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Die Neuen sind da. Türkische Näherinnen im Oktober 1961 in Minden.

© Ullstein / Keystone

Ausstellungen zum Thema Migration: Schaut! Uns! An!

50 Jahre nachdem die Deutschen ihre Nachbarn ins Land gebeten haben, boomen Migrationsausstellungen: Wie die Globalisierung unsere Museumslandschaft verändert.

In der deutschen Museumslandschaft findet ein regelrechter Migrationsboom statt. Stadtmuseen erfinden sich als Stadtlabore neu, wie das Historische Museum in Frankfurt am Main. Museologen mit Migrationshintergrund schreiben Ausstellungskonzepte und verweben die Stadtgeschichten a priori mit dem Goldrand der Migration, wie im derzeit entstehenden Stadtmuseum Stuttgart, das einen eigenen Sammlungsbereich und Schwerpunkt zur Migrationsgeschichte plant. In Reutlingen, Heilbronn und Lüdenscheid werden bestehende Sammlungen einer Revision unterzogen unter der Maßgabe, ob mit geschärftem Blick für die Migration nicht das eine oder andere Objekt der Stadtgeschichte verfängt. Und die zweisprachige Wanderausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat“, die noch bis 6. Februar im Berliner Kreuzberg-Museum zu sehen ist, soll demnächst in Schwerte, Köln und München Station machen.

Oft mit heißer Nadel gestrickte Sonderausstellungen versuchen, in Sachen „Wissen der Migration“ eilig die Bildungslücken zu schließen. Im Herbst dieses Jahres folgt dem „Griechenjubiläum“ und dem „Spanierjubiläum“ von 2010 (50 Jahre Anwerbevereinbarungen mit Griechenland und Spanien) das „Türkenjubiläum“. Das klingt banal, zeigt aber eine veränderte Erinnerungskultur an: Die transnationale Gastarbeiterära wird zur nationalen Erinnerung und Migration zum Thema öffentlicher Repräsentation. Das bezeugt eine nachholende Anerkennung von Geschichte und Gegenwart der Migration. Und da Identitätskonstruktionen wie der Stuttgarter Grieche oder der Kreuzberger Türke sich über den Stadtraum definieren, bleibt den Stadtmuseen mit ihren Beständen aus dem 19. Jahrhundert gar nichts anderes übrig, als die Migration in ihre Häuser hineinzukomplimentieren. Denn sie wollen ja Spiegel ihrer Stadtgesellschaften sein.

Die Forderung von Seiten der Migranten, ihre Geschichte mit der Bundesrepublik Deutschland auch in Form eines eigenen Erinnerungsorts gewürdigt zu sehen, ist nicht neu. Die Rolle des tragischen Helden kommt dabei dem Migrationsarchiv Domid zu, ursprünglich eine Migrantenselbstorganisation, die sich 1990 gründete – also vor über zwanzig Jahren. Es hat sich der Pflege des materiellen Gedächtnisses der Migration verschrieben. In eigener Regie begann man, Bilder, Fotos und Artefakte aus der Pionierzeit der ersten Gastarbeiter zusammenzutragen und Geschichte zu „schreiben“, zum Beispiel mithilfe biografischer Interviews.

Wer Migrationsgeschichte ausstellen möchte, betreibt Archäologie der Gegenwart. Er arbeitet mit Bildern von Frauen in geblümten Arbeitskitteln, oder von Wohnungsinterieurs mit psychedelischen Tapetenmustern. So etwas gibt es auch in der Mehrheitsgesellschaft, aber die Bilder sind anderes codiert. Viele Jahre war die Selbstorganisation Domid mit ihrem Wissen über die Migration und den Doppelblick einer „Geteilten Erinnerung“ von Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft ihrer Zeit voraus. Die schon 1998 gemeinsam mit dem Ruhrlandmuseum in Essen präsentierte Ausstellung zur türkischen Arbeitsmigration stach damals konkurrenzlos aus der kulturpolitischen Landschaft der Bundesrepublik hervor.

2002 veranlasste die Kulturstiftung des Bundes das „Projekt Migration“, ein Forschungs- und Ausstellungsunternehmen, bei dem bis 2006 in transdisziplinärer Zusammenarbeit verschiedene Konturen von „Migration“ skizziert werden sollten. Die Weichenstellungen der GastarbeiterPolitik der fünfziger bis siebziger Jahre wurden in den Blick genommen, ebenso das Migrationsmanagement und die „turbulenten Ränder Europas“ von heute.

