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Deutsche und Polen: Die Macht der Stereotype

20 Jahre nach der Wende, 70 Jahre nach Kriegsbeginn: deutsch-polnische Ausstellungen in Berlin.

Auf roten Polstern eines Bahnabteils sitzen Mann und Frau. Halten sich an der Hand, blicken aus dem Fenster: sanfte Täler, Tannen, eine Kirche. „Heimfahrt“ hat Max Odoy, der bis 1945 in Schlesien lebte, sein Gemälde von 1967 genannt. Besuch in der alten Heimat. Die neue ist die Bundesrepublik; zwischen hüben und drüben liegt die DDR; alte Heimat ist jetzt Polen. Das Paar durchquert Korridore einer entschwindenden Zwischenzeit. Uns kommen mittlerweile die Weltkriegsschrecken, vielfach aufbereitet, emotional näher als Stagnationsdekaden des Kalten Krieges. Nun gibt das Deutsche Historische Museum Berlin (DHM) den Jüngeren Nachhilfe übers Gestern und Vorgestern; Älteren bietet man Erinnerungen an, Wissensergänzung. Nebenbei ist das auch, zum 70. Jahrestag des Überfalls auf Polen, eine staatstragende Darstellung für die Nachbarn im Osten: wie das geläuterte Deutschland seine Lektionen verarbeitet. „Deutsche und Polen. Abgründe und Hoffnungen“ heißt diese Heimfahrt.

Vier Zeitabschnitte passiert der Besucher. Die lange Phase polnischer Teilungen proklamiert das original ausgelegte politische Testament (1752) Friedrichs II., der Polen, den gefledderten Staat, mit einer Artischocke vergleicht, die man blattweise verspeisen solle. Ein grauer Korridor führt in das Kernthema der Vernichtungs-Okkupation durch das „Dritte Reich“. Der dritte Raum zeigt Vertreibungen von Polen und von Deutschen, einen ostpreußischen Flüchtlingsschlitten und eingepackte Schlüsselbunde für die baldige Rückkehr. Ein Plakat ruft dem Uniformierten mit Bajonett und polnischem Adler auf grüner Mütze 1944 zu: „Na Berlin“ („Los, auf Berlin“). Der Saal zweier deutscher Staaten teilt sich in einen grünen (DDR) und einen blauen (BRD) Bereich. Polnische Plakatkunst zwischen 1951 und 1977 fokussiert die Wahrnehmung der monströsen Nation nebenan: Das erste Poster zeigt eine rote und eine polnische Fahne auf zerborstenem Hakenkreuzadler; das letzte wirbt für den Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ mit der Rückfront einer Bikini-Dame, in deren Tanga ein Colt steckt.

Anders als das Stadtmuseum, dessen Ausstellung über polnische Berliner in der Turbulenz überladener Inszenierungen seine Story verspielt, konzentriert sich das DHM auf die Chronistenrolle, auf Fotos und Film. Trümmerbilder polnischer Städte, projiziert auf Pappruinen. Eine Monatsschau „Krieg in Polen“, die das martialische Abenteuer propagiert. Präsentation polnischen Kriegsgerätes im Zeughaus-Hof, 1939. Zivilistenerschießungen in Leszno (1939): Männer an der Wand; zum Leichenhaufen zusammengesackt. Der Sprung eines Warschauer Getto-Kämpfers (1943) aus dem brennenden Haus. Ein Porträt des SS-Offiziers Heinz Reinefahrt, der die Niederschlagung des Aufstands der Stadt Warschau (1944) exekutiert; wird später Vertriebenenfunktionär. Die Umarmungsszene der Regierungschefs Kohl und Mazowiecki in Kreisau (1989), eine Ikone für Polen – während dort das Bild vom Warschauer Kniefall Brandts im Ostpolitikjahr 1970 kaum jene Bedeutung gewinnt, die es für Deutsche hat; weil man sich eine Ehrung nicht nur des jüdischen, sondern des Gesamt-Warschauer Aufstands gewünscht hätte.

Von drei Polen-Ausstellungen, die dieser Tage in Berlin eröffnen, bleiben am ehesten im Kopf des Besuchers: Fotografien. Das sind im DHM bescheiden präsentierte Fundstücke, sogar unscharfe Schnappschüsse, das ist im Paul-Löbe- Haus („Friedliche Revolution. Weg zur Freiheit“), korrespondierend mit Politikerzitaten, vor allem Fernsehmaterial. Dagegen stellt das Polnische Institut für seine Schau „Das Ende des Kommunismus“ ambitionierte Profiarbeiten zusammen. Hier kommentieren Erazm Cioleks Schwarz-Weiß-Bilder das Thrill-Jahrzehnt von 1980 bis 1990. „Spannung“ ist das Auftakt-Motiv betitelt: der zum Reißen ausgedünnte Strick an einem Hafenpfosten. Beim Papstbesuch gießt es, die Polizistenparade steht im Wolkenbruch, Priester in Soutane daneben tragen Schirme; aus der Publikumsmasse ausgespannter Regendächer ragt das Wappen von Gdansk wie ein Fanal empor. Lech Walesa kumuliert vom spacken Tribun zum pausbäckigen Idol. Dagegen fangen Chris Niedenthals Farbbilder pointiert den entscheidenden Danziger Streik von 1988 ein: als Melancholie sich breitmachte angesichts eines unbesiegbaren Systems. Hier produziert unsere zeitliche Besserwisser-Distanz welthistorisches Pathos; zugleich stellt sich Unbehagen ein angesichts inflationären Bilderparaden, in denen das Wichtige verschwimmt. Geschichte, auch das zeigen diese Ausstellungen, wird „zu Tode fotografiert“; sie findet vor allem statt, um uns ein unerschöpfliches Image-Reservoir zu liefern.

Bilder werden bearbeitet. Gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs musste das Image des ordentlichen Deutschen als Kulturträger korrigiert werden. Germanen seien Kleptomanen, wusste man von da ab in Polen: „Räuber, Banditen, Einfallspinsel, Strolche, Lügner und Betrüger“ (Stanislaw Srokowski). Im DHM hat der Mut zu einem Vice-versa-Aufmarsch beidseitiger Stereotype oder gar – jenseits diplomatischer Correctness – zur Gegenüberstellung von National- und Geschichtsbewusstsein, gestern und heute, Affäre Steinbach inklusive, nicht gereicht. Allerdings treffen wir im Rundgangfinale, hinterm Länderspiel des Sommermärchens 2006 („Klinsi, putz die Polski!“), verunsichert auf zehn Porträts von Grenzstadt-Menschen. Strizzi mit Strohhut, herbe Blondine mit Mutti, Anorak- Oma, das national gemischte (?) Paar, Piercing-Girl im Parka – von hier? Von drüben? Die Heimfahrt zur kollektiven Selbst-Erkenntnis hat eben erst begonnen.

DHM: „Deutsche und Polen“, bis 6.9.; Paul-Löbe-Haus: „Friedliche Revolution“, bis 17.6.; Polnisches Institut: „Das Ende des Kommunismus“, bis 28.8.

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