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Kunst: Der König im Welttheater

Max Beckmann wird als größter deutscher Maler des 20. Jahrhunderts gefeiert. Die Pinakothek in München zeigt nun eine große Schau. Gibt es an seinem Werk noch etwas zu entdecken?

Vom "politischen Gangstertum“ sprach Max Beckmann verächtlich, als er Mitte der dreißiger Jahre die zunehmend brutale Naziherrschaft erlebte. Das war in Berlin, wo er mehr oder weniger untergetaucht war, nachdem ihn die neuen Herren aus seinem Frankfurter Lehramt geworfen und so aus der beschaulichen Main-Stadt vertrieben hatten. Bald musste er tatsächlich ins Exil gehen. Am 18. Juli 1937 hören Max Beckmann und seine (zweite) Frau Mathilde, zärtlich „Quappi“ genannt, am Radio Hitlers geifernde Rede zur Eröffnung des Münchner "Hauses der Deutschen Kunst“. Tags darauf dann die Eröffnung der Propagandaausstellung "Entartete Kunst“ in den Münchner Hofgartenarkaden, in der Beckmann mit zehn Gemälden vertreten war. Das reichte.

Die Beckmanns gingen noch am selben Tag nach Amsterdam, wo die Flüchtlinge bei einer Verwandten Unterschlupf fanden. Nur als Durchgangsstation gedacht, blieb das Ehepaar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in seiner unterdessen bezogenen Wohnung sitzen. Amsterdam wurde zum zehnjährigen Warteraum, stets gefährdet, in immer drückenderer Not – und doch für Beckmann das Jahrzehnt der reichsten Schaffenskraft.

In der Münchner Pinakothek der Moderne ist die grandiose Ausstellung "Max Beckmann. Exil in Amsterdam“ zu sehen, die zwei Drittel des in der Grachtenstadt geschaffenen Œuvres vereint. Ein Hauptwerk unter Meisterwerken ist darin das Triptychon "Schauspieler“ von 1942. Beckmann hat sich gerne der Metapher des "Welttheaters“ bedient. Hier ist sie mit Händen zu greifen. Der König, der auf offener Bühne Selbstmord begeht – das Blut fließt bereits, während er noch aufrecht steht –, ist der Künstler selbst. Beckmann hat ihm die eigenen Gesichtszüge verliehen. Er hat sich wie kaum ein Zweiter selbst beobachtet und immer wieder gemalt. Das unbewegte Gesicht des von der Bühne des Lebens abtretenden Königs deutet hin auf den Übergang in jene von Beckmann so bezeichnete "vierte Dimension, die ich mit meiner ganzen Seele suche“. Doch das monumentale Gemälde ist weit mehr als die Illustration einer These. Es ist ein grandioses Stück Malerei, ein Farb- und Formenrausch, der auch ohne Kenntnis des Gehaltes die Sinne an- und aufrührt.

Beckmann ist wohl der am gründlichsten erforschte deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts. Der übervolle Reichtum an bildnerischen Topoi, der Beckmanns große Leinwände auszeichnet, hat seit jeher zur Auslegung gereizt. Zudem hat der Künstler mit seinen sparsamen Äußerungen selbst die Fährte gelegt, der die Interpreten folgen sollten. "Worauf es mir in meiner Arbeit vor allem ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren Realität befindet“, dieser Satz aus seiner programmatischen Londoner Rede "Über meine Malerei“ vom 21. Juli 1938 liefert den Schlüssel zum Verständnis, zumal des in Amsterdam geschaffenen Werkes.

Die zeitliche Eingrenzung der Münchner Ausstellung auf das Jahrzehnt zwischen 1937 und 1947 genügt, um den eminent politischen, geschichtsgesättigten Charakter der Kunst Beckmanns hervortreten zu lassen. Das Politische ist zwar, wie stets bei Beckmann, überaus verschlüsselt. Und doch lässt es sich bis in die leichthändigen Landschaftsbilder hinein aufspüren. Der Künstler selbst wies jeglichen aktuellen Zeitbezug von sich. Um Erklärung seines allerersten Triptychons "Abfahrt“ gebeten, betonte er 1938 brieflich, "dass ,die Abfahrt’ kein Tendenzstück“ sei.

