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Galerie Sprüth Magers: Verfall im Vollrausch

Es ist zuallererst diese Musik, die das Publikum packt, ein Meer bedrohlich heranrollender Synthesizerklänge, das die Besucher der Galerie Sprüth Magers den Film so gebannt schauen lässt, als liefe ein mitreißender Science-Fiction. Selbstverständlich fesseln auch die Bilder.

Verwackelte 16-Millimeter-Aufnahmen von blassen jungen Kerlen, die eine Flasche Schnaps auf ex trinken. Von einem vermummten Menschen im Kampfanzug, der in den Ruinen eines Mayatempels tanzt, und von riesigen Hotels. Eins von ihnen wird gerade gesprengt und versinkt im Staub. Willkommen im mexikanischen Ferienort Cancún, wie ihn Cyprien Gaillard gefilmt hat. In den gestrig flackernden Bildern der alten Filmtechnik wirkt die Gegenwart bereits vergangen.

Aber auch allein der Name Cyprien Gaillard sorgt für Aufmerksamkeit. Knapp 30 Jahre alt, hatte der mit Skulptur, Interventionen, Film und Foto arbeitende französische Künstler bereits international Soloschauen, er hat Galerien in London und Paris und jetzt seine erste Einzelausstellung bei Sprüth Magers. Mit einem Daad-Stipendium ist er gerade nach Berlin gekommen, die Zeitschrift „Monopol“ hat ihm zehn Seiten gewidmet. Der Mann trifft offensichtlich einen Nerv der Zeit. Gruppenausstellungen, an denen er sich beteiligt, heißen „The Punishment of Lust and Luxury“ oder „Die Moderne als Ruine“. Auf der 5. Berlin-Biennale 2008 flutete er zwischen Kreuzberg und Mitte eine alte Grenzbrache mit Stadionlicht und er ließ eine Skulptur aus einem Pariser Hochhausviertel heranschaffen, eine plumpe Ente aus Bronze, der er einen Ehrenplatz vor der Neuen Nationalgalerie gab. Gaillard schätzt das, was als hässlich gilt. Er setzt den ungeliebten Relikten der Spätmoderne, den klobigen Brunnen, Skulpturen und Wohnsilos, Denkmäler. Er gibt ihnen eine zweite Chance – und genießt das Spektakel ihrer Zerstörung.

Aus dem Genuss ist in seinem Film „Cities of Gold and Mirrors“ bei Sprüth Magers ein Vollrausch geworden. Im Sog des Soundtracks von „The Mysterious Cities of Gold“, einer TV-Zeichentrickserie über die Eroberung Amerikas, lässt Gaillard alle historischen und kulturellen Unterschiede verschwimmen: die zwischen Mayatempeln und Hotelburgen, zwischen spanischen Kolonialherren und Touristen aus den USA, zwischen dem Imponiergehabe von Jungmännern und dem Klischee von „westlicher Dekadenz“. Gaillard feiert Ruinenromantik und stilisiert die Auswüchse des Pauschaltourismus zum Untergang des Abendlandes (1/5, 30 000 Euro).

Zum Glück zeigt die Galerie auch seine „Geographical Analogies“, 25 von rund 100 Vitrinen mit Fotos (je 9000 Euro). In jeder hat Gaillard neun verblassende Polaroids zu Rauten angeordnet. Sie zeigen Büsche, Obelisken, Grabsteine, Wurzeln, vermauerte Häuser, Schlossruinen, geordnet nach Formen und ästhetischen Formeln. So nüchtern präsentiert, macht die Lust am Verfall wieder Freude: Hier darf der Betrachter noch selber denken.

Galerie Sprüth Magers, Oranienburger Str, 18, bis 16.1., Di-Sa 11-18 Uhr.

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