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Collagen: Arturo Herrera: Zwerge suchen

Das Haus am Waldsee zeigt die märchenhaften Collagen des Venezolaners Arturo Herrera.

Das Auge will der Linie folgen. Den Konturen, die ein Auge zeigen, eine Nase, einen dicken Bauch. Aber immer wieder rutscht der Blick ab, verliert sich in den übereinanderlagernden Schichten von Zeitungspapier, Tapete und abstrakten Farbflecken. Arturo Herrera macht es einem nicht leicht, den Schneewittchen-Zwerg in seinem Bild zu erkennen. Denn er sucht die der größtmögliche Abstraktion. Wie sehr kann er eine Disneyfigur unkenntlich machen? Herrera kämpft gegen mächtige, weltweit in die Gehirne der Menschen eingebrannte Motive. Das Haus am Waldsee stellt den in den USA erfolgreichen Künstler und seine Collagen nun dem hiesigen Publikum vor. Es ist die erste Einzelausstellung Herreras in Deutschland. Und sie macht Spaß, weil sie ganz leichtfüßig die Schwebe hält zwischen ästhetischer Pop-Kunst und intellektuellem Konzept. Mit viel Farbe und Ironie.

Der Ausstellungstitel „Home“ steht nicht nur für Arbeiten wie das großformatige Cut-Out von Schloss Neuschwanstein, dem Wohnsitz des bayrischen Königs Ludwig II.. Herrera hat die Konturen aus feinen Comic-Papierstreifen ausgeschnitten. Man muss zwei Mal hinsehen, um das zu erkennen, denn Herrera franst die Formen an den Rändern schnörkelig aus. „Home“ steht auch für Arturo Herreras eigenes Leben. Geboren wurde er 1959 in Venezuela. Seit einem Jahr lebt er in Berlin, ist von New York hierhergezogen. Die Ausstellung thematisiert sein Ankommen in Deutschland, sein neues Zuhause. So verwendet Herrera zum Beispiel für eine Collagen-Serie alte deutsche Märchenbücher.

Einzelne Illustrationen reißt er heraus und stellt sie auf den Kopf. Dieses Drehen ist für ihn der erste Schritt der Abstraktion. Dann geht er mit einem schwarzen Pinsel drüber, hinterlässt Flecken, die Teile verdecken, aber nicht unkenntlich machen. Hinzu kommen Fragmente von Comicfiguren, die er wieder und wieder vergrößert und kopiert hat. Herrera möchte Erinnerungen heraufbeschwören und sie gleichzeitig zerstören. Und weil Erinnerungen meistens bruchstückhaft sind, ist für ihn das Collagieren die adäquate Technik. Er führt damit die Tradition der Kubisten fort, aber auch die des Dadaisten Kurt Schwitters.

Auf einem Flohmarkt hat Herrera ein Konditorei-Buch von 1925 mit Anleitungen für das Verzieren von Torten entdeckt. Auf die zuckerbäckerhaften, nostalgischen Abbildungen setzt er krakelige Bleistiftkreise und Tuscheflecken. Als seien das seine Zugaben, als verbinde sich so eine vergangene Zeit mit dem Jetzt. Ähnlich verfährt Herrera in einer Reihe Fotografien, die er von der Villa Planchart des Architekten Gio Ponti in Caracas gemacht hat. Hier setzt er bunte Flächen und Striche auf die Schwarz-Weiß-Abzüge. Es reicht ihm nicht, einfach nur mit der Kamera das Haus abzubilden. Herrera muss eingreifen, damit er in einen Dialog mit Ponti treten kann.

Die Vergangenheit des Hauses am Waldsee thematisiert der südamerikanische Künstler ebenfalls. Die Villa wurde 1922 von einer jüdischen Industriellenfamilie gebaut. Herrera hat deshalb eine Tapete entworfen, um den Charakter des Ortes als Privathaus aufzugreifen. Darauf ist ein alter Angler zu erkennen. Er fischt gleichsam im Unterbewusstsein. Und der Weg dorthin führt über die abstrakte Malerei: Seine Schnur verheddert sich im Wasser zu einem wirren Gebilde. Selbst in solchen, auf den ersten Blick putzigen Motiven verpackt Herrera Kunsttheorie. Diese wiederum hat ihre Vordenker in Jackson Pollock und Willem de Kooning, den US-amerikanischen Wegbereitern des abstrakten Expressionismus. Herrera kommt aus dieser Tradition. Er hat 25 Jahre lang in den USA gelebt und gearbeitet. Studiert hat er in Chicago, seit den Neunzigern beschäftigt er sich mit den Bildern der Massenkultur.

Das Konturenhafte der Comiczeichnung, aber auch das Herausfordern von Sehgewohnheiten treiben Herrera immer wieder zu Spielen mit Negativ- und Positivformen. Mitten im Raum steht eine rund 1 Meter 40 hohe rot lackierte Holzplatte. Ihr oberer Rand ist unregelmäßig geschwungen. Flammen könnten das sein. Vielleicht auch etwas ganz anderes – solange man den Kopf nicht schräg hält. Dann nämlich erkennt man plötzlich die Umrisse eines ausgesägten Hasen, horizontal, mit der Schnauze auf den Boden fallend. Klopfer, bist du es?

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 13. 6., Di - So 11 - 18, Mi 11 - 20 Uhr.

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