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Ausstellungen: Paris streitet um Monet

In der ersten große Retrospektive seit 30 Jahren zeigt der Pariser Grand Palais "den ganzen Monet". Dabei handelt es sich nicht um die üblichen Verdächtigen aus der französischen Hauptstadt, sondern um kostbare Leihgaben aus aller Welt. Doch das Musée Marmottan macht der Schau Konkurrenz.

Ihr Sonnenschirm ist weiß wie ihr bodenlanges Kleid. Sie flaniert durch den Garten, ein Tupfenmeer aus weißen Rosen und roten Blüten, aus schattigem und lichtem Grün. Wo immer die junge Dame in der Pariser Métro auf Plakatwänden auftaucht, verbreitet sie für einen Moment elegische Sommerstimmung in der Hektik des Alltags. Das wenig bekannte, meisterhafte Werk des erst 25-jährigen Claude Monet aus der Eremitage Sankt Petersburg haben die Kuratoren als Blickfang für ihre Ausstellung auserkoren. Denn diese erste große Retrospektive seit 30 Jahren zeigt nicht nur die üblichen Verdächtigen aus den Pariser Sammlungen, sondern über 100 kostbare Leihgaben aus aller Welt.

Hinter dem publikumsträchtigen Großprojekt steckt ein profaner Anlass. Das Musée d’Orsay baut seine Impressionistenetage um, und solange dürfen die reichen Bestände fremdgehen. Museumschef Guy Cogeval will im Grand Palais „den ganzen Monet“ zeigen. Und er verspricht einen frischen Blick auf den schon so oft ausgestellten, rundum erforschten Impressionisten, der in über 60 Schaffensjahren ein immenses Oeuvre produzierte.

Die Bilder strahlen im Halbdunkeln – das hätte Monet nicht gefallen

Der Ausstellungsparcours liegt im Halbdunkel. Die Werke strahlen, perfekt ausgeleuchtet, wie Juwelen vor den grauen Wänden. Monet selbst hätte das wohl nicht gefallen. Er zog es vor, seine Werke in hellem Tageslicht zu präsentieren – so wie sie entstanden, „en plein air“. Am Anfang des Rundganges öffnet sich ein breiter Weg in die Tiefe des Waldes von Fontainebleau. Schon die Maler von Barbizon haben hier eine Generation zuvor unter freiem Himmel gemalt. An sie knüpft der junge Monet im Jahr 1865 an. Der Künstler, geboren in Paris und aufgewachsen in Le Havre, arbeitet an seinem ersten großen Auftritt für den offiziellen Salon, einem Figurenstück von sechs Metern Breite. Als Hintergrundprospekt dafür erarbeitet er sich diese waldige Landschaft.

Von da geht es weiter in die Sommerfrische an den steinigen Küsten der Normandie. Hier entdeckt der Maler sein eigentliches Element: das Wasser. Bis ans Lebensende wird er nicht müde, den Blick auf die bewegte, reflektierende Oberfläche zu richten. Zwar ist der Meeresspiegel anfangs so grau wie die Wolken. Doch dann reißt der Himmel auf, klares Blau blitzt hervor und eine frische Brise leuchtender Töne weht einem aus den Bildern entgegen. Das traditionelle Seestück unterzieht Monet einer Aktualisierung: Die berühmte „Terrasse in Sainte-Adresse“ aus New York bevölkern 1867 elegante Sommerfrischler aus Paris, als seien sie geradewegs vom großstädtischen Boulevard ans Meer geweht worden.

In Paris wird Monet zum Maler des modernen Lebens. In den Louvre geht er nicht, um die alten Meister zu kopieren, sondern um vom Fenster aus das Leben auf dem Seine-Quai zu malen. Am Gare St. Lazare stellt er sich mitten in Qualm und Rauch. Gleich drei Versionen des Bahnhofsmotivs, aus Chicago, Hannover und Paris, versammelt die Ausstellung.

Dann ist Schluss mit der Großstadt, und man gleitet hinüber an die Lieblingsmalorte Monets in den 1870er und 80er Jahren: Bougival, Argenteuil, Vétheuil, die Ausflugsorte der Städter an der Seine. Monet malt sie vom Ufer oder steigt mit der Palette ins Boot. Er reist ans Mittelmeer, an die Küsten der Belle-Île und zurück in die Normandie. Jede Station rundet sich zu einer Mini-Retrospektive mit präzise gewählten Dialogpaaren, Varianten, Motivsequenzen. Denn Monet ist nie mit einer einzigen Ansicht zufrieden.