Viel mehr mochte er nie sagen. "Wenn’s die Menschen nicht von sich aus eigener, innerer Mitproductivität verstehen können, hat es gar keinen Zweck die Sache zu zeigen“ – dieser berühmte Satz bezeichnet sein lebenslanges Credo. Der im persönlichen Umgang stets knapp und pointiert formulierende Beckmann hat dennoch alles gesagt – in seinen Bildern, die umso mehr zur Interpretation auffordern, je stärker sie sich aller Ausdeutung entziehen.

"Nichts wäre lächerlicher und belangloser wie eine cerebrale gemalte Weltanschauung ohne den schrecklichen Furor der Sinne für jede Form von Schönheit und Hässlichkeit des Sichtbaren“, erklärt Beckmann in seiner Londoner Rede von 1938 – nebenbei dem deutlichsten Manifest eines Künstlers gegen die Nazi-Kulturbarbarei. Dieser "Furor der Sinne“ ist es, der den Betrachter unverändert in seinen Bann zieht. Seine feinnervige Wahrnehmung verbarg Beckmann nicht selten hinter Zynismus. "Der Krieg scheint mir gut zu tun, denn ich sehe eine neue Welt entstehen ,eiskalt auf feurigen Fiebern‘“, schrieb er Ende 1939 an Stephan Lackner, seinen jugendlichen Freund und Förderer, selbst Emigrant in Paris, der später in die USA ging. Lackner war Besitzer des großartigen "Selbstbildnisses mit Horn“, das jahrzehntelang im Wohnzimmer des vertriebenen Schriftstellers im kalifornischen Santa Barbara hing.

"Eiskalt auf feurigen Fiebern“ wirken die Bilder allemal. "Der Befreite“ hat Beckmann sein erstes Amsterdamer Selbstbildnis von 1937 genannt, doch das kleinformatige Bild sagt das Gegenteil. Der Schädel ist fahl, die Gitterstäbe versperren den Hintergrund. Von Freiheit keine Spur. Zum ihm gemäßen weltmännischen Auftreten – mit Hut, Stock und lässig geschwungenem Schal – findet Beckmann erst 1941, im Doppelbildnis mit Quappi. Es ist die Selbstbehauptung des erklärten Individualisten gegen die Barbarei des Krieges, der ihm in Amsterdam stets gegenwärtig war. "Ich schreibe dieses gerade während einer Verdunklung in Amsterdam beim harmonischen Concert des Sirenengeheuls“, bemerkte er einmal sarkastisch. Was der Krieg anrichtete, blieb ihm in Amsterdam nicht verborgen. Das Gemälde "Schiphol“ von 1945 zeigt den zerbombten Flughafen unter blutroter Morgensonne. In Schiphol warfen die Alliierten Lebensmittelpakete für die hungernde Bevölkerung ab. Die Not seiner Kriegstage hat Beckmann 1943 in dem Gemälde "Les Artistes mit Gemüse“ festgehalten, einer merkwürdigen Versammlung von vier Emigranten, die stumm und beziehungslos am kargen Tisch sitzen.

Als 2001 sein "Selbstbildnis mit Horn“ von 1938 mit einem Auktionspreis von umgerechnet 50 Millionen Mark zum teuersten deutschen Kunstwerk der Moderne avancierte, fand die internationale Wertschätzung des Künstlers einen fassbaren Ausdruck. Werke des 1884 in Leipzig geborenen, in Weimar, Berlin, Frankfurt, erneut Berlin, Amsterdam und St. Louis wohnhaften und am 27. Dezember 1950 beim Spaziergang im New Yorker Central Park gestorbenen Künstlers können sich deutsche Museen kaum mehr leisten. Noch befindet sich etliches in Privatbesitz, doch die Bestände in öffentliche Sammlungen werden sich nicht mehr grundlegend erweitern. Ähnlich steht es mit Ausstellungen und der überbordenden Literatur. Beckmanns Werk ist erforscht, publiziert, allerorten sichtbar.

