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Nolde-Museum

© Katalog/Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde: Heißes Pflaster

In Mitte eröffnet ein Emil-Nolde-Museum. Die Eröffnungsausstellung steht unter dem Thema "Faszination Großstadt" - der hatte sich Nolde besonders intensiv gewidmet.

„Allabendlich um elf zog ich meine dunkle Hose an und auch den schwarzen St. Galler Frack. Meine Ada ebenfalls zog ihr bestes Kleid an, und wir gingen auf Maskenbälle, in die Cabarets und in die öffentlichen Lokale.“

Emil Nolde, den im deutsch-dänischen Grenzland aufgewachsenen Bauernsohn, verband eine Art Hassliebe mit Berlin. In keiner anderen Großstadt hat der heimatverbundene expressionistische Maler, den es zeitlebens ins Freie und Ungebundene zog, freiwillig so viel Stadtluft geschnuppert. Nirgendwo sonst konnte sich Nolde ausdauernder den Wonnen des Nachtlebens hingeben – selbst wenn ihn wie im exzessiv durchgefeierten Winter 1910 auf 1911 nur der fadenscheinige Zwirn aus alten Schweizer Zeichenlehrertagen schmückte.

Im Herbst 1889 kommt Nolde mit 100 vom Vater geschenkten Mark in der Tasche erstmals in die Stadt, um dort als Möbelschnitzer sein Glück zu machen. Ab 1903 pendelt der zunehmend erfolgreiche Künstler zwischen der dänischen Ostseeinsel Alsen und Berlin – und damit zwischen zwei konträren Lebensmodellen und Motivwelten. Ende der Zwanzigerjahre will er sich sogar von Ludwig Mies van der Rohe ein eigenes Berliner Haus bauen lassen. Der Plan scheitert an der Weltwirtschaftskrise; es bleibt bei der Atelierwohnung in der Charlottenburger Bayernallee, die im Februar 1944 zusammen mit ungezählten Werken einer Brandbombe zum Opfer gefallen ist. Endgültig verlassen hat Nolde Berlin bereits 1941, nachdem die Nazis das ehemalige NSDAP-Mitglied mit Malverbot belegt hatten.

Neue Dépendance am Gendarmenmarkt

Wenn die Nolde-Stiftung aus dem nordfriesischen Seebüll, wo sich der Künstler 1927 ein Haus gebaut hat und 1956 gestorben ist, nun in der Jägerstraße nahe dem Gendarmenmarkt eine Dépendance eröffnet, darf man es eine glückliche Rückkehr nennen. Und wenn ihr Direktor Manfred Reuther die furiose Eröffnungsausstellung unter das Thema „Nolde in Berlin - Tanz, Theater, Cabaret“ stellt, so macht er der Stadt ein wunderbares Geschenk.

Von Nolde, dem in unzähligen Ausstellungen zu Tode Deklamierten, hätte man kaum noch neue Töne erwartet. Vor allem nicht dieses dynamische Tempo. Im Winter 1910/11 muss der damals 43-jährige Nolde so intensiv wie ein Popstar gelebt haben. 17 Gemälde und hunderte Aquarelle, Tuschpinselzeichnungen und Druckgrafiken sind in wenigen Monaten allein zum damals so viele Künstler umtreibenden Thema großstädtischer Vergnügungen entstanden. Fast alle widmen sich dem hoch- und subkulturellen Leben der Metropole: Tanz, Varieté, Cafés und Kneipen, aber auch die Goethe- und Shakespeare-Inszenierungen Max Reinhardts am Deutschen Theater, die Nolde in der Vorstellung mit dem Aquarellkasten dokumentiert. Ein urbanes Kaleidoskop. Und nun: eine punktgenaue Auswahl, 113 Arbeiten, die in Berlin zu bewundern sind, darunter allein elf der beinahe durchweg exzeptionellen frühen Großstadt-Gemälde.

„Wir als Stiftung sind in der glücklichen Situation, aus fast allen Schaffensphasen Noldes zentrale Werke zu besitzen“, erklärt Manfred Reuther den Überfluss seiner Ausstellung. Drei Jahre lang habe man in Berlin nach einem adäquaten Standort gesucht und sei schließlich im ehemaligen Bankhaus Ebeling in der Jägerstraße 55 fündig geworden. Der Senat hätte das neue Künstler-Museum von Anfang an begrüßt. Finanziell unterstützt er es nicht. Die privatrechtlich organisierte Nolde-Stiftung hat ihr Spielbein in Berlin ausschließlich selbst finanziert: mit rund zwei Millionen Euro. Dafür bekommt sie über 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche in der Beletage der zum musealen Rundgang zusammengeschlossenen Häuser Jägerstraße 54 und 55 sowie ein weiträumiges Foyer im Erdgeschoss, mit großzügig bemessenem Museumsshop, der sich mit wenigen Handgriffen zum Veranstaltungsraum für bis zu 100 Gäste umrüsten lässt.

Dezent-schnöseliger Mitte-Chic

Die Berliner Architektin Iris Busch-Wameling hat den lichten Räumen mit hellgrauem Kunstharzestrich, hellem Eschenholz, überempfindlich-weißen Lackflächen, Edelstahlpaneelen und einem elaborierten Licht- und Energiekonzept den nötigen, dezent schnöseligen Chic von Berlin-Mitte verpasst. Schließlich soll das Foyer durch Fremdveranstaltungen zur Finanzierung der Betriebskosten beitragen. Um das Projekt „Museum de luxe“ rund zu machen, hat man mit dem benachbarten Edelrestaurant „Vau“ Lunch-Rabatte und gastronomische Gimmicks wie das „Gourmet-Früchtebrot in der Snackbox“ für den Museumsshop vereinbart.

Das Berliner pied-à-terre ist mehr als ein repräsentatives Schaufenster. Es gehört zu den Umstrukturierungsmaßnahmen, mit denen Reuther und sein Marketing-Experte Jörg Garbrecht die noch von Nolde und dessen erster Frau Ada angeschobene Stiftung wieder flott machen wollen. Über mangelnden Zuspruch muss sich das Seebüller Stammhaus zwar nicht beklagen: 90 000 Besucher pro Saison strömen in Noldes nördlichen Künstlertraum, bewundern das backsteinrote Haus im großen Blumengarten, genießen Sammlung und Blick übers weite Marschland. Noch zehrt die Stiftung vom Urheberrecht an Noldes Werken. 2026 werden diese Einkünfte versiegen. Laut Satzung dürfte die Stiftung sogar Werke verkaufen – was hoffentlich vermieden wird.

Die Nolde-Stiftung investiert in Berlin in ihre eigene Zukunft. Dass Berlin ein besonderes Pflaster ist, wusste schon Nolde. Im Winter 1910 besuchte er die „Cafés der Morgenstunden, wo Neulinge aus der Provinz, harmlos mit Straßendirnen sitzend, im Sektrausch halb hinschliefen. Ich zeichnete und zeichnete (...). Viel Augenreiz war allenthalben.“

Jägerstraße 55. Ausstellung „Nolde in Berlin“ bis 20. 1. 2008, tägl. 10-19 Uhr. Katalog (Dumont Verlag) 29 €.

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