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Deutsch-russische Beziehungen: So preußisch war St. Petersburg

Die Berliner Ausstellung „Macht und Freundschaft“ erzählt von den deutsch-russischen Beziehungen zwischen 1800 und 1860.

Zwei gewaltige Bronzeskulpturen beherrschen den Lichthof des Martin-GropiusBaus, Rossebändiger, Sinnbilder der Herrschaft des Menschen über eine dienstbar gemachte Natur. Eins der von dem Deutschrussen Pjotr Clodt von Jürgensburg geschaffenen Skulpturenpaare schmückt seit 1841 die Anitschkow-Brücke in St. Petersburg, ein weiteres stand seit 1844 auf der Lustgartenseite des Berliner Schlosses. Und jetzt? Jetzt musste das Berliner Duo aus dem Schöneberger Kleistpark hervorgeholt werden, wo es seit Kriegsende dahindämmert, stark restaurierungsbedürftig. Ein Sinnbild?

Dass die deutsch-russischen, in diesem Fall die preußisch-russischen Beziehungen einmal gut und sogar herzlich waren, daran zu erinnern ist allerdings ein wertvolles Unterfangen. Die Kurzsichtigkeit des Geschichtsbildes seit dem Zweiten Weltkrieg hat fernere Epochen aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. So zeigen die sechs Jahrzehnte, die die Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, „Macht und Freundschaft. Berlin – St. Petersburg 1800 –1860“ von morgen an im Martin-Gropius-Bau vorstellt, eine wechselseitige Nähe, die ebenso anrührend wie unvorstellbar scheint.

Gewiss, es ist eine Nähe der Wenigen; der Herrscherhäuser, die durch Familienbande eng verbunden waren, der Künstler und Wissenschaftler, die ohnehin keine Grenzen kannten, und nicht zuletzt der Militärs, die je nach Interessenlage ihrer Staaten eng zusammenstanden. So bilden denn die Zeugnisse vom großen preußisch-russischen Manöver 1835, mit knapp 60 000 Soldaten und 9000 Pferden im Grenzort Kalisch abgehalten, ein heimliches Zentrum der Ausstellung, machen sie doch den über alle romantischen Freundschaftsbezeugungen hinausreichenden Kern der Beziehungen deutlich. Es ist die Zeit der nach der Niederwerfung Napoleons geschlossenen, antimodernen „Heiligen Allianz“. Der Vertragstext, 1815 auf Glas gemalt, findet sich als Leihgabe der Eremitage ganz beiläufig in der Ausstellung – ein geradezu beschauliches Stück von doch enormer Bedeutung.

In Kalisch ging es darum, die ebendort 1813 geschlossene Waffenbrüderschaft gegen Frankreich und die Revolution zu bekräftigen. Die beiden Regenten waren mit dem Manöver höchst zufrieden. „Kein wirklicher Sohn kann noch mehr Attention haben für seine Vater als mein Niks für den König“, schrieb Zarin Alexandra Fjodorowna, gebürtige Prinzessin Charlotte, über ihren Ehemann, Zar Nikolaus I. und ihren Vater, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, über „diese frohe Zeit“ ins Tagebuch.

Damit ist die andere Ebene der verwandtschaftlichen Beziehungen bezeichnet, die diese Epoche zwischen 1800 und 1860 prägte, und die in den ausgestellten Kunstwerken und Objekten weitaus sichtbarer hervortritt. Denn im historischen Zusammenhang, den die von Ada Raev und Jürgen Luh erarbeitete Ausstellung eindrucksvoll vor Augen stellt, werden die hin- und hergeschenkten Bilder, Vasen und Preziosen als Propaganda, als Beschwörung, als symbolisch eingesetztes Kapital sichtbar. Die Politik bestimmen konnten sie nicht. Bereits in Kalisch wurde ein feiner Riss spürbar, der sich über die folgenden zwanzig Jahre zum tiefen Graben ausweiten sollte.

