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Affenbild

© ddp

Evolution: Der Urschlamassel

Ewige Substanz: Frankfurts Schirn ergründet Darwins Einfluss auf die Kunst. Die Hingezogenheit des Menschen zum eigenen Ursprung und zur Natur ist ein Aspekt, den die Lebenswissenschaften heute wieder diskutieren.

Das Thema Evolution ist nicht mehr zu verdrängen, nicht im Darwin-Jahr 2009. Und das, obwohl die Deutschen ihre Last haben mit dem historischen Erbe, mit einer missratenen Tochter des Darwinismus, mit der Rassenlehre, die den Nationalsozialisten als Legitimation für den Völkermord an den Juden gerade recht kam. John Heartfield spießte nach der Machtübernahme Hitlers genau diese Mesalliance auf. In einer der vier Fotomontagen, die in der Frankfurter Ausstellung „Darwin – Kunst und die Suche nach den Ursprüngen“ zu sehen sind, stellt er Hitler als Kröte dar, umgeben von der Aureole eines wie die Sonne aufgehenden Hakenkreuzes. „Dreitausend Jahre konsequenter Inzucht beweisen die Überlegenheit meiner Rasse“, heißt es sarkastisch am unteren Rand der „Stimme aus dem Sumpf“ betitelten Grafik von 1936.

Die bissigen Karikaturen Heartfields gehören zu den späten Reaktionen auf ein Thema, das die Künstler seit Mitte des 19. Jahrhunderts tief bewegte. Das zeigt Pamela Kort in ihrer inspirierenden Schau in der Frankfurter Schirn. Die in Berlin lebende US-Kuratorin macht uns nicht nur mit dem Werk vergessener Künstler wie Gabriel von Max, Jean Carriès und George Frederic Watts bekannt, sie stellt auch die Papierarbeiten von Odilon Redon und Alfred Kubin überzeugend in ein neues Licht. Ein Coup ist ihr mit der Neuinterpretation der Frottagen-Serie „Histoire Naturelle“ sowie berühmter Bilder von Max Ernst wie „Europa nach dem Regen“ gelungen.

Kort entlarvt Max Ernst nicht etwa als Darwinisten, sondern beweist, dass der Künstler das Thema, das in der Luft lag, aufgegriffen hat. Eine zentrale Rolle spielt der Lehrmittelkatalog, den er 1919 entdeckte und für seine Collagen ausgeweidet hat. Dessen Abbildungen zur Anthropologie, Mineralogie und zur Paläontologie fesselten ihn. Ein Jahr später entstand eine Collage, die eine Jura-Landschaft mit Dinosauriern zeigt, hinter der sein Sohn Jimmy hervorlugt. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass eine Amerikanerin den Zusammenhang zwischen Max Ernst und dem in Deutschland nach 1945 wenig geliebten Ernst Haeckel hergestellt hat.

Der 1919 in Jena gestorbene Naturwissenschaftler Haeckel prägte die heute nicht mehr wegzudenkenden Begriffe „Biologie“ und „Ökologie“. Dem Zeichner Haeckel sind in der Schirn zwei Ausstellungswände und eine Vitrine gewidmet. Seine ornamental wirkenden zoologischen Zeichnungen, die „Kunstformen der Natur“, sollen den Jugendstil und den Symbolismus beeinflusst haben. Sein Interesse galt besonders Quallen und anderen obskuren Meeresbewohnern. Haeckel baute die Lehre Darwins zur Weltanschauung aus. Den Menschen verstand er als „vorübergehenden Entwicklungs zustand der ewigen Substanz“.