Mit dem Tod seines Lieblingsmotivs Camille schwinden die Menschen aus Monets Oeuvre

Bevor die Besucher im Fluss der Landschaften ermüden, schalten die Kuratoren als Zwischenspiel eine Sektion mit Figurenbildern ein. Da hängt – nur noch in Fragmenten und Studien erhalten – das gescheiterte Großprojekt „Frühstück im Freien“ des jungen Monet, für das er im Wald von Fontainebleau studierte und an dem er fast verzweifelte. Am liebsten malte er seine Frau Camille, mal in großer Robe, mal privat auf dem Sofa, im Garten – und 1879 jung verstorben auf dem Totenbett. Danach verschwinden die Menschen aus Monets Oeuvre.

Im zweiten Teil der Ausstellung radikalisiert sich sein serieller Umgang mit dem Motiv. Mit geradezu wissenschaftlicher Konsequenz unterwirft sich der Maler den Exerzitien des Lichts. Von seinen über 30 Versionen der Kathedrale von Rouen sind fünf vertreten, fünf „Heuhaufen“ kommen aus Zürich, Canberra, Boston, Edinburgh und Paris. Die träumerischen Venedigbilder verschwimmen in Rosa, Blau und Türkis. London taucht aus farbigem Nebel, als wolle Monet Turner und Whistler überbieten. So sieht keine Stadt aus: Der Impressionist dekonstruiert die Welt, um sie aus Farbe neu zu erschaffen.

Den späten Monet entdeckt die Ausstellung als einen empfindsamen Romantiker, der sich malend nostalgischen Gefühlen, Erinnerungen und Träumen hingibt. Als sein Augenlicht schwindet, kehrt er zurück zu den Orten, die er früher oft gemalt hat. Diese Bildsequenzen gehören zu den faszinierendsten Momenten der Ausstellung. Schritt für Schritt hellen sich die repetierten Motive auf bis ins Ungreifbare, verlieren ihre konkrete Gestalt, verschwinden nahezu im farbigen Nichts. Dann versenkt sich Monet endgültig in die Unendlichkeit angesichts seines Seerosengartens in Giverny.

Das Ursprungsbild des Impressionismus bleibt im Musée Marmottan

Die Ausstellung ist nicht komplett ohne einen Spaziergang hinüber zu den großen „Nymphéas“, den späten Seerosen-Panoramen Monets in der Orangerie am Rande der Tuilerien. Diesen Ort hat der Maler selbst noch vor seinem Tod ausgewählt. Dann hat man den ganzen Monet einmal im Original gesehen – aber halt! Ein Hauptwerk fehlt! Wo ist das Schlüsselbild des Impressionismus, das der ganzen Bewegung ihren Namen gab? Monets „Impression, soleil levant“ von 1873 hängt im Musée Marmottan. Das städtische Museum im Nobelbezirk Passy veranstaltet lieber seine eigene Monet-Retrospektive, statt sich von der großen Schau der staatlichen „Réunion des musées nationaux“ vereinnahmen zu lassen. Über das nötige Potenzial dazu verfügt das Haus, das durch Privatstiftungen und das Erbe von Michel Monet, dem Sohn des Malers, zur größten Monet-Sammlung weltweit avancierte.

Alle 136 Werke sowie Originalpaletten, Briefe und Skizzenbücher werden nun erstmals komplett gezeigt, von den Karikaturen des halbwüchsigen Monet über Porträts seiner Kinder, Landschaften aus Holland, Italien und Norwegen bis hin zu den späten Farborgien. Und ja, da ist sie – die „Impression“, gewissermaßen die Mona Lisa des Impressionismus. Frech glüht der orangerote Sonnenpunkt über den breit hingestrichenen Nebelschwaden: Der Impressionist Monet ist auch ein romantischer Expressionist, der nicht nur malt, was er vor sich sieht, sondern zugleich seine Empfindung in Farbe taucht.

Grand Palais, Paris, bis 24. 1.2011, Katalog 50 €; Musée de l’Orangerie, Musée Marmottan, bis 20. 2. 2011, Haus und Garten Monets in Giverny, bis 1.11.2010.

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