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Ausstellung: Gitter und Geschäfte

Nachrichten aus dem Knast: Eine Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken reizt zum Debattieren.

Uli Edels letzte Woche gestarteter RAF-Film evoziert die bekannten Reflexe: Fotostrecken in den Magazinen, Talkshows, erhitzte Fragen nach Schuld und Sühne, späte Kämpfe. Das gab es zuletzt 2005, als die Kunst-Werke in der Ausstellung „Zur Vorstellung des Terrors“ künstlerische Formen der Auseinandersetzung mit dem deutschen Herbst präsentierten. Nun ist in der Auguststraße wieder eine Schau zu sehen, die zum Debattieren reizt: „Geschlossene Gesellschaft“ zum Thema Inhaftierung, Ausgrenzung, Verlust von Freiheit.

Guantánamo, St. Quentin und Barbies Gestapo-Gefängnis in Lyon kommen darin vor. Stuttgart-Stammheim aber nicht. Nach der handfesten Polit-Schau vor drei Jahren geben sich die Kunst-Werke nun elegisch. Mit „Geschlossene Gesellschaft“ erweist sich Susanne Pfeffer zwar wieder als exzellente Kuratorin mit Gespür für Themen. Doch hätte man sich eine stärkere Konfrontation mit der Wirklichkeit gewünscht: Wieviel Gefängnis verträgt eine Gesellschaft?

Den USA kann es nicht genug davon geben, denn der privatisierte Knast stellt eine veritable Einnahmequelle dar. Allein im Bundesstaat Ohio gilt das Gefängnis als drittstärkster Wirtschaftsfaktor. Auch in Hamburg wird gerade die Privatsierung diskutiert. Insofern könnte man die Ausstellung in den Kunst-Werken auch als Warnung, als Erinnerung an jene verschlossene Kammer im sozialen Körper sehen. Auslöser für „Geschlossene Gesellschaft“ war jedoch ein Werk von Chloe Piene, die eher für ihre fragilen Zeichnungen einen Namen hat. Die New Yorker Künstlerin unterhielt vier Jahre lang mit einem Gefangenen in der Lorrain Correctional Facility eine telefonische Beziehung. Seine Worte aus den in die Wand eingelassenen Lautsprechern sind zwar kaum zu verstehen, doch man ahnt, dass hier jemand dringend Nähe sucht und die Welt draußen immer weniger begreift.

Das Nichtwissen, Nichtverstehen gilt auch umgekehrt. Vom holländischen Künstlerduo Jeroen de Rijke und Willem de Rooij stammt die Diainstallation „Orange“. Genau 81 Mal werfen sie diese Farbe in verschiedenen Variationen an die Wand – als ein Versuch, den Ton der Häftlingsanzüge von Guantánamo zu treffen. Natürlich gelingt es ihnen nicht, denn Guantánamo bleibt ein Unort, ein schillernder rechtsfreier Raum. Der italienische Künstler Gianni Motti nähert sich ihm auf dem umgekehrten Weg. Mit seinem „Memorial“ für die „Opfer der Guantánamo Bucht“ nennt er alle 759 Namen, welche die US-Regierung am 23. Februar 2006 nennen musste, nachdem die Nachrichtenagentur Associated Press vor Gericht gezogen war. Seine acht gravierten Aluminiumtafeln erinnern bewusst an das New Yorker Mahnmal für die Opfer des 11. September 2001. Gregor Schneider imaginiert dagegen die Zellen der Guantánamo-Häftlinge nach Bildern aus dem Internet. Die von ihm nachgebauten acht Räume mit Bett, Metallbecken und WC holen das Gefängnis keineswegs näher heran. Im Gegenteil: Diese Konkretion entrückt den Ort nur noch weiter.

Gemeinsam ist den Arbeiten eine große Ratlosigkeit und Scheu. Neben der Anteilnahme steht immer der Kitzel, das voyeuristische Moment. Zwar gibt Wolfgang Plöger den Todeskandidaten aus Texas, deren letzte Worte er mit ratternden Projektoren als 16-mm-Film an die Wand wirft, den Schutz der Anonymität. Aber letztlich spielen Namen keine Rolle. Was zählt, ist die bizarre Authentizität. So liest der Besucher „Stay strong. I love my family. Watch over each other“ oder „I’m innocent, innocent, innocent“ und darf sich schaudernd wenden.

Auch Fiona Tan operiert mit den widersprüchlichen Gefühlen zwischen Neugierde und Abgrenzung. Sie filmte rund 300 Insassen, Wärter und Beschäftigte in amerikanischen Gefängnissen jeweils 40 Sekunden lang. Diese fast regungslosen Videoporträts sind überlebensgroß in der großen Ausstellungshalle in oktogonaler Anordnung präsentiert. Sofort beginnt der Besucher in den Gesichtern zu lesen, sieht die ganze Ergebenheit in das System und erlebt an sich den klassischen Reflex: Gut, dass ich das nicht bin!

Um eine konkrete Auseinandersetzung mit der Problematik Gefängnis geht es der Ausstellung nicht, eher um die Darstellung eines gesellschaftlichen Phänomens, das ansonsten in der Kunst kaum eine Rolle spielt. Wie fern diese Welten einander sind, kommt in Clemens von Wedemeyers Remake des Films „Big Business“ mit Insassen der sächsischen Justizvollzugsanstalt Waldheim zum Ausdruck. Wedemeyer ließ die Gefangenen in Anlehnung an Stan Laurel und Oliver Hardy ein Haus und ein Auto demolieren. Im dazu gestellten „Making of“ erklärt der Gefängnisdirektor noch allen Ernstes, dass dieses Projekt sicher dem besseren gegenseitigen Verständnis diene. Komisch ist das eigentlich nicht.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 16. 11.; Di-So 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr.

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