Eine gut 25-jährige Renaissance der Beschäftigung mit dem Künstler findet mit der Münchner Ausstellung ihren folgerichtigen Abschluss. Sie begann weit vor dem Jubiläumsjahr 1984. Die Zusammenschau aller neun vollendeten Triptychen Beckmanns, dieser zu den eindrucksvollsten Kunstwerken des Jahrhunderts zählenden Gemälde, die 1980 nahezu unwiederholbar in London versammelt waren, markierte zugleich den Beginn der internationalen Wahrnehmung des bis dahin als allzu "deutsch“ übergangenen Künstlers. Die Zentenarausstellung 1984, die auch die Berliner Nationalgalerie erreichte, wurde in München erarbeitet – und im "Haus der Kunst“ gezeigt, das Hitler als NS-Weihestätte hatte bauen lassen. So schließt sich der Kreis zur gegenwärtigen Amsterdam-Schau. Wie schon die Geburtstagsausstellung von 1984 hat sie Carla Schulz-Hoffmann, die Leiterin der 2002 eröffneten Pinakothek der Moderne, maßgeblich miterarbeitet.

In den zurückliegenden drei Jahrzehnten lassen sich gut vierzig gewichtige Museumsausstellungen zählen, unter denen diejenige in Paris, London und New York 2002/03 die endgültige Etablierung Beckmanns im Olymp der Moderne bezeugt. Früher war Beckmann in Paris wegen seiner "teutonischen Schwere“ abgelehnt worden. Nun wurde er als "einer der tiefsten und erfindungsreichsten“, als "einer der wichtigsten Maler des Jahrhunderts“ gefeiert. Sein Werk, urteilte "Le Monde“, ist "außerhalb jeder Mode und erschreckend zeitgenössisch“.

Vergleichsweise spät haben die Museen die malerischen Eigenheiten Beckmanns herausgestellt – über die gegenständliche Erkennbarkeit der Bilder hinaus. Nicht eben arm an Selbstbewusstsein, maß sich Beckmann seit jeher an den größten Kollegen, vor allem an Picasso. Jahrelang unterhielt er ein Atelier in Paris, wollte dorthin auch emigrieren, ehe ihm der Krieg die Übersiedlung aus Holland verwehrte. Vom Expressionismus, unter dem er in Deutschland lange Jahre rubriziert wurde, hat sich Beckmann aufs Heftigste distanziert. Das Kunsthaus Zürich hat mit der Ausstellung "Beckmann und Paris“ 1998 endlich vor Augen geführt, mit welchen Malern Beckmann verglichen werden wollte.

Einen Seitenweg ging die DDR. Als Leipziger "auf dem Boden der DDR“ geboren, konnte er als Vorbild der von der SED wohlgelittenen "Leipziger Schule“ um Heisig und Mattheuer präsentiert werden, so zum 100. Geburtstag 1984. Auch seine durchaus als deutsch verstandene Gedankenschwere spielte da eine Rolle.

Heute steht Beckmann als der vor uns, der er selbst immer sein wollte: als großer Einzelgänger. Es gibt keinen zweiten Maler der deutschen Moderne, bei dem das geradezu verbissene Festhalten am Gegenstand mit einer derart eigenwilligen, geradezu unbekümmerten Form- und Farbgebung zusammentrifft. Deutlich geworden im Lauf der Beckmann-Renaissance ist das koloristische Genie. Beckmanns Farben sind düster und schreiend, dissonant und eigenartig harmonisch zugleich – das glatte Gegenteil der Wohlfühl-Malerei eines Matisse. Beckmann hat eine Malfaust, keine gefällige peinture. Über seine besondere Maltechnik ist viel geforscht worden; die starkfarbigen Untergründe, die die Bildoberfläche von innen heraus leuchten lassen, die schwarzen Begrenzungslinien der Gegenstände, die üppige Verwendung von Deckweiß.

Was also gibt es an Beckmanns Œuvre noch zu entdecken? Neues im Sinne überraschender Forschungsergebnisse kaum. Wohl aber für jeden Betrachter den unverbrauchten und unverbrauchbaren Sinneseindruck, den alle große Kunst auslöst. Zusammen mit der letzlich unbegreiflichen Erkenntnis, dass große Kunst unter schwierigsten Umständen entstehen kann. Auch darin besteht das typisch Deutsche der Kunst von Max Beckmann.

München, Pinakothek der Moderne, verlängert bis 27. Januar. Katalog bei Hatje Cantz, 39 €, geb. im Buchhandel 49,80 €.

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