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Deutsches Historisches Museum: Selbst ist die Zensur

Wie unabhängig ist das Deutsche Historische Museum Berlin? Ein kleiner Ausstellungstext und seine große Wirkung.

Am 11. November schrillten die Alarmglocken. „Staatsminister Neumann lässt Ausstellung zensieren“, verbreitete die Hamburger „Zeit“ als Vorabmeldung. Am folgenden Tag war im gedruckten Blatt der ganze Vorfall zu lesen, gipfelnd in dem Fazit: „Das Bundesministerium hat mit dem Akt der Zensur nicht nur das Grundgesetz missachtet, es hat auch dem Museum geschadet.“ Mit dem „Museum“ gemeint ist das Deutsche Historische Museum (DHM) im Berliner Zeughaus.

Ausgerechnet jene Zeitung schwang sich zum Verteidiger des DHM auf, die diese Institution seit einem Vierteljahrhundert mannhaft bekämpft. Nun denn. Jedenfalls haben Angriff und Verteidigung eine gemeinsame Wurzel: die Befürchtung, ein nationales Geschichtsmuseum könne nichts anderes sein als eine Propagandaeinrichtung der Bundesregierung. Dieser Generalverdacht begleitet, weit über das DHM mitsamt seinem geplanten Vorgänger „Forum für Geschichte und Gegenwart“ hinaus, alle Einrichtungen und Ausstellungen zur Geschichte, die in der Bundesrepublik seit den späten siebziger Jahren realisiert worden sind. Damals begann ein Geschichtsboom mit Ausstellungen etwa zu den Staufern 1977 in Stuttgart, gipfelnd in der Berliner „Preußen“-Ausstellung 1981. Aus diesen temporären, beim Publikum ungemein erfolgreichen Anfängen entstand die Idee eines Geschichtsmuseums, das freilich erst nach Helmut Kohls beherztem Zugriff „Museum“ genannt wurde.

Beim jetzigen Vorfall geht es um nicht mehr als eine abgeänderte Texttafel. Statt einer kritischen Betrachtung der EU-Einwanderungspolitik, gipfelnd in dem Satz „Die ,Festung Europa‘ soll Flüchtlingen verschlossen bleiben“, heißt es nun im Tonfall einer Regierungsbroschüre: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.“

Die Tafel gibt allerdings keinerlei Autorschaft an – und steht somit letztlich unter der Verantwortung des Museumsdirektors, der jeden Eingriff von außen verneinte. DHM-Generaldirektor Hans Ottomeyer will „in eigener Verantwortung Modifizierungen“ vorgenommen haben, nachdem er aus dem Hause des Kulturstaatsministers „berechtigte Rückfragen“ erhielt. Zu weiteren Auskünften ist Ottomeyer nicht bereit.

Die fragliche Ausstellung „Fremde? Bilder von den ,Anderen‘ in Deutschland und Frankreich seit 1871“ ist allerdings eine Art Regierungsveranstaltung, unter Wohlwollen des französischen Präsidenten Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel. Zu Anfang des Jahres war sie im Pariser Immigrationsmuseum, der „Cité nationale de l’histoire de l’immigration“, zu sehen, einer durchaus politischen Einrichtung unter Leitung des früheren (gaullistischen) Kulturministers Toubon.

Der verantwortliche Museumsdirektor entscheidet ebenso über Texttafeln wie der verantwortliche Chefredakteur über die Artikel eines Redakteurs. Von Zensur, von einer Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit kann also kaum die Rede sein. Das Problem liegt vielmehr in der Dienstleistungsfunktion, die das Geschichtsmuseum – wie jede staatliche Einrichtung – für die Regierung übernimmt, durch deren Finanzmittel es existiert. Der Sprecher des DHM, Rudolf Trabold, definiert die Aufgaben so: „Das DHM hat einen klaren Bildungsauftrag: die Vermittlung der Deutschen Geschichte im europäischen Kontext – mit allen Epochen, Brechungen und Facetten dieser Geschichte. Und dieser Auftrag wird in der Mitwirkung des Bundes, des Landes Berlin und weiterer Bundesländer verwirklicht.“ Was „Mitwirkung“ heißen mag, lässt Raum für widerstreitende Interpretationen.

