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© Vera Mercer

Photographie: Berliner Fotoausstellungen zelebrieren die Kunst des Stilllebens

Früchte, Blumen, tote Tiere. Die Fotos leben, spielen mit den Symbolen der Vanitas - die kaum noch jemand versteht.

Vera Mercer macht Stillleben. Ja, es geht irgendwie um das Leben, das wird sofort klar. Von „still“ kann allerdings keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Man wird in Mercers Ausstellung in der Kommunalen Galerie Berlin Zeuge eines Kampfes zwischen Aufblühen und Verdorren, Leben und Tod. Die Fotografien der 73-jährigen Wahlamerikanerin entsprechen bis in die Motive hinein den symbolgeladenen barocken Stillleben – Früchte, zerlegte Tiere, Blumen. Auch in den Arbeiten anderer zeitgenössischer Fotografen wird zurzeit mit klassischer Bildsprache inszeniert. Ist das Stillleben ein neuer Trend in der Fotografie?

Auf einem Foto von Vera Mercer begegnet man einem toten Hahn, er hat den bunt gefiederten Kopf auf seine Krallen gelegt, neben einem schimmelnden Käse. Grüne, saftige Blätter ragen in das Memento-mori-Ensemble hinein, als wollten sie Platz schaffen für neues Leben. Das Junge, Frische trifft hier auf das Verwelkende, Tote – und löst es ab.

„Vanitas“, Vergänglichkeit, ist eins der ersten Worte, die Kurator Matthias Harder bei der Vernissage benutzt. Auch für Grusel ist gesorgt: Der geheime Star der Ausstellung ist das Bild eines abgetrennten Schweinekopfs mit herausgeschnittenen Augen, der mit zufriedenem Gesichtsausdruck auf einer Platte serviert wird, gemeinsam mit einer Hyazinthe und einer feigenartigen Frucht. Wem fiele da nicht der Begriff „Dekadenz“ ein?

„Der Schweinekopf hängt auch in meinem Restaurant in Omaha“, sagt Mercer, die im Berlin der dreißiger Jahre als Vera Merz geboren wurde und sich später einen Künstlernamen zulegte. Mit Daniel Spoerri war sie in den sechziger Jahren nach Paris gezogen und hatte Künstler wie Niki de Saint-Phalle und Jean Tinguely kennengelernt. Spoerri hatte später „Eat Art“, Esskunst, populär gemacht.

Heute lebt Vera Mercer in Nebraska. „Am Anfang jedes meiner Bilder steht ein totes, essbares Tier“, sagt sie. Erst wenn sie das habe, mache sie sich Gedanken darüber, wie sie das Stillleben arrangiert. Viele klassische Stilllebensymboliken finden sich auf ihren Fotos wieder, Chiffren, die im 17. Jahrhundert zum erzieherischen Auftrag gehörten, dem sich die Künstler verpflichtet fühlten. Man wollte den Menschen Demut und Gottesfurcht durch eine Reihe von Bildsymbolen einimpfen. Abbrennende Kerzen etwa waren ein Zeichen für den Tod, Obst stand für den biblischen Sündenfall.

Diese Symbolik liegt Vera Mercer fern. „Ich finde meine Bilder schön und denke nicht an Botschaften darin“, sagt sie. Auch mit dem Tod habe ihre Kunst wenig zu tun, sondern vielmehr mit „Essen, Form und Farbe“. Das war es schon? Bunte Fotos, postmoderne Deko, ohne tieferen Sinn? Fast mag man es nicht glauben angesichts der Genauigkeit, mit der die Künstlerin zitiert.

Vielleicht wird man im Künstlerhotel Bogotá in der Nähe des Kurfürstendamms schlauer, in dem derzeit eine Ausstellung unter dem Titel „Flowers“ zu sehen ist, mit Blumenbildern von Mercer und anderen Künstlern. Seit dem 15. Jahrhundert ist auch das Blumenstillleben eine wiederkehrende Bildgattung, aufgeladen mit verschlüsselten Botschaften. Der Bildband „Flower Power“ von Matthias Harder, der die Ausstellung begleitet, präsentiert Blumenbilder von 32 zeitgenössischen Fotografen. Einen „Trend“ würde Harder trotzdem nicht in dem Motiv sehen. „Wenn man nach etwas sucht, begegnet es einem überall.“

Dennoch finden sich in dem Band Referenzen zuhauf. Die Niederländerin Margriet Smulders oszilliert mit ihren klatschigen, teils bis zu zehn Meter breiten Blumenarrangements zwischen Impressionismus und flämischer Barockmalerei. Tendenzen zum klassischen Blumenstillleben finden sich bei Hans-Peter Feldmann und Luzia Simons; besonders ausgeprägt ist das Vanitas-Thema in den Langzeitbelichtungen von Michael Wesely, der die Evolution einer Blume ins Bild setzt.

Doch knüpfen die Künstler hier tatsächlich an das barocke Sendungsbewusstsein an? Teils werden die Botschaften in Harders Buch verkehrt und dekonstruiert, teils steht das Dekorative im Vordergrund. „Mit den Bedeutungen von damals wird in erster Linie gespielt“, erklärt der Autor. Denn Anknüpfen ließe sich an die klassische Bildsprache nicht mehr: „Frühere Generationen konnten Stillleben lesen, heute ist das Wissen um ihre Symbolik verloren gegangen.“

Vera Mercer bezeichnet ihre Kunst deshalb gerne als „altmodisch“ – wenngleich ihr Eklektizismus hochmodern ist. „Das Zitieren gibt den Künstlern von heute eine gewisse Sicherheit“, sagt Eva Bertram, selbst Fotografin und Dozentin an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin-Mitte. „Es bietet eine Orientierung in der medialen Bilderflut und ermöglicht den Künstlern, eigene Ideen in bereits für wertvoll befundene Genres einfließen zu lassen.“ Einen Trend stelle dies aber nur mit Vorbehalt dar, wenngleich die Zitattechnik „wellenförmig“ wiederkehre. Außerdem, ergänzt Matthias Harder, stehe heute eine unendliche Bandbreite von Genres zur Verfügung. Ein Paradies für Spurensucher.

Kommunale Galerie, Hohenzollerndamm 176, bis 25. April, Di.–Fr. 11–17 Uhr, Mi. 11 –19 Uhr. Hotel Bogotá, Schlüterstraße 45, bis 27. April.

Lars Dittmer

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