zum Hauptinhalt
Ein Ort auf Reisen. Bei Peles Empire wird in einem Fake-Schlossinterieur ausgestellt, hier mit Arbeiten von Alastair Mackinven und Benjamin Sauer.

© promo

Berliner Künstlerszene: Stadt der Vielflieger

Documenta, Biennale Venedig, Skulpturprojekte: Auf den Großausstellungen sind viele Berliner Künstler vertreten. Zwischen Wannsee und Mitte sieht man ihre Werke selten.

Die Frage, was macht eigentlich XYZ?, gehört zu den beliebtesten, die sich Magazine immer mal wieder stellen, um die Spur einstiger Prominenz aufzunehmen – oft mit überraschendem Ergebnis. Wenn sich Künstler das untereinander fragen, schwingt häufig die Besorgnis mit – na hoffentlich noch Kunst. Denn so schick und hip, wie ein Künstlerleben gilt, ist es häufig nicht. Über die finanziellen Bedrängnisse, die kreativen Sorgen, die mühsame Suche nach einer Galerie wird eher geschwiegen, nur bei der Angst ums Atelier, da reden alle freimütig mit, die darf es geben. Leider ausgerechnet in Berlin, wohin es die Kreativen aller Länder noch immer zieht und die Studioluft doch immer dünner wird angesichts der steigenden Mieten.

Im Super-Kunstjahr 2017 mit einer Doppel-Documenta in Kassel und Athen, den Skulptur Projekten in Münster, den Biennalen in Venedig, in Istanbul und Lyon, einer Akkumulierung an Groß-Ausstellungen, die es in dieser Konstellation nur alle zehn Jahre gibt, beantwortet sich die Frage von selbst, was Malerin X, Bildhauer Y und Videokünstlerin Z machen. Sie stellen im besten Fall aus, gehören zu den glücklichen Teilnehmern dieser auf lange Zeit wichtigsten Ausstellungen, womit sie einen wichtigen Punkt in ihrer Vita gemacht haben. Wer die Teilnehmerlisten studiert oder gleich zu den Ausstellungsorten reist, um die Kunst anzuschauen, macht die seit Jahren gar nicht mehr so erstaunliche Entdeckung: Viele Künstler stammen aus Berlin. Bei „Made in Germany“, der Mini-Documenta made in Hannover, ist es sogar über die Hälfte. Da kommt es immer wieder zu Doppelbesetzungen.

Viele Berliner sind gleich bei mehreren Großausstellungen dabei

Daniel Knorr, der für die Documenta eines der Signet-Werke schuf in Gestalt vom Fridericianum aufsteigender Wolken, ist auch in Hannover präsent – allerdings mit Bodenlachen aus farbigem Kunststoff, die dort ganz manierlich an der Museumswand hängen. Das Künstlerduo Peles Empire stülpt bei „Made in Germany“ sein Atelier als Pattern in einen ganzen Raum, in Münster wiederum verkleidet es nach dem gleichen collagierenden Prinzip ein kleines begehbares Giebelhaus, das auf einem Parkplatz steht. Während Nairy Baghramian bei den „Skulptur Projekten“ einen der beliebtesten Orte bespielt, den Vorplatz des Erbdrostenhofs, breiten sich bei der Documenta ihre rätselhaften Konstellationen in der großen Halle des Hessischen Landesmuseums aus.

Ein Doppel gibt auch Nevin Aladag mit ihren zu Musikinstrumenten umfunktionierten Möbeln im Athener Konservatorium, während sie auf der Biennale in Venedig den vielleicht bezauberndsten Film zeigt: wie sich mit Ziehharmonika, Tambourin, Schellen unter Einsatz von Wippen, Schaukeln und Karussell ein völlig neuer urbaner Sound zaubern lässt.

Neben dem Verdruss über die Documenta, dem Spaß an Münster, der Überraschung von Hannover, das erstaunlich gut mithält, der Launigkeit von Venedig, liefert das Super-Kunstjahr 2017 erneut die Erkenntnis, dass man viele Künstler aus Berlin zwar seit vielen Jahren kennt, sich da und dort immer wieder trifft, aber zwischen Wannsee und Mitte eher selten etwas von ihnen zu sehen bekommt.

Die Schere zwischen Künstlern in der Stadt geht auseinander

Um auszustellen, müssen die Berliner Künstler erst einmal ihre Stadt verlassen, wie Olafur Eliasson, der das Zentrum der Biennale-Ausstellung in Venedig mit seiner Lampenwerkstatt bildet, oder Maria Eichhorn, deren Installation rund um einen Bücherturm in der Neuen Galerie gleichsam das Herz der Documenta darstellt. Woanders stellen diese Künstler aus, in Berlin leben und arbeiten sie nur, wie es in den biografischen Notationen stets lakonisch heißt.

Wobei die Schere zwischen den vielen Künstlern in der Stadt immer weiter auseinandergeht. Die Stars der Szene machen wie Top-Verdiener inzwischen auch in Immobilien und verwandeln Industrieareale in Studios, wie etwa Jorinde Voigt in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide, Tomas Saraceno in der Rummelsburger Bucht oder Ai Weiwei im Pfefferberg, der sich darüber hinaus am Tacheles interessiert gezeigt hat. Diese Macher und Mover betreiben häufig regelrechte Manufakturen, beschäftigen ganze Expertenteams für ihre Großprojekte. Wem durch den Berlin-Boom, den Immobilien-Hype dagegen der Rauswurf aus seinem Atelier droht, für den bekommt der Begriff post-studio-art einen völlig neuen, bedrohlichen Klang.

In den sechziger Jahren beschrieb er noch neue Strategien, die Überwindung von Grenzen, den Schritt heraus ins Geschehen. Klar, heute entsteht vieles am Computer, der auch überall anderswo hochgefahren werden kann. Nicht immer freiwillig. Beweglichkeit ist Frust und Lust zugleich.

Dieser Text ist ein Abdruck aus dem neuen Tagesspiegel-Magazin "Kunst Berlin", im Handel und im Tagesspiegel-Shop erhältlich für 12,80 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false