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© Tchoban

Architektur: Der letzte Meister

Sergei Tchoban zeigt seine kostbaren Architekturzeichnungen in Frankfurt – und bald in Berlin.

Frankfurt am Main war schneller. Im Deutschen Architekturmuseum wird eine Ausstellung gezeigt, die in Berlin schon lange geplant ist und wohl einesTages auch noch zustande kommen wird. Die von Eva-Maria Barkhofen, der Leiterin des Baukunstarchivs der Akademie der Künste in Berlin kuratierte Schau, zeigt Zeichnungen des Berliner Architekten Sergei Tchoban einerseits und eine Auswahl jener historischen Blätter andererseits, die Tchoban in vielen Jahren zu einer der bedeutendsten Sammlungen von Architekturgrafik zusammengetragen hat. Seine in eine Stiftung „S. Tchoban Foundation“ eingebrachte Sammlung umfasst Arbeiten aus fünf Jahrhunderten mit Schwerpunkten auf dem 17. und 18. Jahrhundert und den russischen Konstruktivisten der zwanziger Jahre.

Architekturzeichnungen, auch die bedeutendsten und ästhetisch ansprechendsten, kennt man meist nur aus einschlägigen Büchern und aus architekturtheoretischen Abhandlungen; ausgestellt werden sie selten. In Berlin wird man Tchobans Arbeiten und seine Sammlung in Zukunft auf Dauer erleben können. Denn Sergei Tchoban plant, am Pfefferberg, in unmittelbarer Nähe des Internationalen Architekturforums Aedes, ein eigenes Museum zu errichten. Als Mitglied der American Society of Architectural Illustrators setzt sich Tchoban auf diese Weise für eine Kunst ein, die wie viele andere von der Digitalisierung bedroht ist.

Der Kohlestrich mit leichter Hand, das Streichen der Saite eines Instruments, das Deklamieren auf einer Bühne – wie lange werden diese künstlerischen Ausdrucksformen noch von Bedeutung sein? Wenn Computer Heinrich George als Schauspieler wiederauferstehen und die Callas neue Lieder singen lassen, wozu noch Opern und Theater? Wenn Computer wie Vladimir Horowitz Klavier und wie David Oistrach Geige spielen können, wozu noch Musiker aus Fleisch und Blut? Wenn Computer Bilder aller nur vorstellbaren Art erzeugen können, wozu noch Stift und Pinsel?

Vielleicht ist es ein Rückzugsgefecht, wenn die alten Fertigkeiten und Ausdrucksmittel noch gepflegt werden. Vielleicht aber wird es immer Menschen geben, die die Künste noch selbst ausüben wollen, sich eigenhändig selbst verwirklichen, sich selbst vergewissern wollen. Für diesen Fall gilt es also, die analogen Künste gegen die digitalen Anfechtungen zu verteidigen und vor dem Aussterben zu bewahren.

Die Architekturzeichnung war noch vor einer Generation substanzieller Bestandteil der Architektenausbildung – heutzutage ist sie ein „Orchideenfach“ an den Hochschulen. Wolkenkratzer und Flughäfen, aber auch Designermöbel werden heute ohne einen einzigen Bleistiftstrich geplant und gebaut. Die Architekturzeichnung hat ihren unmittelbaren Nutzwert verloren. Sie ist zum künstlerischen Ausdrucksmittel geworden, zum Kunstgegenstand mit Anschauungs- und Handelswert. Der 1962 in St. Petersburg geborene Sergei Tchoban hat die hohe Schule der Zeichenkunst noch von Grund auf gelernt. Am Kunstgymnasium und in der Architekturklasse der Kunstakademie erlernte er den Umgang mit Stift und Nadel, mit Kohle, Rötel und Aquarell nach alter Schule. Die Leidenschaft für das Zeichnen hat ihn nicht mehr losgelassen: nicht als er 1990 nach Deutschland kam, nicht als er Partner im Hamburger Büro nps wurde und dessen Dependance in Berlin aufbaute und später ein Büro in Moskau gründete. Auch nicht, als er Projekte immer größeren Zuschnitts realisierte, viele in Berlin, darunter auch das Dom-Aquarée und das Cubix-Kino, viele in Russland, darunter (mit Peter Schweger) den Federation Tower in Moskau, das höchste Haus Europas.

Auf Reisen sind Stifte und Pinsel seine ständigen Begleiter. Es entstehen Reiseskizzen, wie sie für Architekten typisch sind, aber auch, abends dann bei einem Gläschen Chianti, Studien über Archetypen und Fantasien über die tags gesehenen Architekturen. Er ist in diesem Punkt durchaus mit dem Barockzeichner Piranesi zu vergleichen, der tagsüber seine römischen Veduten stach und bei Kerzenschein wie im Fieberwahn die „imaginären Gefängnisse“ zu Papier brachte, dräuende Raumfantasien, von denen sich noch heute Architekten inspirieren lassen. Tchoban erdenkt seltsame Bauten unbekannter Bestimmung, Fragmente, Ruinen oft, dann wieder imaginäre Barockstädte und setzt sie in Szene, mal kühl, mal romantisch.

Die Obsession Tchobans ist das Wasser: Wasserstädte, Häfen, Kanäle, Städte überflutet, in den Fluten versinkend, Städte unter Wasser. Es ist die faszinierende Beziehung zwischen klassischer Baukunst und Wasser, gesehen in Venedig oder in Tchobans Heimatstadt St. Petersburg, die seine Fantasie anregt.

Seine Blätter haben das Potenzial, hohe kunsthistorische Weihen zu empfangen. Und Sergei Tchoban ist selbstbewusst genug, seine Arbeiten in die Nähe der großen Zeichner vergangener Jahrhunderte zu rücken, was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Denn das Deutsche Architekturmuseum zeigt die „Architekturwelten“ Tchobans im Dialog mit Werken aus der Sammlung Tchoban. Schon früh hatte er zu sammeln begonnen. Mit derselben Akribie und Ausdauer wie er selbst zeichnet, bemüht Tchoban sich um Nachlässe und verfolgt Auktionen in aller Herren Länder. Was ihn, den praktizierenden Zeichner und Architekten als engagierten Sammler auszeichnet, ist sein Interesse für die dargestellten Sujets, für klassische Architekturen, für die Meisterschaft räumlicher Darstellungen und die zeichentechnische Perfektion. Prominenz der Urheberschaft, Bedeutung und Marktwert der Blätter kommen erst in zweiter Linie.

Dennoch, die vertretenen Namen sind beeindruckend. Ferdinando Galli Bibiena (1656–1743) ist zu nennen, der umtriebige Barockbaumeister Filippo Juvara (1678–1736), dann Giovanni Paolo Panini (um 1691–1765), natürlich unverzichtbar Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) sowie Pietro di Gottardo Gonzaga (1751–1831) mit seinen fantastischen architektonischen Bühnendekorationen. Die Veduten jener Zeit können als adäquates Pendant zu Sergei Tchobans eigener Arbeit gesehen werden.

Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main, Schaumainkai 43, bis 14. März 2010. www.dam-online.de. Katalog im Jovis Verlag 29,80 Euro.

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