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Berlinische Galerie: Auf dem Wendegelände

Zwanzig Jahre Mauerfall in der Kunst: Die Berlinische Galerie trotzt der Feierstimmung. Sie wirft einen melancholischen Blick zurück.

Je näher das Jubiläum rückt, desto mehr Ausstellungen befassen sich mit dem Mauerfall vor 20 Jahren. Dem Crescendo zum Trotz steht den Künstlern selbst der Sinn allerdings weniger nach Feiern. So gibt sich auch der Beitrag der Berlinischen Galerie verhalten, als kritische Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahrzehnte. „Berlin 89/09 – Kunst zwischen Spurensuche und Utopie“ umfasst Werke von 41 Künstlern, die sich mit den Veränderungen der Stadt beschäftigen: ein melancholischer Blick zurück, ein poetischer Versuch, festzuhalten, was in Wandlung begriffen ist.

Den beiden Kuratoren Guido Fassbender und Heinz Stahlhut ist damit ein Porträt der Stadt gelungen, das diese wie im Rausch vorbeigerasten zwanzig Jahre in Erinnerung ruft: die Glückstrunkenheit des Anfangs, die Entdeckungen im jeweils anderen Teil der Stadt, die Umwidmung leerer Räume in Bars und Klubs, die wachsende Anziehungskraft der Stadt für Kreative, das sukzessive Verschwinden der Brachen und bröckelnden Fassaden, die Auswirkungen des Baubooms.

Ein Drittel der ausgestellten Werke stammt aus dem eigenen Bestand. Zwei Jahre nach der letzten großen Ausstellung zeigt die Berlinische Galerie wieder, was sie hat, was sie kann. Schon fürchtete man, dass sich Berlins Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur aus der aktuellen Diskussion verabschieden und das Feld allein den Kunstvereinen, Kunst-Werken, dem Haus am Waldsee überlassen würde. Mit „Berlin 89/09“ unterstreicht die Institution nun ihre Bedeutung als visuelles Gedächtnis der Stadt. Noch immer gibt es Entdeckungen zu machen; glücklicherweise werden nicht die üblichen Verdächtigen, die erwartbaren Namen gezeigt. Dem Besucher geht es ähnlich wie Lois Weinberger. Ein Foto erinnert an dessen Aktion von 1994/95, als der österreichische Stipendiat des Künstlerhauses Bethanien auf der damaligen Freifläche neben dem Brandenburger Tor die dort wild wachsenden Pflanzen goss. So manches Kraut kommt erst jetzt, Jahre später, zum Vorschein. Gleichzeitig dokumentiert die Kunst Verschwundendes – die Baulücke am Pariser Platz ist längst geschlossen.

Die Ambivalenz der Rückschau zeigt sich auf den ersten Blick. Björn Melhus’ Video-Amalgam der Feierlichkeiten von 1990 am Brandenburger Tor wirkt vor allem bedrohlich. Die jubelnden Massen, geschwenkten Fahnen, knallenden Feuerwerkskörper wecken Assoziationen an die ausländerfeindlichen Attacken wenige Jahre später in Rostock-Lichtenhagen. Film und Fotografie sind die dominierenden Medien der Ausstellung, da sie am besten Veränderungen dokumentieren, den Moment fixieren. Wie ein Fossil erscheint dagegen Rainer Fetting, dessen Baustellengemälde im Stil der Neuen Wilden aus den Achtzigern plötzlich alt aussieht.

Vielleicht wird es in wenigen Jahren Fred Rubin mit seiner Installation „Halb-Wert / Zeit“ ähnlich ergehen, die heute noch so cool erscheint, auch wenn der Titel die Möglichkeit des Verfalls benennt. Allerdings bezieht sich dieser auf das ehemalige DDR-Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz in Karlshorst, das in Kürze abgerissen wird. Der Bildhauer hatte sich in den Neunzigern darauf spezialisiert, aus dem Inventar ehemaliger DDR-Bauten Bars zu zimmern. Nun vereint er die ausrangierten Deckenleuchter aus der Karlshorster Behörde zu einem Ensemble, bei dem die Lichter an- und ausgehen, während Überwachungskameras das Geschehen filmen.

Aus jener Widersprüchlichkeit beziehen die meisten Arbeiten ihren Reiz. So animierte der Videokünstler Ulf Aminde eine Gruppe Punks dazu, vor einem Abrisshaus in Friedrichshain die „Reise nach Jerusalem“ zu spielen. Das konnte nicht gut gehen. Mal weigert sich ein Punk aufzustehen, mal wird ein Stuhl einfach weggeschleudert. Anarchischer Lebensentwurf und Verdrängungswettbewerb schließen einander aus.

Was dies für die Nischenexistenzen in der neuen Hauptstadt bedeutet, für die Berlin immer berühmt war, liegt auf der Hand. Schauder mag den Betrachter bei Florian Merkels Zeichnungen überkommen, der das zukunftsfroh inszenierte Bildpersonal der sechziger und siebziger Jahre aus der DDR-Zeitschrift „Jugend und Technik“ als farbige Umrisslinie in Settings der Gegenwart platziert. Sozialismus und Kapitalismus reichen sich die Hand. Alles so schön bunt und hohl hier.

Wie viel Bitterkeit hinter vielen umgeschriebenen Biografien steckt, zeigt Sarah Schönfelds dreiteilige Fotoarbeit „Mama du Sau“, bei der sie in großformatigen Bildern die verwüsteten Räume ihres ehemaligen Kindergartens präsentiert. Die Beschimpfung prangt als rot gespraytes Graffito an der Wand. Ein hineinmontiertes Schwarz-Weiß-Foto mit gezacktem Rand zeigt die Künstlerin als kleines Mädchen in eben jenem Raum. Was wohlbehütet begann, ist implodiert, was ein vorbestimmtes Leben zu sein schien, ist in brutale Freiheit entlassen. Darauf lieber keinen Sekt.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, bis 31. 1.; Katalog 29,80 €.

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