Aber ist damit etwas geklärt? Die Antwort liegt in der Entstehungsgeschichte des DHM. Ein hochrangig besetzter wissenschaftlicher Beirat stellte von Anfang an die Unabhängigkeit des Museums sicher; ihm gehörten im Gründungsjahr 1987 und nur zwei Jahre vor dem Fall der Mauer Koryphäen wie Lothar Gall, Hagen Schulze oder Jürgen Kocka an, dazu der unbeugsame Richard Löwenthal, der 1987 die Festrede zum Gründungsakt des DHM im Reichstag hielt, damals noch hart an der Mauer. Kocka, Mitautor der Gründungskonzeption des Museums, konnte 2006 rückblickend nicht einen einzigen der anfänglichen Vorwürfe – „Anstalt zur vaterländischen Aufrüstung“ – bestätigt finden, und von politischen Eingriffen ist bei ihm gleich gar nicht die Rede.

Es hat sie offenkundig auch nie gegeben. Gründungsdirektor Christoph Stölzl begann sein Programm mit einer Ausstellung zum Überfall auf Polen am 1. September 1939 und ließ später, ob zu Bismarck oder Walther Rathenau, kein konfliktträchtiges Thema aus. Kanzler Kohl hatte an Stölzl den Mann für Sonderwünsche wie die Umgestaltung der Neuen Wache in Berlin, war aber ansonsten mit „seiner“ Schöpfung eines Geschichtsmuseums zufrieden. Näher am Wunsch nach staatlicher Selbstdarstellung lag stets das Bonner „Haus der Geschichte der Bundesrepublik“, aus dem jedoch politische Eingriffe ebenso wenig zu vermelden waren.

Die Frage ist, ob mit der Installierung eines Staatsministers für Kultur und Medien (BKM) im Jahr 1998 eine Instanz geschaffen wurde, die als Aufsichtsbehörde wie auch als Zuwendungsgeber Eingriffsrechte beansprucht. Die Stellvertreterin des BKM Bernd Neumann (CDU), die aus der bayerischen Staatskanzlei geholte Ingrid Berggreen-Merkel, ist Kuratoriumsvorsitzende des Aufsichtsgremiums des mittlerweile als selbständiger Stiftung verfassten DHM. „Wo die Zugriffsmöglichkeit gewachsen ist, wächst auch der Wunsch danach“, meint der am Wissenschaftszentrum Berlin forschende Historiker Dieter Gosewinkel, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und „Fremde“-Katalogautor. Die Übermittlung der Ausstellungstexte an die Aufsichtsbehörde BKM bezeichnet er durchaus als „guten Stil – um möglicherweise darüber zu diskutieren, aber nicht, um Einfluss zu nehmen“. Dagegen stehe der Gründungsgedanke der Autonomie des Museums. Der Texttafel-Vorfall rechtfertige, „mindestens von einer zensurähnlichen Maßnahme zu reden“.

Das DHM ist – wie auch alle weiteren Einrichtungen, die der Geschichtspolitik der heutigen Bundesrepublik zuzurechnen sind – nach bundesdeutschem Komment eben keine Einrichtung „im staatlichen Verantwortungsbereich“, durch die „hindurch, vermittelt, der Staat“ spricht, wie die „FAZ“ abwiegelte. Gegen solches government speech steht die Eigenverantwortlichkeit des Museums, dessen Reputation und Glaubwürdigkeit allein auf dem Vertrauen in seine Unabhängigkeit beruht. Der Satz vom „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ ist ein Lapsus, der eben dieses Vertrauen untergräbt– und neben dem Museum und seinem willfährigen Generaldirektor auch das Amt des Kulturstaatsministers beschädigt, mag von dort nun eine Anweisung gekommen sein oder nur eine leise Empfehlung.

Die Unabhängigkeit von Institutionen, deren Anspruch auf öffentliches Gehör durch die wissenschaftliche Qualifikation ihrer Arbeit unterfüttert wird, ist ein ebenso kostbares wie fragiles Gut. Zumal nach der leidvollen Erfahrung mit dem totalitären Nazi-Regime verbietet es sich jedweder Aufsichtsbehörde, inhaltlich Einfluss zu nehmen. Für die Beurteilung der geleisteten Arbeit sind Beirat und Kuratorium zuständig, wie auch bei anderen mehr oder weniger bundesfinanzierten Institutionen. Nicht auszudenken, wenn etwa das geplante Humboldt-Forum in den begründeten Verdacht geriete, im Kielwasser der bundesdeutschen Außenpolitik zu schwimmen! So lautet das Motto der Stunde: Wehre den Anfängen.

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