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bellmer

© Galerie Berinson

Berlin-Karlshorst: Ehrenfelsstraße 8

Bevor Hans Bellmer in Paris Surrealist wurde, erfand er in Karlshorst seine Kunst. Jetzt wird er dort gewürdigt.

Eine gewöhnliche Hausreihe, wie es sie viele in den Zwanziger-Jahre-Siedlungen Berlins gibt. Vielleicht sieht die Ehrenfelsstraße gleich hinter der S-Bahn-Station von Karlshorst nur ein wenig ordentlicher aus. Blässlich-gelber Anstrich, mit dem die Bauten frisch übertüncht worden sind. Akkurat steht vor jedem Haus eine Briefkasten-Box und rechts vom Gartenweg der immergleiche Verschlag für den Müll. Jahrelang durften hier nur Menschen mit Passierschein hin; die Rote Armee hatte den gesamten Block einfach requiriert.

Seit die russischen Soldaten verschwunden sind und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben die Geschäfte führt, ist normales Leben zurückgekehrt: Spitzengardinen, Trockenblumen auf der Fensterbank und Essensgeruch im Treppenhaus. In der kleinbürgerlichen Behaglichkeit fällt nur eines auf: das frisch in den Putz eingelassene Schild am Haus Ehrenfelsstraße 8 a. „Berliner Gedenktafel“ steht da, wie man sie von vielen Fassaden kennt. Sie erinnern an Künstler, Schriftsteller, Schauspieler, die hier einmal lebten. Meist deuten die Lebensdaten an, dass die Bewohner gerne geblieben wären, aber im „Dritten Reich“ zur Emigration gezwungen worden sind. Eine Gedenktafel in Lichtenberg ist zusätzlich eine Besonderheit, denn hier wohnte kaum jemand, dessen Kulturleistung besonderer Erwähnung wert gewesen wäre, die Bohème war eher in Charlottenburg, Tiergarten oder Schöneberg zu Haus.

Dem einstigen Bewohner der Ehrenfelsstraße 8 a dürfte die Abgeschiedenheit durchaus recht gewesen sein, immerhin blieb er acht Jahre. Auf dem 42,50 mal 60 Zentimeter großen, weißen Porzellanschild von KPM steht nun in preußisch Blau: „In diesem Haus lebte von 1930 bis 1938 der Graphiker, Zeichner, Maler und Photograph Hans Bellmer, 13.3.1902 - 24.2.1975. Weltruhm erlangte er durch seine Photographien der beiden Puppen die er hier zwischen 1933 und 1937/38 konstruierte und in surreal-erotischen Situationen inszenierte. 1938 verließ er Deutschland und ging nach Frankreich.“

Heute um elf wird die Tafel offiziell enthüllt. Bellmers Tochter Doriane wird anwesend sein, ebenso der Berliner Kunsthändler Henrik A. Berinson, der die späte Ehrung initiierte. Auch Juliette Scharf hat ihr Kommen zugesagt, die Hüterin der Sammlung Scharf-Gerstenberg, die ab Juli im ehemaligen Ägyptischen Museum in Charlottenburg zu sehen sein wird und zahlreiche Werke Bellmers besitzt. Die Rede hält Werner Spies, Experte für Max Ernst, neben Bellmer der andere große deutsche Surrealist in Paris. „Wir begehen einen wichtigen Tag: eine Heimkehr“, so Spies. Tatsächlich wird Bellmer kaum mit Berlin, eher mit den Pariser Surrealisten in Verbindung gebracht.

Dabei konstruierte Bellmer genau hier, im kleinen Lichtenberger Zwei-Zimmer-Apartment seine Figurinen, mit denen er einerseits gegen den tyrannischen Vater opponierte, andererseits die Reize seiner 15-jährigen Kusine Ursula Naguschewski sublimierte. Der strenge Vater hatte den künstlerisch hoch begabten Sohn 1922 aus seiner Heimatstadt Kattowitz an die Technische Hochschule in Berlin verbannt. Doch Bellmer lag das Ingenieursstudium nicht. Vermittelt durch George Grosz, fing er 1923 als Grafiker beim Malik-Verlag an, ja eröffnete in seiner Karlshorster Wohnung schließlich sogar eine Atelier für Werbezeichnungen, das er bis 1933 unterhielt. In diesem Jahr fasste er einen folgenschweren Entschluss: „Als Verweigerung gegenüber dem deutschen Faschismus und der Aussicht des Krieges: Einstellung jeglicher gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten.“ Seine Antihaltung gegenüber dem Staat führte künstlerisch zum Befreiungsschlag. Die erste Gliederfigur aus einem hölzernen Gerüst und einem Korpus aus Werg entstand, angeregt durch einen Besuch von „Hoffmanns Erzählungen“ im Deutschen Theater und Kokoschkas Alma-Mahler-Ersatz in Gestalt einer Puppe, die dieser immer wieder malte. Bellmer fotografierte seine Figur in immer neuen Posen, grotesk verdreht, mit absurd verdoppelten Brüsten und Beinen. Als Hintergrund nahm er die Banalität seines Karlshorster Quartiers: die Küche, die Zimmertür, den Kartoffelkeller, die Blümchentapete. Die Fotografie steigerte den voyeuristischen Effekt und führte zur mystischen Belebung eines eigentlich toten Gegenstands.

Die Surrealisten in Paris waren von den Aufnahmen sogleich fasziniert, druckten sie in ihrem Magazin „Le Minotaure“ und drängten den Geistesbruder zum Umzug nach Paris. Und doch hat Bellmer, der zumindest seine zweite Puppe mitnahm, nach der Karlshorster Zeit nie mehr fotografiert, sondern seine erotischen Fantasien nur noch in altmeisterlichen Zeichnungen ausgelebt. Paris brachte dem Künstler kein Glück, auch dort blieb er verkannt. Bis Mitte der Sechziger, als die Kestner-Gesellschaft in Hannover an ihn mit einer großen Ausstellung erinnerte und in Deutschland seine Grafik plötzlich nachgefragt war, wohnte er mit seiner Lebensgefährtin Unica Zürn in einer ärmlichen Mansarde.

Von seinen Fotografien aber, die er in zwei kleinen Bändchen aufgelegt hatte, verkaufte er zu Lebzeiten keine einzige Aufnahme. Heute ist er gerade für sie bekannt; erst kürzlich wurde auf einer Fotoauktion der Rekordpreis von 300000 Dollar erzielt. Das zweite Fotobändchen mit den berühmten handkolorierten Abzügen, das 1949 in Paris erschien, gab übrigens ein anderer Berliner Emigrant heraus: Heinz Berggruen, der damit seinem Landsmann helfen wollte. Auch da schließt sich ein Kreis, denn natürlich befindet sich ein Exemplar von „Les jeux de la Poupée“ in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, die genau gegenüber dem Berggruen-Museum im anderen Stüler-Bau eröffnen wird. Dann ist Bellmer wirklich nach Berlin zurückgekehrt.

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