Zwei übermannsgroße Monumentalvasen aus der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur St. Petersburg künden vom Kalischer Manöver. Sie sind, wie so viele der Exponate, eigens für die Ausstellung restauriert worden, nachdem sie jahrzehntelang in Scherben gelegen hatten. Es ist, als ob die Zeit von Klassizismus und Biedermeier, eine Zeit freundschaftlicher Verbundenheit und künstlerischen Austauschs der beiden damals auch geografisch benachbarten Staaten aus tiefer Versunkenheit hervorträte. Leitfigur ist stets die preußische Prinzessin Charlotte, geboren 1798, die 1817 mit dem Thronfolger Nikolaus Pawlowitsch verheiratet wird (und, dessen ungeachtet, eine glückliche Ehe führt). Sie nimmt in Russland den Namen Alexandra Fjodorowna an, vertieft sich in die Sitten ihres neuen Landes und den orthodoxen Glauben. Gleichwohl lässt sie sich gern in Gemälden an ihre Kindheit erinnern. Franz Krüger, der Berliner „Pferdekrüger“, malt 1847 ihre vier Söhne im jungen Mannesalter. Die Gemälde kommen aus Zarskoje Selo nach Berlin, wie sich überhaupt die acht als Leihgeber beteiligten russischen Museen bemerkenswert generös zeigten.

Abseits von der reichlich vertretenen – und zum Glück klug beschränkten – Repräsentationsmalerei, die die Regenten in farbfrohen, einander ähnelnden Uniformen zeigt, präsentiert die Ausstellung ihre schönsten Säle dort, wo sie den architektonischen Austausch zwischen Berlin und St. Petersburg beleuchtet, vor allem zwischen Potsdam und den Zarenschlössern. Da finden sich jene zauberhaft schwebenden Ansichten, die der heitermelancholischen Seite dieser Epoche so sehr entsprechen. Die russische Kirche nach dem Entwurf von Wassili Stassow in Potsdam, die Peter-Pauls-Kirche neben dem bereits 1819 errichteten russischen Blockhaus Nikolskoe hoch über der Havel, der nach dem Vorbild der Römischen Bäder in Potsdam errichtete Zarinnen-Pavillon in Peterhof, wo auch Schinkels Entwurf einer orthodoxen Kapelle von 1829 Platz fand – das sind Zeugnisse eines gesamteuropäischen Kunstverständnisses. Portraits von Schinkel und Alexander von Humboldt – der auch in Sibirien geforscht hatte – lassen die Ausstellung ausklingen; dazu die Geige, auf der Michail Glinka, Schöpfer der Oper „Ein Leben für den Zaren“, musizierte – eine Arbeit aus Mittenwald.

Mit dem Krimkrieg 1853 – 56 endet die Freundschaft zwischen Preußen und Russland. Der Zar ist enttäuscht, dass Preußen sich neutral verhält. Russlands Konflikt um die Herrschaft auf der Krim endet nach einem verheerenden Krieg, den erstmals die junge Fotografie schonungslos dokumentiert. Nikolaus I. stirbt 1855, seine Gemahlin fünf Jahre darauf. Eine Epoche geht sang- und klanglos zu Ende. Als historisches Nachwort beschließt ein Portrait des französischen Herrschers Napoleon III. – des zweiten Kaisers dieses Namens - die Ausstellung, wie schon ein Bildnis Napoleons I. den Rundgang einleitete.

In die von Paris ausgehenden Kraftlinien blieb die preußisch-russische Sonderbeziehung eingespannt. Allein die dynastischen Verbindungen wirkten weiter. Franz Krügers großformatiges Gemälde von 1849, der Übergabe eines Kürassierregiments an Nikolai Pawlowitsch in Potsdam 1817 gewidmet, kam als Geschenk von Nikolaus II. an Kaiser Wilhelm II. 1913 nach Berlin zurück. Kurz darauf standen sich Russland und Deutschland im Krieg gegenüber und verdüsterten mit ihrer Feindschaft das neue, 20. Jahrhundert.

Martin-Gropius-Bau, bis 26. Mai. Begleitbuch bei Koehler & Amelang, 24,90 €. Am morgigen Donnerstag erscheint im Tagesspiegel eine Beilage zur Ausstellung.

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