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6. Berlin Biennale: Gespür für Gegenwart

Kathrin Rhomberg leitet die 6. Berlin Biennale. Über 1000 Künstler hat sie sich angeschaut, 50 werden im Juni gezeigt - vornehmlich jüngere Jahrgänge und an Orten mit hohem Migrantenanteil.

Ausstellungseröffnung im Haus der Kulturen der Welt, die Autos parken kreuz und quer, selbst vor der Feuerwehrzufahrt. Da fällt es schwer, die Verabredung pünktlich einzuhalten. Nach zwei Minuten über der Zeit klingelt das Handy: „Hier ist die Berlin Biennale. Wo bleiben Sie?“, fragt die Assistentin. Erleichterung am anderen Ende, dass der Ankömmling bereits vor der Türe steht. Wer sich mit Kathrin Rhomberg treffen will, sollte seine Zeit nicht mit Parkplatzsuchen vertrödeln. Die Kuratorin der 6. Berlin Biennale hat einen prall gefüllten Terminkalender. Selbst an diesem Abend, an dem sie sich freigenommen hat, um Galerien zu besuchen und zur Vernissage der Ausstellung „Über Wut“ zu gehen, gibt es einen straffen Ablaufplan.

Im Moment der Begegnung aber scheint der Druck von ihr abzufallen. Sie wirkt professionell und dennoch lässig entspannt. Diese Balance muss die gebürtige Österreicherin die nächsten drei Monate noch durchhalten, dann eröffnet Berlins ambitionierteste Schau im Bereich der zeitgenössischen Kunst, für deren Qualität Kathrin Rhomberg geradesteht. In den Neunzigern wurde die Biennale in den Kunst-Werken auf Initiative von Klaus Biesenbach gegründet. Damals scherten sich die Institutionen und Museen kaum um die aktuelle Szene, registrierten erst mit Verzögerung, dass von dort die internationale Strahlkraft ausging, die den Ruf Berlins als kreativer hot spot begründeten. Diese Entwicklung, auch die beim Senat mittlerweile keimende Sorge um Abwanderung der künstlerischen Potenziale bildet die Folie der Biennale. Jede neue Ausgabe soll anders und besser als die vorangegangene sein und natürlich the state of the art zeigen.

Den sich auftürmenden Erwartungen begegnet die 46-jährige Rhomberg damit, dass sie für ihre Schau kein Thema nennt und auch keinen klangvollen Titel wählt. „Die Ausstellung entwickelt sich aus den Arbeiten der Künstler“, lautet ihr Konzept. „Wie bei Valerie sollen sie etwas berühren, eine innere Notwendigkeit besitzen“, versucht Kathrin Rhomberg das Nicht-Sagbare zu beschreiben, denn die rund fünfzig Namen umfassende Teilnehmerliste hält sie in bester Documenta-Manier bis zum Eröffnungstag geheim. Die „Über Wut“-Ausstellung von Valerie Smith im Haus der Kulturen der Welt aber trifft es für sie bereits. „Das sind Setzungen“, lobt Kathrin Rhomberg die Auswahl. Als sie Bernd Scherer, den Intendanten des Hauses, auf ihrem Rundgang trifft, macht sie ihm sogleich ein Kompliment und verspricht sich in Kürze zu melden. Man kennt sich längst.

In ihrer Vorbereitungszeit hat Rhomberg die Mappen von 1000 Künstlern studiert, zahllose Ateliers besucht. Sogar bislang übersehene Positionen gehörten zur Recherche. Was kommt, verrät sie trotzdem nicht. Nur so viel, dass der Berlin-Fotograf Michael Schmidt Porträts im öffentlichen Raum präsentiert und der US- Kunsthistoriker Michael Fried auf Einladung der Biennale-Macherin in der Alten Nationalgalerie eine Adolph-Menzel-Ausstellung kuratiert, den großen Realisten des 19. Jahrhunderts. Das klingt widersprüchlich und passt doch zur leise unterlegten Erkennungsmelodie der Biennale, die sich mit dem Verhältnis der Kunst zur Wirklichkeit auseinandersetzt.

