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Alexander Deineka: Der Zwischenweltler

Souverän gegen die sozialistische Kunstdoktrin: Alexander Deinekas Wiederentdeckung in Moskau. Welten trennen ihn von Stalins liebsten Künstlern.

Viele Jahre galt sowjetische Kunst als identisch mit der Avantgarde, vor allem mit dem Suprematismus um Kasimir Malewitsch: im Ausland ohnehin, seit dem Zerfall des Kommunismus auch in der Heimat selbst. Dagegen stand, eher als Kuriosum denn als Kunst, die Propagandamalerei des Stalinismus, die sich ausgerechnet im Westen einer wohl aus Voyeurismus gespeisten Beliebtheit erfreut.

Mit Alexander Deineka wird derzeit von der Moskauer Tretjakow-Galerie, dem Staatsmuseum russischer Kunst in der Hauptstadt, eine dritte Position gewürdigt, ein Bindeglied zwischen diesen ästhetischen Polen. Die Wiederkehr figurativer Kunst in jüngster Zeit macht Deineka, der zeitlebens einem forciert lebensfrohen Menschenbild huldigte, besonders interessant. Von der russischen Kritik wird die Ausstellung entsprechend gewürdig, aber auch aus westlicher, speziell deutscher Sicht ist Deineka eine (Wieder-)Entdeckung, parallel zum Erfolg figurativer Malerei von Neo Rauch bis Norbert Bisky.

Deinekas Hinterlassenschaft ist enorm, was die Zahl und die Formate seiner Werke betrifft. Mühelos füllen sie das Obergeschoss der weitläufigen Neuen Tretjakow-Galerie am Krimsky Val. „Arbeiten, aufbauen und nicht nörgeln!“ ist die Ausstellung von 102 Gemälden sowie zahlreichen Skulpturen und Grafiken überschrieben – Zitat eines Plakates, das Deineka 1933 entwarf, und zugleich ironische Überspitzung seiner unerschütterlich auf eine kommunistische Zukunft setzenden Haltung.

1899 in Kursk geboren, gehört er zur Generation jugendlicher Enthusiasten, die in der Revolution den „gigantischen Schwung des Proletariats“ erblicken, wie er 1919 schrieb. Agitation und Kunst gehören zusammen. Deineka, der in Moskau an einer dem Bauhaus vergleichbaren Lehranstalt studiert, geht im Auftrag der Zeitschrift „Atheist an der Werkbank“ in die Kohlengruben und Fabriken des Donezk. Mitte der 20er Jahre und dann in der Zeit der ersten beiden Fünfjahrpläne unter Stalin entstehen Gemälde und Plakate, die den Sieg des Proletariats feiern, besonders die Gleichberechtigung der Frau am Arbeitsplatz. Seine Bildsprache verbindet das Flächige der abstrakten Kunst mit den reduzierten Formen des Plakats, ohne dabei im Wortsinne plakativ zu werden. Schon seine berühmte „Verteidigung Petrograds“, aufgebaut als bildparalleler Zug statuarisch schreitender Kämpfer wie von Ferdinand Hodler, enthält jenes Moment der Irritation, das über die Eingängigkeit propagandistischer Losungen hinausweist.

Seine neuen Sujets der 30er Jahre, der Sport und die Fliegerei, sind zwei Kernthemen der stalinistischen wie der faschistischen Ästhetik. Die Sportler werden zu Mustermenschen, die Flieger zu Heroen, zu denen alle Jungs zukunftsträumend aufschauen. Die Palette, bei den Arbeiter-Bildern noch dramatisch hell-dunkel, gleitet in die pastellfarbene Süßlichkeit der verordneten Alltagsfreude hinüber, wie in dem als Ölbild erhaltenen Wandgemälde „Stachanowarbeiter“ für die Pariser Weltausstellung 1937.

Deineka, der erst im Alter von 60 Jahren der bolschewistischen Partei beitrat, hat alle offiziellen Themen mitgestaltet, von der proletarischen Arbeit über den Körperkult des Massensports bis zum heroischen Kriegsgeschehen. Und doch trennen ihn Welten von den Lieblingskünstlern der Stalinzeit wie Gerassimow. Erst im Vergleich mit den Zeitgenossen, wie ihn 2008 die verdächtig kurz gezeigte Moskauer Ausstellung „Sowjetische Kunst zwischen Trotzki und Stalin 1926–1936“ ermöglichte, wird Deinekas souveräne Missachtung der Doktrin des Sozialistischen Realismus deutlich. Das macht ihn interessant, gerade als figurativen Maler, mögen seine drallen und prallen Körper auch im Spätwerk die Grenze zum Erotikkitsch überschreiten.

Hingegen ist Deineka in den besten Werken der Zwischenkriegszeit auf der Höhe der neoklassischen Kunst westlicher Länder, von Picasso bis Beckmann. Gerade Letzterer kam mit seinen Sportlerbildern zu vergleichbaren Lösungen wie Deineka mit seinem großartigen „Torwart“ von 1934. Eine Studienreise mit persönlicher Genehmigung des NKWDChefs Jagoda, die ihn 1934/35 zuerst in die USA führte und später nach Paris und Rom, schlägt sich in Kompositionen nieder, die, wie der „Akt am Fenster“, an Edward Hopper denken lassen oder, beim „Italienischen Motiv“, an Fresken der Frührenaissance.

Kein anderer Sowjetkünstler dieser Zeit, der Jahre des „Großen Terrors“, konnte sich solche Freiheiten erlauben. Diese Sonderstellung bei gleichzeitiger ideologischer Festigkeit macht ihn aber auch für die Apologeten der längst in Gang befindlichen Re-Stalinisierung attraktiv. Dabei ist der Einfluss des zeitgenössischen amerikanischen Realismus auf Deinekas Arbeit, den auch der Katalog beleuchtet, bislang erheblich unterschätzt worden.

Nach dem Krieg wird Deinekas Werk immer uneinheitlicher, es kommt zu missglückten Arbeiten wie der „Amazonenschlacht“ von 1947, die mit gutem Grund seit Jahrzehnten im Depot ruht. Der Künstler selbst geriet unter Formalismusverdacht mit mehrfachem Verlust von Professuren, und gleichzeitig zeichnete man ihn mit Ehrentiteln aus, vom Leninpreis bis zum „Volkskünstler der Sowjetunion“ in den letzten Jahren vor seinem Tod 1969. Ein Abgesang auf den Elan der sowjetischen Aufbaujahre: Die Ausstellung in der Tretjakow-Galerie baut eine Brücke in diese Vergangenheit, die ihre verführerische Kraft bis heute nicht verloren hat.

Moskau, Neue Tretjakow-Galerie, Krimsky Val, bis 23. Mai. Katalog 750 Rubel (ca. 19 €).

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