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Ausstellung: Krise und Kontrast

Stuttgarts Staatsgalerie war ein Sanierungsfall. Jetzt setzt die Sammlung neue Akzente. Die Frage aber lautet: Sind damit die Besucher zu locken?

Endlich. Dieses Wort hat das Stuttgarter Kunstpublikum in den vergangenen Monaten wie eine Art Mantra vor sich hin gemurmelt, auf dass es sich in einer Art selbst erfüllender Prophezeiung realisieren möge. Jetzt ist es also da, dieses Wort. In leuchtend grünen Großbuchstaben steht es auf der Fassade der Staatsgalerie: „Endlich diese Übersicht“. Eigentlich kündigt der Titel nur eine Neuordnung der Sammlung an. Und doch ist sie das vorläufige Ende einer langen Geschichte, die vor drei Jahren begann, als der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger Sean Rainbird, Senior Curator an der Tate Gallery London, als neue Lichtfigur der Stuttgarter Museumsszene annoncierte. Ab November 2006 solle er die Geschicke der Staatsgalerie leiten, ein hervorragender Mann und bestens geeignet, das Museum in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Man durfte gespannt sein.

Sein Vorgänger Christian von Holst verabschiedete sich mit einer Monet-Ausstellung, die der Staatsgalerie noch einmal 260 000 Besucher und einen warmen Geldregen bescherte. Dann sollte der Brite übernehmen. Was genau er da übernahm, stellte sich erst nach und nach heraus. Der Landesrechnungshof fand heraus, dass von Holst seinen Personalstamm über Jahre hinweg überzogen hatte. Der klassizistische Altbau der Staatsgalerie wurde zum Sanierungsfall erklärt. Das Budget reichte prompt nicht mehr für teure Sonderausstellungen. Rainbird ruderte zurück. Sein Programm wurde eingedampft, ambitionierte Projekte vertagt.

Die Zeichen, die Rainbird im ersten Amtsjahr setzte, ließen eine klare Handschrift vermissen. Seine erste Schau – eine Kooperation mit dem Wadsworth Atheneum Museum of Art in Hartford, Connecticut – versprach nichts weniger als „Die Erfindung der amerikanischen Malerei“, und doch blieb diese „Neue Welt“ aus dem 19. Jahrhundert blass. Bei der beachtlichen Retrospektive des Videokünstlers Stan Douglas kam der Württembergische Kunstverein als innerstädtischer Kooperationspartner erheblich besser weg. Die Sonderausstellung „Pop Art Portraits“ – von der National Portrait Gallery in London übernommen – musste ohne Spitzenwerke auskommen.

Die Bilanz des Ausstellungsjahres 2007 fiel ernüchternd aus; gegenüber dem Vorjahr ging die Besucherzahl um 100 000 zurück. Nach fast drei Jahren gespannten Wartens überraschte Sean Rainbird dann im Frühjahr 2008 mit einer Äußerung, bei der selbst wohlgesinnten Kritikern der Kragen platzte: „Ich lege meine Karten noch nicht auf den Tisch“ – ein Offenbarungseid, der über die Landesgrenzen hinaus für Spott sorgte.

Nun aber macht sich die Staatsgalerie Luft: „Endlich diese Übersicht“. Ein Versprechen: Endlich ist ein Großteil der Bauarbeiten im alten Teil der Staatsgalerie abgeschlossen, endlich kann die Sammlung wieder in ihrer ganzen Breite gezeigt werden. Die „Übersicht“ scheint Museumsdirektor Rainbird indes weniger wichtig zu sein. Stattdessen durchsetzt er die fortschreitende Kunstgeschichte durch Zeitsprünge. Fast nichts ist mehr da, wo es vorher war. Und das ist das vielleicht größte Verdienst dieser Neuordnung.

Was bisher brav auf die klassizistischen Räume der Alten Staatsgalerie und die postmodernen Säle des Stirling-Baus verteilt war, findet nun zueinander. Gleich im ersten Saal begegnen sich Fra Angelicos „Wunderbare Speisung der Dominikaner“ (von 1440), Giorgio de Chiricos „Metaphysisches Interieur mit großer Fabrik“ (1916) und eine Arbeit Giulio Paolinis von 1979. Zwei Räume weiter prallen Lucas Cranach der Jüngere und Otto Dix aufeinander.

Die historisierende Enfilade in der Neuen Staatsgalerie eröffnet neue Perspektiven, die Ecksäle sind ihre Fixpunkte: Hier der Beuys-Raum mit seinen großen Installationen, dort die Gemälde von Max Beckmann. Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ ist nun auf einer kleinen Bühne im Altbau zu sehen, während Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue II“ sich gemeinsam mit On Kawaras Datumsbildern gegen den mächtigen „Herrenberger Altar“ von Jörg Ratgeb von 1519 behaupten müssen. Diese Konstellationen funktionieren in den meisten Fällen. Sie animieren den Besucher, sich stärker auf die Werke selbst einzulassen.

Die Neupräsentation ist zwar streitbar – und vielleicht gerade deshalb gelungen. Die entscheidende Frage aber lautet: Reicht es, in erster Linie mit der Sammlung zu arbeiten und Sonderausstellungen als Nebensache zu betreiben? Sind damit genügend Besucher in dieses große Haus zu locken? Und kann sich Stuttgart damit in die Liga der internationalen Museen zurückspielen? Die hervorragende Sammlung der Staatsgalerie kann vieles, aber das schafft sie nicht allein. Ende September ist eine große Matisse-Ausstellung geplant. Die Hoffnung bleibt.

Informationen: www.staatsgalerie.de

Ralf Christofori

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