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Kaltes Leuchten. Blick in die Ausstellung der Galerie Mehdi Chouakri mit Werken der Serien „Set“ und „Monoblock“ .

© Jan Windszus

Ausstellungen von Künstler Gerold Miller: Minimalissimus

In Berlin gibt es momentan gleich zwei Ausstellungen mit Werken des Künstlers Gerold Miller. Im Mies-van-der-Rohe-Haus und in der Galerie Chouakri schickt Miller den Besucher durch die Stufen modernen Sehens

Sechs Jahre vor seiner Übersiedlung nach Chicago ließ sich Mies van der Rohe auf ein letztes Projekt in seiner Heimat ein. Eine Villa am Rand von Berlin, so kompromisslos klar und schön wie ihre beiden Vorgängerinnen Haus Lange und Haus Esters in Krefeld. Gebaute Geometrie aus Stein, mit Fenstern, die als Rechtecke durch die Wandflächen schneiden, um zwischen den weißen Innenräumen und der Natur draußen zu vermitteln.

„Innen und Gegenüber“ nennt sich auch das Themenjahr im Mies-van-der-Rohe-Haus, das in Hohenschönhausen wie ein Fremdkörper zwischen den Stuckvillen liegt. Vier Ausstellungen widmen sich der Frage, wie Künstler ihr Werk an einem Ort inszenieren, der selbst schon ein Kunstwerk ist. Aktuell zeigt Gerold Miller neue Arbeiten, die er für das Haus entwickelt hat. So wird ein Teil der Zimmerwand von meterlangen, goldlackierten Aluminiumleisten gefasst. Ihre Gegenwart macht die Architektur zum Thema, erklärt die Räume zu skulpturalen Gebilden und setzt die subtilen Schattenspiele zwischen den Fenstern, Wand und Boden fort. Ein zweiter Block von Arbeiten, den typisch hochglänzend lackierten Formaten des in Berlin lebenden Künstlers, beschäftigt sich mit jenen Farben, die in der diffundierenden Atmosphäre des Hauses aufeinandertreffen: dem Blau des Himmels und des angrenzenden Sees, dem Grün des Gartens und einem Nachtschwarz als Kontrast zur tageshellen Freundlichkeit der Architektur.

Beide Blöcke, „Monoform“ wie auch „Set“, setzen sich in der Berliner Galerie Mehdi Chouakri fort, die Miller parallel eine Einzelschau widmet. Im Dialog der Arbeiten fächert sich das Spektrum seiner Kunst auf, die ihren inneren Reichtum hinter einer sparsamen Fassade verbirgt. Hier eröffnen sich die Potenziale der Farbe und ihrer Reduktion. Der Kreis des Sehens schließt sich, von der Linie zur Fläche, zum Körper, zu Edelstahl, Aluminium, Autolack. Auf den ersten Blick scheinen die aktuellen Arbeiten wenig mit Malerei zu tun zu haben. Wenn überhaupt, dann mit der hartkantig geometrischen Spielart des Hard-Edge.

Farbe als Fenster zur Welt

Der Künstler hat eine ganze Serie „hard:edged“ genannt. Sie war 2002 im Hamburger Bahnhof zu sehen. Eigentlich aber geht es ihm nicht um die Kante, sondern um den Raum. Die Farbe dient als Fenster zur Welt. Einer Welt, in der sich Innensicht und Außensicht überschneiden. Miller, Jahrgang 1961, beginnt nach seinem Studium an der Kunstakademie Stuttgart damit, den Grundriss des Bildes zu schaffen, die reliefartige Rückseite. „Anlagen“ heißt seine erste Serie mit Rahmenformen, der weitere folgen. Mit abgerundeten Ecken, mit farbigen Streben, matt oder glänzend. Sie markieren das Territorium, sie nehmen Wand in Besitz. Die Gestaltung überlassen sie dem Betrachter. Berühmt wurde Gerold Millers Aktion „Viktor“, von 1996, bei der ein Rüde in die vier Ecken des Ausstellungsraums pinkelte.

Im Mies-van-der-Rohe-Haus wie in der Galerie Chouakri steigert Miller seine lakonische Technik nun gerade in der Serie „Monoform“ zum Minimalissimus. Von den Rahmen sind nur mehr zwei Aluminiumleisten übrig geblieben, die das Bild von oben und unten definieren. Die Abstände lassen sich beliebig variieren. Dazwischen darf auch ein fremdes Werk hängen. Das erlaubt der Künstler. Doch die Farben der Kanten bestimmen die Leere im Zentrum. Wird die weiße Wand zwischen zwei rote Streben gezwängt, beginnt sie zu pulsieren. Zwischen massivem Schwarz und flimmerndem Pink franst das Bild aus und rutscht nach unten. Der Blick von den Rändern verändert die Wirklichkeit.

Ausstellungen schärfen das Auge

Das faszinierende Erlebnis dieser Kunst ist exklusiv. Es kann nicht abgebildet werden. Eine gewitzte Vierer-Serie mit lackierten Edelstahltafeln treibt das Spiel mit dem Auge auf die Spitze. Im matten Rahmen glänzt ein schwarzes Rechteck. Im Zentrum eines spiegelnden Rahmens stößt der Blick auf eine raue Mitte. Blinder Fleck und Spiegelbild werfen die Betrachter auf sich selbst zurück. Die Schatten suggerieren Räumlichkeit. Die Serie folgt der Bewegung. Je näher man dem Bild kommt, desto weiter lehnt es sich entgegen. Tritt man zurück, schrumpft es zur Fläche. Die Schatten verdampfen zur Linie.

In den Galerieräumen verbeugt sich Miller dann allerdings ein bisschen zu deutlich vor den Ahnen seiner Kunst. Die beiden großformatigen schwarzen Quadrate – mal glänzend, mal blind – dominieren den hinteren Raum. Im Spiegel überblenden sich El Lissitzky und Malewitsch, Josef Albers und Sol LeWitt. Für den Künstler bleibt all dies Malerei, auch wenn die perfekten Oberflächen der Hohlkörper längst von einer Werkstatt hergestellt werden.

Die glückliche Fügung der beiden Ausstellungen schickt den Blick durch die Stufen modernen Sehens. Sie schärfen das Auge, bis es unterscheiden kann zwischen Realität und Illusion.

Mies-van-der-Rohe-Haus, Oberseestr. 60; bis 14. September, Di–So 11–17 Uhr. Galerie Mehdi Chouakri, Invalidenstr. 117 (Eingang Schlegelstr. 26), bis 21. Juni, Di–Sa 11–18 Uhr.

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