zum Hauptinhalt

Ausstellung: Ehrenrettung der Föhre

Die Welt wollte immer nur Grunewald von ihm, sagte Walter Leistikow. Zum 100. Todestag widmet das Berliner Bröhan-Museum ihm eine Jubiläumsaustellung.

Das Begräbnis war ein Ereignis für die Berliner Kunstwelt. Brütend heiß der Hochsommertag, an jenem 29. Juli 1908, und in der von Max Slevogt mit Stoffbahnen schwarz verhüllten Berliner Secession in der Kantstraße waren sie alle versammelt, die Berliner Künstler, Sammler, Museumsdirektoren, um ihrem Kollegen Walter Leistikow die letzte Ehre zu geben.

Drei Jahre zuvor war Adolf von Menzel in der Rotunde des Alten Museums mit kaiserlicher Ehrung verabschiedet worden, erinnert Margrit Bröhan in ihrem Einführungstext. Doch: "Bewegender, weil der Geist von Freundschaft und Liebe, Schmerz und Dankbarkeit mehr als Verehrung, Respekt und Bewunderung zu rühren vermag, bleibt das letzte Geleit für Walter Leistikow." Er hatte sich im Alter von 43 Jahren am Ufer des Schlachtensees wegen einer unheilbaren Krankheit das Leben genommen.

"Die Welt will Grunewald von mir"

An der Zuneigung hat sich nicht viel geändert, wenn das Bröhan-Museum dem Meister der märkischen Seenlandschaften nun, zum 100. Todestag, eine erstaunlich reich bestückte Ausstellung widmet. Die Liebe des Publikums zum Magier der abendlich romantischen Grunewaldstimmungen ist ungebrochen, wie der Besucherzustrom der ersten Tage zeigt. Schon zu Lebzeiten hatte Leistikow halb beglückt, halb resigniert bemerkt: "Immer ja ist es noch so: Die Welt will Grunewald von mir, oder was sie darunter versteht." Und gleichzeitig erfreut vermeldet: "Ich wate im Geld".

Natürlich stehen die Grunewald-Bilder daher im Zentrum der Berliner Ausstellung. Die schwarzen Stämme im Bildervordergrund, die spiegelnde Fläche des Sees, der in abendlich-irrealen Farben leuchtende Himmel – das ist Leistikow, wie man ihn kennt und liebt. Doch daneben gibt es, gerade in den reichen Leihgaben aus Leistikows Geburtsstadt Bromberg, heute Bydgoszcz, sowie aus Posen und Torun, noch einen anderen Leistikow zu entdecken. Einen, der sich in der Frühzeit noch brav an den Kanon der damaligen Realismus-Schule hält, mit Motiven wie Schiffe im Hafen, Bauern auf dem Feld, Abend auf Helgoland. Und der auf Reisen in den Norden, nach Dänemark, der Heimat seiner Frau Anna Mohr, sowie Skandinavien, den nordischen Symbolismus entdeckt – da streifen Schwäne übers Wasser, und Wikingerboote recken ihre Schnabelhälse.

Es ist also eher das Kompendium des damaligen Zeitgeschmacks, das sich im Bröhan–Museum entfaltet – einschließlich eines dem Hauscharakter gemäßen Schwerpunkts bei Kunstgewerbe und Dekor. Auch Leistikow hat, beeinflusst durch skandinavische Vorbilder, zwischen 1897 und 1902 Teppiche und Tapeten, Wandschirme und Druckstoffe entworfen – um dann zu dem Schluss zu kommen: "Sie hat doch ihre Gefahren, diese Richtung auf das Decorative und das Ornament. Es kann zur Manier werden, man erstarrt am Ende darin.“

Der See als spiegelnde Fläche

Die Gefahr der Manier allerdings besteht auch in den so beliebten Seelandschaften. Dass Leistikow auch Dünen und Meerbilder, grandiose Berglandschaften und stille Felder gemalt hat – geschenkt. Man landet doch immer wieder vor den gleichen Bildern vom Grunewaldsee, vom Schlachtensee, vom Dianasee. Staunt über den Goldglanz, das geradezu giftige Gelb des Sees, das leuchtende Orange des Abendhimmels, vor dem die schwarzen Stämme, die schattigen Wipfel ein strenges Ornament bilden.

Den Formwillen in diesen vom Sujet her so anspruchslosen Bildern hat schon Leistikows Zeitgenosse Oscar Bie treffend bemerkt, wenn er 1904 im Aufsatz "Kunst und Künstler" schreibt: "Er hat das formale Wesen unserer verachteten Föhre erkannt, die das Gesetz ihres Gesamtbaus, den lange vorbereitenden Schaft mit der reichen Krone, in jedem scharf absetzenden Ast mit dem dicken Nadelbüschel wiederholt." Und nicht umsonst ist immer wieder auf den Einfluss japanischer Kunst im Werk von Walter Leistikow verwiesen worden: die Bergsilhouette als Ornament, die Kiefer als Ausrufezeichen, und der Pinselstrich so fein, dass der See als spiegelnde Fläche, nicht als bewegte Woge erscheint.

Tiefes Schweigen

Warum diese in der Schwebe zwischen Symbolismus, Neo-Romantik und Realismus entstandenen Bilder uns heute noch bezaubern? Weil es Sehnsuchtsbilder sind, die bei aller Künstlichkeit perfekt den Ton Matthias Claudius’scher Abendlieder treffen: Der Wald steht schwarz und schweiget, in jener letzten hellen Stunde vor der Nacht. Und weil die so kargen Landschaften der Mark, jenes flache Land aus Bergen, Wald und Wiesen, auch heute noch ihre Liebhaber finden, die, Fontane in der Hand, Leistikow im Kopf, ins Grüne streben, die Einsamkeit suchend, die sie in der Stadt vermissen.

Noch einmal ein Zitat von Oscar Bie: "Leistikow kehrt den Menschen den Rücken, um sie nie wieder mit seiner Kunst zu verfolgen. Denn die Landschaft wird lebendig, sie hat jenes tiefe Schweigen, das alle guten Landschaften haben und in dem der Mensch eine höchst störende Leblosigkeit bedeutete."

Bröhan-Museum, Schlossstr. 1a, bis 11. Januar, Di–So 10–18 Uhr, Katalog 25 €.

Christina Tilmann

Zur Startseite