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Ausstellung: Islamische Bildwelten im Martin-Gropius-Bau

Schon der Versuch ist so bedeutsam wie riskant: Im Martin-Gropius-Bau realisieren die Berliner Festspiele einen lange gehegten Plan und erforschen den weiten Horizont der Kunst des Islam von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Es gibt Ausstellungen, die die Welt oder einen Ausschnitt von ihr erklären, die einen mitnehmen auf eine Forschungsreise ins Vergangene. Dazu gehörte jüngst die hervorragende Präsentation der griechischbuddhistischen Gandhara-Kultur im Martin-Gropius-Bau. „Taswir – Islamische Bildwelten und Moderne“ am gleichen Ort ist nun von anderer Art, eher der Meditation dienend als der Wissensvermittlung, geografisch kaum zu greifen.

Diese Ausstellung will einen Kosmos umarmen. Sie gleicht einem poetischen Parcours und muss ihren Gegenstand erst einmal einkreisen. Denn der Begriff islamische Kunst, der hier zwar vermieden, aber doch angespielt wird, ist missverständlich, ungenau und durch die westliche Perspektive geprägt. Der „Orientalismus“, wie Edward Said ihn beschrieben hat, war eine im 19. Jahrhundert entstandene Modeerscheinung und zugleich eine politische Waffe der Kolonialmächte. Ganz frei davon ist unser Blick heute immer noch nicht.

„Taswir“ bedeutet im Arabischen, Persischen und Osmanisch-Türkischen Bild, aber auch Täuschung, Illusion, Trugbild. Darin spiegelt sich das kritische Verhältnis islamischer Kulturen zur gegenständlichen Darstellung des Menschen, bis hin zum Bilderverbot. Auch das Judentum und – in einer lange zurückliegenden byzantinischen Epoche – die christliche Religion kennen dieses Tabu. Eine mogulindische Miniatur aus dem 18. Jahrhundert wiederum bildet den Propheten mit vollen Gesichtszügen und einem portugiesischen Hut ab. Und wirft die Frage auf, was Begriffe wie Moderne und Globalisierung heute eigentlich bedeuten.

Islamisches Bildverständnis zielt ins Abstrakte, was schon Modernität impliziert. Es gehorcht den Prinzipien Kalligrafie, Ornament und Miniatur. Dabei handelt es sich nicht allein um handwerklich-künstlerische, sondern auch philosophische Kategorien, die miteinander kommunizieren und ineinander übergehen. „Taswir“ lockt in ein Labyrinth von Schrift und Bildsprache und Klang: Der Komponist Oliver Schneller hat eine akustische Karte der Blauen Moschee von Istanbul erstellt, da wird der Ton zum Bild, zum inneren Bild.

Achtzehn Räume bespielen die Kuratoren Almut Sh. Bruckstein Coruh und Hendrik Budde; eine strukturalistisch flirrende Philosophin und ein klassischer Kunsthistoriker. Das allein schon erzeugt Spannung. In einer Kooperation der Berliner Festspiele mit „ha’ atelier“, der in Berlin ansässigen „Werkstatt für Philosophie und Kunst“, entstand diese Ausstellung. Almut Sh. Bruckstein Coruh gehört zu den Gründern von „ha’ atelier“, wo man sich auf eine „Renaissance jüdischer und islamischer kosmopolitischer Traditionen innerhalb und außerhalb Europas“ kapriziert. Hendrik Budde hat bereits vor zwanzig Jahren an der monumentalen Schau „Europa und der Orient“ im Gropius-Bau mitgewirkt.

Inzwischen begnügt man sich nicht mehr mit einem rein kulturhistorischen Ansatz, das zeigt auch die noch sehr luftige Debatte um das Humboldt-Forum. Was einmal als exotisch galt oder eben orientalisch, begegnet einem jetzt auf Augenhöhe. Sogenannte kultische Objekte fremder Welten werden in den Rang von Kunstwerken erhoben, während westliche Artefakte ihren scheinbar angeborenen Nimbus der Überlegenheit verlieren. Es ist die Konfrontation von Säkularem und Religiösem. Kuratoren allerorten sprechen freilich lieber von Dialog.

Und so treffen hier Werke von Zeitgenossen und kostbare antike Stücke, deren Schöpfer in der Regel anonym geblieben sind, aufeinander. Das Neue scheint allerdings so ausgewählt, dass es das Alte spiegelt. Ein Mäandern der Buchstaben, der Zeichen und Wunder, die um den Gedanken der Schöpfung kreisen. Es spielt dabei keine Rolle, wo der Rundgang durch „Taswir“ beginnt, eine Chronologie oder Hierarchie existiert nicht. Mitte ist überall. „Der Ausgang führt hinein“, wie der amerikanische Mystiker Philip K. Dick einmal eine seiner Geschichten betitelt hat. Man könnte auch an Borges denken und seine göttliche Vision von Büchern und Bibliotheken.