Es ist kein Künstler in der Ausstellung dabei, von dem Kort nicht einen schlagenden Beweis seiner Beschäftigung mit der Evolution gefunden hätte. Aber natürlich wäre es falsch, die mitunter schwülstig die Einheit von Mensch und Natur beschwörenden Ölschinken, die es in der Ausstellung auch gibt, als bloße Illustrationen einer neuen Weltanschauung zu begreifen. Die Anknüpfungspunkte waren vielfältig. Viele Maler bewahrten sich den christlichen Glauben, ohne zu Kreationisten zu werden, also die Evolution komplett zu leugnen. Der Amerikaner Frederic Edwin Church etwa malte 1866 mit „Rainy Seasons in the Tropics“ im Geiste Darwins eine wildromantische Tropenlandschaft, doch überspannte er die Berge mit einem Regenbogen, dem Symbol Gottes für dessen Bund mit den Menschen. Mag auch das Sujet heute kitschig erscheinen, das Bild ergreift den Betrachter noch heute, genauso wie die dezenten Orchideenbilder seines Landsmannes Martin Johnson Heade, in denen subtile Verweise auf die Evolutionstheorie zu finden sind.

Von monistischen Gedanken beeinflusst war offenbar halb Wien, insbesondere Gustav Klimt. Dass sich alle Phänomene des Lebens auf ein einziges Grundprinzip zurückführen lassen, schien ihn zu faszinieren. Leider war von der „Ikone“ der Wiener Secession kein Bild für die Frankfurter Ausstellung zu beschaffen gewesen, das den Zusammenhang anschaulich gemacht hätte. In dem äußerst informativen Katalog ist das Gemälde „Wasserschlangen I“ abgebildet; der Körper einer weiblichen Gestalt verschmilzt in diesem Beispiel mit dem Hintergrund zu einem funkelnden Mosaik. Zu den unglaublichsten Entdeckungen der Schau gehört das Werk des als Historienmaler ausgebildeten Gabriel von Max.

Der Professor von der Münchner Akademie hatte sich 1870 einen Cebus-Affen gekauft, den er porträtierte. Später ersetzte von Max das Personal seiner Bilder komplett durch Affen, die in menschlichen Rollen agierten. Er verließ die Akademie, trat in die Theosophische Gesellschaft ein und sammelte Fundstücke zur Prähistorie, zur Zoologie und zur Anthropologie. In einem der Ausstellungskabinette ist ein Ausschnitt seiner nicht unbedeutenden Kollektion zu sehen. Zahllose menschliche Schädel schauen uns aus einem bis unter die Decke gefüllten Regal an. Wir schauen zurück, wie vielleicht bereits der Maler zurückgeschaut hat: erfüllt von Neugierde und einer eigentümlichen Sympathie.

Die Hingezogenheit des Menschen zum eigenen Ursprung und zur Natur ist ein Aspekt, den die Lebenswissenschaften heute wieder diskutieren. Aber nicht nur deshalb ist die Ausstellung ein Gewinn. Bei diesem Kunst- und Kulturhistorie verbindenden Ausstellungsprojekt wird zudem offensichtlich, dass Künstler sich mitnichten nur mit Form und Farbe auseinandergesetzt haben. Die Ideen der Evolutionsforscher trafen sich mit dem künstlerischen Interesse am Urgrund des Seins. Dass die Resultate dieser Melange zuweilen grotesk ausfielen, zeigen die Werke von Arnold Böcklin. Seine üppigen Nixen und Nereiden wirken wie Mischwesen, halb Tier, halb Mensch, sie symbolisieren das Missing Link der Evolutionskette.

Darwins These, dass alles Leben ursprünglich aus dem Meer stammt, elektrisierte nicht nur Böcklin. Der österreichische Zeichner Alfred Kubin ließ Schatten von Urtieren aus seinen schwarzen Tuscheseen aufsteigen – davon unberührt badet im Vordergrund eine junge Frau. Folgerichtig ist die düstere Zeichnung von 1906/08 nicht mit „Die Badende“ betitelt, sondern heißt „Sumpf“, als wäre der Mensch nichts weiter als ein Teil einer gärenden Masse von zahllosen Organismen.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 3. Mai; Katalog (Wienand-Verlag) 30 €, im Buchhandel 40 €.

Carmela Thiele

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