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Ausstellung: Zauber des Alltags

Die Sommerausstellung der Berliner Kunst-Werke ist eröffnet. In einer Doppelaustellung wird die Skulptur als Mittler des Raumes gehuldigt.

Dass der letzte Handwerker gerade noch mit Pinsel und weißer Farbe in den Ausstellungsräumen hantiert – wie passend. Und mindestens ebenso passend, dass die Sommerausstellung der Berliner Kunst-Werke in der Auguststraße parallel zur großen Sugimoto-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie stattfindet.

Die Wirklichkeit bearbeitet

Auch die Leipziger Fotografin Ricarda Roggan, die mit "Still Life“ erstaunlicherweise jetzt erst ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland erhält, hat zu Pinsel und weißer Farbe gegriffen. Und hat an die Wand eines Kellers weiße Fenster und Türen gemalt. Oder besser: irritierend glatte weiße Rechtecke, die an Fenster erinnern. Und doch gleichzeitig immaterielle Felder bilden, vor der so realen, greifbaren Wand aus abgestoßenenen Backsteinen. Man fühlt sich an Sugimotos Autokino-Reihe erinnert, bei der die einen ganzen Film über in Dauerbelichtung aufgenommene Kinoleinwand zur strahlend weißen Fläche wird, zum Tor für die eigene Imagination.

Ganz ähnlich geht Ricarda Roggan vor. Nur, dass die Hauptarbeit hier nicht mit der Kamera stattfindet, sondern vorher. Die 1972 geborene Leipzigerin fotografiert analog, auch wenn ihre Bilder unverschämt bearbeitet aussehen. Doch bearbeitet ist nicht der Film, sondern die Wirklichkeit. Egal, ob sie Räume für ihre Fund-Möbel baut oder einen Dachboden säubert und streicht – Roggan arbeitet ein Jahr an einer Serie, und am Ende sind Bilder entstanden, die zu den beunruhigendsten der zeitgenössischen Fotoszene zählen. Erstaunlich, dass diese Künstlerin immer noch nicht bekannter ist.

Bei dem Einzelfoto "Stall“ wirkt ein mit Bindfaden durch den Raum gespanntes Gitter wie ein Raster, mit dem Maler ihr Motiv übertragen. Die demolierten, mit Planen zugedeckten Autos in "Garage“ haben etwas Monströses, Unheimliches, als könnten sie jeden Moment lebendig werden. Der Wald in "Bäume“ hingegen ist ganz still, es regt sich kein Blatt, und doch wuchern Laub- und Nadelbäume durcheinander. Die ultimative romantische Kindertraumszenerie ist der Dachboden aus "Attika“: Schwarzbilder fast, ein schimmerndes Dunkel aus Balken, Latten und Dachpfannen, und das Licht, das durch die Ritzen fällt, zeichnet ein zartes Muster. Die Skulptur als Mittler des Raumes

Alltagsräume, die sich in eine Bühne verwandeln, Alltagsgegenstände, die ein Eigenleben entwickeln, Vereinzelung des Banalen, aus der Bedeutung entsteht – Ricarda Roggan arbeitet, ähnlich wie der gefeierte Thomas Demand oder der Österreicher Lois Renner, an ihrer ganz persönlichen Nachbildung und Vermessung der Welt. In Berlin hat sie nun einen kongenialen Gegenspieler in Albrecht Schäfer, dem die zweite Einzelausstellung in den Kunst-Werken gewidmet ist. Geniale Zusammenstellung: Eine Fotografin, die skulptural denkt, ein Bastler, der den Raum verändert, und dazu noch frühe Filme des Bildhauers Richard Serra, der einmal gesagt hat: "Wahrscheinlich musste ich diese Filme drehen, um mir den Unterschied zur Skulptur noch deutlicher zu machen.“

Auch Albrecht Schäfer stößt imaginäre Tore auf, wenn er im Obergeschoss der ehemaligen Margarinefabrik die Fensteröffnungen mit Papier überspannt. Wie Projektionen stehen die weißen Rechtecke auf der Wand, veränderlich je nach Licht und Wolken. Wo Ricarda Roggan Alltagsgegenstände im Raum zur Skulptur erhebt und dann ablichtet, verwandelt der 1967 geborene Schäfer den realen Raum in eine Skulptur.

Etwa, indem er Dachlatten ins erste Obergeschoss der Kunst–Werke spannt, und da die Räume über ein Tonnengewölbe verfügen, bildet der Lattenzaun eine sanfte Welle nach, die gleichzeitig als Raumteiler funktioniert. Dahinter lässt Schäfer einen Beamer im Raum pendeln, angetrieben durch die Lüftungsschwingungen, so dass das Bild, welches er an die Wand wirft, ein Vogel, der durch Wolken fliegt, selbst zu schweben scheint.

Zwei Minimalisten am Werk

Noch eindrucksvoller ist seine "Trilogie der Alltagsgegenstände“. Es ist die Rückführung der Ikea-Moderne auf ihren skulpturalen Kern. Eine der billigen Papierlampen des japanischen Architekten Noguchi bildet, auseinandergeschnitten, ein Kreismuster auf dem Boden, mit der Glühbirne als Kern. Zwei Lamellen-Jalousien verschränkten sich zu einer Säule, die an Constantin Brancusi erinnert. Und banale Rattanmöbel, auseinandergenommen und neu verflochten, stehen wie kostbar schimmernde Pakete im Raum. Billiges Ausgangsmaterial, simple Technik, spektakuläre Wirkung. Hier sind zwei Minimalisten am Werk, die mit ihrer Arbeit maximale Wirkung erzeugen.

Kunst-Werke, Auguststraße 69, bis 7. Sept., Di bis So 12 bis 19 Do bis 21 Uhr.

Christina Tilmann

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