Der erste Raum ist dem Koran gewidmet. Ein kleines kalligrafisches Kabinett mit herrlichen kufischen Werken, die Fläche wird zur schwebenden Räumlichkeit. Das Prachtstück kommt aus Paris aus der Bibliothèque Nationale: ein nordafrikanischer Purpur-Koran des 14. Jahrhunderts, die Suren sind mit silberner Tinte geschrieben, die Namen der Verse mit Gold herausgehoben. Nebenan Picassos rote Übermalungen eines handschriftlichen Gedichtzyklus von Pierre Reverdy, „Le chant des Morts“. Totengesänge. Natürlich kann man fragen, warum Picasso? Warum hängt eine Serigrafie von Marcel Broodthaers, „La Signature“ (1969), auf der der Künstler seine Initialen wiederholt, neben einer ägyptischen Kalligrafie aus dem 10. Jahrhundert, die auf einem Leinen-Seide-Untergrund eine Horizontlinie beschreibt?

Kuratorenwillkür und Kuratorenfantasie balancieren immer auf einem denkbar schmalen Grat. Hier aber wirkt das Gesamtbild harmonisch, die Irritationen haben nichts Destruktives, vielmehr scheint sich das Zeitgenössisch-Moderne den traditionellen Schriftbildern zuzuneigen. Die Aura des Alten bleibt unangetastet und wird durch die neuen Schriftproben eher noch verstärkt.

Im letzten Raum – man kann ihn eben auch zuerst betreten – empfängt den Besucher eine white box. Der Libanese Walid Raad legt in weißer Schrift auf weißer Wand ein „Archiv“ libanesischer Künstler an. Namen in endloser Reihe, ohne Komma und Punkt. Von Roland Barthes stammt ein Satz, der den Weg weist: „Damit sich die Schrift in ihrer Wahrheit offenbart ... muss sie unlesbar sein.“

Über all den divergierenden Ausdrucksformen – vom tänzerischen Notat der Menschenrechte des Choreografen William Forsythe zu den Variationen über die Kaaba von Mekka – schwebt ein diffuser Gottesbegriff, eine Sehnsucht, im unendlichen Nichts aufzugehen. Davon kündet ein tausend Jahre altes arabisches Astrolab aus Toledo ebenso wie Rebecca Horns Urknall-Chaos-Zeichnungen „Waiting for Absence“. Wolfgang Laibs, des Beuys-Schülers, Arbeit „Die fünf unbesteigbaren Berge“, aufgehäuft aus goldgelbem Blütenstaub der Haselnuss, verbreitet subtil schamanische Wirkungsmacht. Eine seltsame Verkehrung: Manchmal entströmt den Werken westlicher zeitgenössischer Künstler mehr greifbare Religiosität, mehr religiöses Wollen als dem einen oder anderen antiken islamischen Stück. Dort ist man sich der eleganten, souveränen Linie sicher, hier wird sie gesucht.

Der türkische Künstler Murat Morova lässt auf einer dreigeteilten Leinwand menschliche Körper aus arabischen Schriftzeichen entstehen, wie sie in Sufi-Manualen des 13. und 14. Jahrhunderts verwendet wurden. Die transzendenten Körper vereinigen sich, es ist ein subtiles Ballett kopulierender Buchstaben, eine Begegnung von Comic-Strip und Kalligrafie. Dieses Werk, 2004 entstanden, fängt den libidinösen Geist der Ausstellung aufs Schönste ein.

Persische Poesie hat schon Goethe den Kopf verdreht. Die Liebesgeschichte des Prinzen Bahram Gur und seiner sieben Prinzessinnen ist mit einer herrlichen Miniatur aus Shiraz (15. Jahrhundert) vertreten. Auf Teppichen im Lichthof des Gropius-Baus tauchen die sieben Farben der Zeichnung wieder auf: „Taswir“ ist ein Garten von Zitaten und Verweisen. Auf die Träumerei folgt der Schock: Hayv Kahmaran, eine in den USA lebende Irakerin, zeigt einen Lebensbaum, der zum Galgen wird. An den Ästen hängen verschleierte Frauen. „Honour Killings“ heißt das Bild. Tiefschwarz, raumfüllend die Fotowand des Palästinensers Taysir Batnij. Porträts von Frauen, Kindern, Männern, die beim israelischen Angriff auf Gaza starben.

Der Boden schwankt, Schwindelgefühl stellt sich ein angesichts der überirdischen Schönheit, die sich hier ausbreitet, und der barbarischen Gewalt, die in den religiös-kulturellen Traditionen steckt.

Martin-Gropius-Bau, Do 5.11. bis Mo 18.1., Mi-Mo 10-20 Uhr, 8 €, erm. 6 €.

Rüdiger Schaper

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