Und schon ist Kathrin Rhomberg bei ihrem Thema. Das Glas Weißweinschorle auf dem mit Flaschen und Flyern übersäten Foyer-Tisch wird erst einmal nicht angerührt, den grünen Parka behält sie auch im Sitzen auf dem Fünfziger-Jahre-Fauteuil an. Die zierliche Österreicherin muss ausholen. Im November 2001 hatte sie als Kuratorin der Wiener Secession die Ausstellung mit dem visionären Titel „ausgeträumt...“ eröffnet, kurz nach dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center. „Damals konnte niemand ahnen, was kommen würde. Die Vorbereitungen liefen schon über ein Jahr, aber etwas lag in der Luft“, erinnert sie sich. Die Künstler hätten das gespürt.

Auf deren Instinkt will sich die Kuratorin wieder verlassen, die zuletzt den Kölnischen Kunstverein leitete, 2000 die legendäre Manifesta in Lubljana mitorganisierte, 2009 auf der Biennale di Venezia den tschechischen und slowakischen Pavillon mit Roman Ondak bespielte und als Gewinnerin des Goldenen Löwen gehandelt wurde. Ondak hatte den Pavillon nach außen geöffnet, mitten durch die Architektur den Kiesweg fortgesetzt und Beete mit Sträuchern gepflanzt, als gäbe es kein Drinnen und Draußen. Es verändert sich gerade wieder etwas, ist Kathrin Rhomberg überzeugt und will deshalb vor allem Fragen stellen: Warum ist gegenwärtig Zukunft nicht denkbar? Woher kommt der Retro-Blick in Mode, Musik und Kunst, die sich so intensiv mit Moderne beschäftigt? Ebenso in Wirtschaft und Politik? Haben wir uns von der realen Welt abgekoppelt, wie die Finanzkrise demonstrierte?

Für die studierte Kunsthistorikerin kommt hier Menzel ins Spiel, der ähnliche Krisenmomente im 19. Jahrhundert erlebte: Bevölkerungsexplosion, Industrialisierung, eine völlig neue Realität. Als Künstler setzte er seine Sicht entgegen, etwa auf seinen knolligen Fuß, den er ohne Beschönigung malte. Ähnliches glaubt die Seismografin Rhomberg auch heute bei den Künstlern zu erkennen. Die Proteste an der Wiener Akademie gegen den Bologna-Prozess zeigten die Desillusion der nachwachsenden Generation. „Die Studenten haben einen klaren Blick dafür, was sich in den letzten zehn Jahren verändert hat“, meint die Kuratorin. Auch deshalb zeigt sie bei ihrer Biennale vornehmlich jüngere Jahrgänge. Dass sie häufig den richtigen Riecher besaß, beweisen ihre vielen ersten Ausstellungen mit Künstlern, die heute hoch gehandelt werden: John Bock, Anri Sala, Adrian Paci, Sean Snyder.

Auch bei den Ausstellungsorten der Biennale will die Österreicherin Gespür für die Zukunft beweisen. Bezeichnenderweise gestaltete sich die Suche schwierig, denn dort wo es einst leere Gebäude, Brachen gab, befinden sich heute perfekt sanierte Fassaden, neue Komplexe. Am Ende musste sie sich neben dem festen Quartier in den Kunst-Werken in der Auguststraße nach Kreuzberg begeben, in einen ehemaligen Supermarkt am Oranienplatz, wo zuletzt der Club „Trash“ residierte. Doch Kathrin Rhomberg gefällt die Umgebung, der hohe Migrantenanteil. „Irgendwann wird es überall bei uns so aussehen“, ist sie überzeugt. In Europa habe man das nur noch nicht verstanden.

Diese Erkenntnis hat sie aus ihrem über fünf Jahre am Kölner Kunstverein laufenden Projekt „Migration“ gewonnen, das damals die Kulturstiftung des Bundes finanzierte. Inzwischen ist sie einen Schritt weiter. „Former West“ lautet ihr in Utrecht betriebenes Unternehmen, das sie jedoch für die Zeit der Biennale-Vorbereitung ruhen lassen muss. Zwei Schritte vor, einer zurück. Spätestens im Juni wird sie in Berlin in der Gegenwart angekommen sein.

www.berlinbiennale.de

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