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Architektur: Elend modern

Eine Ausstellung im Schinkel-Zentrum der TU Berlin stellt anschaulich den Umgang mit Bauten der Moderne in Deutschland und Russland vor.

Der Narkomfin-Wohnblock gilt weltweit als Ikone der russischen Avantgarde, doch sein aktueller Zustand ist jammervoll. Die ruinöse Dachterrasse gleicht einem verwilderten Garten, Putz und Beton bröckeln. Derart verwahrlost, ist das Denkmal Lichtjahre vom mondänen Moskau der Gegenwart entfernt. Wenn nicht schnellstens Hilfe kommt, droht dem 1930 von Moisei Ginsburg und Ignati Milinis für Beschäftigte des Volkskommissariats für Finanzen entworfenen Wohnblock endgültig der Untergang. So lautet das Fazit der Ausstellung „Avantgarde – Diffamierung – Welterbe?“ im Schinkel-Zentrum der TU. Anhand von Fotos und Modellen stellt sie anschaulich den Umgang mit Bauten der Moderne in Deutschland und Russland vor.

Beide Länder eint der euphorische Aufbruch der Avantgarde in den zwanziger Jahren. Damals herrschte zwischen den deutschen Vertretern des Bauhauses und den sowjetischen Konstruktivisten ein intensiver persönlicher und fachlicher Austausch. So war für das Innenraumkonzept des Narkomfin-Blocks der Bauhäusler Hinnerk Scheper verantwortlich, der nach 1945 erster Berliner Landeskonservator wurde. Wie international damals die Lust am Experiment war, macht Kuratorin Anke Zalivako deutlich: Der neu entwickelte Schlackebetonstein fand sowohl am Dessauer Bauhausgebäude wie am Narkomfin-Block Verwendung. Hier wie dort ging es darum, Baumaterial zu nutzen, das industriell vorgefertigt werden konnte. Bewusst löst sich die Ausstellung von einer rein architekturgeschichtlichen Betrachtung und führt originale Materialproben der Baustoffe vor.

In den dreißiger Jahren setzt sich die Parallelentwicklung fort: im NS-Regime wie unter Stalins Diktatur wird die Avantgarde diffamiert. Seit den achtziger Jahren werden Bauten der Moderne in Deutschland als Denkmale anerkannt. Das Bauhaus steht auf der Welterbeliste, ein Status, der für die Berliner Siedlungen der Moderne unlängst beantragt worden ist. In Russland dagegen harren konstruktivistische Bauten noch immer der Wiederentdeckung. Eindrucksvoll dokumentiert der Bildband „Verlorene Avantgarde“ des kanadischen Architekturhistorikers Richard Pare den ungehobenen Schatz (Schirmer/Mosel Verlag, München 2007, 348 S., 78 €). Abhilfe will eine Tagung des internationalen Denkmalrats ICOMOS schaffen, die sich derzeit in Berlin den Welterbestätten des 20. Jahrhunderts widmet (nur noch heute, Altes Stadthaus, 9–21 Uhr). Die Zeit drängt: sonst sorgen in Russland Gleichgültigkeit und mangelnder Bauunterhalt dafür, dass die wegweisenden Bauten der Konstruktivisten zerfallen. Jürgen Tietz

TU-Architekturgebäude, Straße des 17. Juni 150, bis 15. Oktober.

Jürgen Tietz

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