aber welcher Art? Vervollständigen lässt sich die lateinische Wendung zu „Reductio ad absurdum“. Dieser Begriff meint eine Denkfigur der Logik, bei der man eine Aussage widerlegt, indem man sie ins Gegenteil verkehrt und dieses ad absurdum führt. Die Kirche St. Adalbert selbst jedenfalls steckt voller Widersprüche und Absurditäten. 1932/33 wurde der kleine Backsteinbau als katholische Großstadtkirche auf dem Gelände einer ehemaligen jüdischen Margarinefabrik errichtet. Von der Straße aus macht sich der Baukörper fast unsichtbar, liegt im Hinterhof. Im Inneren irritiert er mit verschobener Symmetrieachse und beherbergt ein Riesenkruzifix, das aus Pappmaché besteht und zuvor wohl Filmrequisit war. Als Geschenk von Luis Trenker kam es her.

Die gemalten Sterne in der Apsis verschwanden schon zu DDR-Zeiten. Sterne hat auch der Künstler Darren Almond als Farbpunkte auf schwarzes Raster getupft, als halb abstrakter Reflex auf den Sternenhimmel Patagoniens. Auch die Berliner Künstlerin Birgit Waldach zeichnete Sterne. Sie prangen auf dem gotischen Netzgewölbe der Pariser Kathedrale Notre-Dame in der perfekt konstruierten, schönen Architekturzeichnung Waldachs. Wörter und Sätze legen sich darüber. Victor Hugos Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ regte Waldachs Werkserie an. Aber die Bezüge dieser Werke zum Ausstellungsort bleiben im Formalen stecken. Architektonisch passen auch die aus Holzstücken gebauten Skulpturen Karsten Konrads gut hierher. Ihre abstrakten Formen erinnern an Taufbecken und Säulen.

Aber was ergibt sich daraus? Dass gleich am Eingang eine Prozession miniaturisierter, knallroter buddhistischer Mönche das Licht in Form von Leuchtstoffröhren hereinträgt, macht die Werkauswahl nicht erhellender. Dass es Faltenwürfe in der abstrakten Kunst des Chinesen Liu Wei ebenso geben kann wie in den historischen Apsismosaiken, ist auch keine große Erkenntnis. Aber immerhin hat man der Kirche St. Adalbert einen Besuch abgestattet. Das ungewöhnliche Bauwerk wartet, reichlich heruntergekommen, auf seine längst überfällige Sanierung. Das Sakrale hat es in der Großstadtgegenwart eben nicht leicht, sich zu behaupten.

Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28, Mo bis Fr 10–18 Uhr, So 10–19 Uhr. St. Adalbert, Torstr. 168, Di bis So 12–18 Uhr. Beide Ausstellungen laufen bis 4. September.

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