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Fotografie: Zieh dir was an!

Der Fotograf Frank Rothes hat Chinesen überredet, sich nackt ablichten zu lassen. Doch um eine Kultur zu verstehen, reicht es eben nicht, einfach den Schleier wegzuziehen.

„Chinesen völlig hüllenlos“: Die Sensationslust, mit der der „Stern“ Frank Rothes neueste Bildserie in einer Online-Galerie präsentiert, steht ihr ausgesprochen gut. Der international erfolgreiche Fotograf hat Chinesen überredet, sich entgegen ihren kulturellen Gepflogenheiten nackt ablichten zu lassen. Die Akte, teilweise noch im Entkleiden geschossen, kombiniert er mit langzeitbelichteten Aufnahmen der ach so pulsierenden chinesischen Städte. Zum Vorschein kommen soll durch die Prints, derzeit bei Camera Work, die „chinesische Identität“.

Im Gegensatz zur abendländischen Kultur war in China der nackte Körper nie einer Statue würdig. Schönheit bedeutet hier, möglichst aufwendig bekleidet zu sein. Es ist neokoloniale Naivität, sich einer Kultur nähern zu wollen, indem man ihre Menschen in einer Praktik vorstellt, die in ihr keinen Platz hat. Was glaubt Rothe uns zu zeigen? Dass seine Modelle so unsicher wirken wie nackte Jugendliche in der „Bravo“? Die allzu offensichtlichen Kriterien, nach denen er die Motive verknüpft – den hochgeschossenen Mann mit dem Pearl TV Tower von Shanghai, die Frau mit dem Fischmund mit Fischen im Aquarium – entlarvt Rothes Fotos als Effektfotografie.

Um eine Kultur zu verstehen, reicht es eben nicht, einfach den Schleier wegzuziehen. Erst muss man ihn sich genau ansehen. Das führt die Ausstellung „Mahrem“ im Projektraum Tanas eindrucksvoll vor. Sie zeigt verschiedene künstlerische Positionen, die sich mit der Praktik des Verhüllens beschäftigen. Dabei hat sie besonders Mischformen zwischen islamischen Geboten und westlichen Aufmerksamkeitsökonomien im Blick. In einer Zeit, in der Frauen im öffentlichen Leben aus eigenem Entschluss zum Kopftuch greifen, sind reflexhafte Assoziationen mit Rückständigkeit und Unterdrückung überkommen. Wo Verhüllung die Ausnahme darstellt, macht sie sichtbar.

Der Iraner Sharham Entekhabi unternimmt das Gegenteil von Frank Rothe: Mit schwarzer Farbe verschleiert er die Frauen auf Modeplakaten. Die Verfremdung durch Verhüllung hinterfragt den westlichen Körperkult. Bei Mandana Moghaddam wirkt das, was verborgen werden soll, selbst verbergend: Haare. Man kann um ihre frauengroße Skulptur kreisen, so oft man will, sie zeigt kein Gesicht. Gibt es eine Identität, dann nur zurückgezogen im märchenhaften Innern.

Rothe enthüllt, Mahrem verhüllt. Beide erhellen sich gegenseitig, indem sie nach adäquaten Weisen des Verstehens kultureller Zusammenhänge fragen. Sie scheiden sich bereits bei der Fragestellung: Wer glaubt, „Identität“ abbilden zu können, ohne gesellschaftliche Praktiken einzubeziehen, ist eh schon auf dem falschen Weg.

„China Naked“, Camera Work, Kantstr. 149, bis 16. Aug., Di–Sa 11–18 Uhr. „Mahrem. Anmerkungen zum Verschleiern“, Kunstraum Tanas, Heidestr. 50, bis 10. August, Di – So 11 – 18 Uhr.

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