Die Ausgrabungen im alltagskulturellen Feld zwischen Wohnheim und Asylbewerberheimen könnten den Grundstock eines deutschen Migrationsmuseums bilden. Wenn das nicht ein Widerspruch in sich wäre: Kann man einen nationalen Erinnerungsort für transnationale Wanderungsbewegungen schaffen?

Weltweit versucht man der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese globalen Bewegungen unter dem Brennglas von Nationalstaatlichkeit und Integration kaum adäquat darstellbar sind. Seit 20 Jahren taucht der neue Typus des Migrationsmuseums in der internationalen Museumslandschaft auf. Am berühmtesten: Ellis Island im Hafenbecken von New York, ein Erinnerungsort, der den Akt der Einwanderung als Urszene des Nation Building präsentiert. In Europa setzte die Entwicklung nur zögerlich ein. Als erstes bedeutendes Einwanderungsmuseum eröffnete hier im Oktober 2007 die Pariser Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, ähnliche Häuser sind in zahlreichen europäischen Ländern in der Diskussion.

So gerecht der Ruf nach einem zentralen Migrationsmuseum in Deutschland auch klingen mag, so wenig wurde er bislang von der deutschen Kulturpolitik erhört. Lieber stürzen sich ambitionierte Vertreter des Musealiserens auf die Migration, eben weil sie das herkömmliche Museum als Ort der nationalen Selbstvergewisserung ad absurdum führt. Die Migration fordert das Museum heraus. „Migrationsausstellungen sind dazu prädestiniert, als Lackmustest für ein museales Selbstverständnis herzuhalten,“ sagt die Berliner Ethnologin Kerstin Poehls.

Fest steht: Die museale Sicht auf gesellschaftliche Phänomene in Zeiten der Globalisierung ist ohne das Querschnittsthema Migration nicht mehr denkbar. Migration ist nicht Rand- oder Epiphänomen der Verstädterung, sondern einer ihrer Motoren. Unsere Städte, sagt der Frankfurter Historiker Jürgen Steen, sind „Spielplätze Vereinter Nationen“. Und wenn sich die Welt an einem Ort versammelt, transformiert sich die „eigene“ Geschichte unversehens in die Geschichte der Welt.

Der Ausstellungsmacher Gottfried Korff deutet das Migrationsmuseum als exponierte Spielart des Sloterdijk’schen „Museums der inneren Ethnologie“, als „Heimatmuseum für die globalisierte Welt“. Für die Gründung eines solchen Hauses ist es höchste Zeit. Es könnte helfen, die Verwerfungen zwischen Wanderung und Sesshaftigkeit neu auszutarieren. Nicht, dass es nicht noch relativ stabile Gemeinschaften gäbe. Aber das Leben in der Diaspora ist heute keine Ausnahme mehr, es wird die Regel.

Dabei geht es nicht um Fernstenliebe. Migration heute findet zumeist in der Nachbarschaft statt. Also gehört sie auch ins Nachbarschaftsmuseum wie in Kreuzberg oder im ehemaligen Völkerkundemuseum Rautenstrauch-Joest in Köln. Migrationen und ihre Akkumulationsprozesse schreiben sich ins Herz der Städte ein. Und der Blick entscheidet darüber, wie wir die Entwicklung beurteilen. Wahrnehmung ist auch eine Form der Anerkennung: Wirft man – 50 Jahre nachdem die Deutschen ihre Nachbarn ins Land gebeten haben – in den Ausstellungen von Köln oder Berlin einen Blick aus dem Fenster, so schließt sich die Geschichte der Migration, wie sie drinnen erzählt wird, mit der Gegenwart draußen kurz.

Paradoxerweise wird die Forderung eines zentralen Migrationsmuseums also dezentral eingelöst.Hier, in den Stadtmuseen, geht es darum, die Migration sehen und lesen zu lernen. An jenen urbanen Orten, die längst von ihr geprägt sind.

Der Autor lebt als Publizist und Ausstellungsmacher in Bonn. Er arbeitete bei Domid mit; das Archiv war am „Projekt Migration“ der Bundeskulturstiftung beteiligt.

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