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© Uwe Walter, courtesy Galerie Eigen + Art

Kunst: Die Schwarzmaler

Back to black: Ausstellungen in Braunschweig und Hannover feiern die neue Düsternis in der Kunst.

Weit geöffnet sind die Flügeltüren der klassizistischen Villa Salve Hospes in Braunschweig. Weit geöffnet zum Park. Draußen ist Sommer, Sonne, Hitze, Grün, alles flimmert, leuchtet, strahlt. Hier drinnen aber, im edlen Domizil des Braunschweiger Kunstvereins, ist alles tot. Abgebrochene Äste, steinige Felsen, schwarze Tümpel, Schnee auf den Gipfeln, die Straße wie eine schwarze Schlange und Stromleitungen quer durch den Wald. Die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas, die seit 2006 in Berlin lebt und nun in Braunschweig ihre erste museale Einzelausstellung erhält, ist Meisterin der schwarzen Romantik. Der Schwarzwald und die Golan-Höhen, das norddeutsche Moor und die Seen rund um Berlin dienen ihr als Inspiration.

Wer die schöne, dunkelhaarige Enddreißigerin, die als derzeit interessanteste Künstlerin ihres Landes gehandelt wird, nun für eine Naturmystikerin hält, liegt falsch. Dass ihre großformatigen Bilder, die sie mit schwarzer Tusche zeichnet, biografische Notate sind, Bühnenbilder, vor denen sie ihr Leben neu erzählt, sind, gibt die in Tel Aviv aufgewachsene Tochter marokkanischer Einwanderer zwar zu. Und spricht dann doch lieber über DNA-Strukturen und Konzepte. Ihr Werk ist mehr Heidegger als Caspar David Friedrich, mehr Labor als Waldeseinsamkeit.

Extrem synthetisch wirken ihre Landschaftsbilder, mit denen sie erst bei der Galerie Eigen + Art, dann auch auf der Biennale in Venedig auffiel, wo sie 2007 den israelischen Pavillon gestaltete. Da wachsen die Bäume vom Himmel in die Erde, Perspektiven brechen und verschieben sich, der Himmel spiegelt sich in den Tümpeln. Stäbe lehnen gegen die Leinwand, als müssten sie die Tiefe der Seen ausloten, und manchmal schieben sich Paneele von beiden Seiten ins Offene, als seien es japanische Paravants. Architektur und Urzeitlandschaft, Sehnsucht und Bedrohung, der Blick auf endzeitliche Wüsten mit dem Wissen, was Zivilisation an Zerstörung mit sich bringen kann – all das schwingt in den Bildern von Sasportas mit und macht sie zum hellsichtigen Kommentar, in Israel wie in Berlin.

Früher hat Sasportas ihren Bildern Strichcodes eingeschrieben, die auf Tonbändern basierten, auf denen Gespräche mit ihrer Mutter konserviert waren. Heute sind es magnetische Felder, die den Bildern ihre Energie geben. 46 Tuschezeichnungen sind in Braunschweig zu sehen: zarte Blätter, die vegetabile Elemente wie Blütenblätter mit magnetischen Feldlinien und Skizzen verbinden. Es waren Vorarbeiten zu „The Magnetic Hearts“, einer Doppelprojektion, die buchstäblich das Herz der Ausstellung bildet: Zwei Filme, die auf runden Scheiben ablaufen, wie Schallrillen von Schallplatten, gestört durch zeichenhafte Spuren, die wie Kratzer oder Verschmutzungen wirken, dazu ein elektronischer Sound zwischen Choral und weißem Rauschen. Sternenstaub im Sonnensystem, Mondlicht auf schwarzen Wassern, alles kreist um ein schwarzes Loch: Sasportas macht ungemein suggestive Kunst. Die Dechiffrierung überlässt sie dem Betrachter.

Als Vertreterin neuer Schwarzmalerei ist sie, parallel zur Braunschweiger Einzelausstellung, auch in der Kestner-Gesellschaft Hannover vertreten. In der Ausstellung „Back to Black“ , die 21 internationale Künstler versammelt, herrscht allerdings eher Minimalismus. Gregor Hildebrandt klebt Kassettenbänder nebeneinander, bis ein schwarz glänzendes Bild entsteht, rhythmisch unterbrochen von den Weißstellen am Ende der Bänder. Nick Cave grüßt ohne Stimme. Auch Rafael Bujanowski erliegt der Verführung der Farbe Schwarz. „Lamp Black“ heißt sein Bild von 2008, das mit so glänzender Farbe und starker Strichstruktur gemalt ist, dass sich das Saallicht mannigfaltig bricht. So farbig kann Schwarz sein.

Die Farbe scheint im Trend zu liegen. Nicht nur in der Kunst: Der Soziologe Lutz Hieber spannt im Katalog den Bogen vom Schwarz der Bourgeoisie im holändischen Frühkapitalismus über die Pariser Existenzialisten bis zum „All-BlackCostume“ der Beats. Doch auch die Museen sehen gern schwarz: Schon 2006 zeigte die Fondation Maeght bei Nizza „Le noir est une couleur“. 2007 zog das Münchner Haus der Kunst mit „Black Paintings“ nach und feierte die abstrakten Expressionisten Ad Reinhardt und Mark Rothko. Die Hamburger Kunsthalle zentrierte eine Ausstellung um Malewitschs „Schwarzes Quadrat“. Und die Londoner Galerie White Cube zeigte mit „Dark Matter“ die jüngere Generation um Katharina Fritsch und Damien Hirst.

In Hannover ist die Bandbreite nun noch größer, bis zur Gefahr der Beliebigkeit: Jonathan Meese und Andreas Hofer spinnen an ihren Privatmythen, Florian Süssmayr und Zbigniew Rogalski spielen mit der Ästhetik von Schwarz-Weiß-Fotografie, bei André Butzer quillt die Farbe von der Leinwand, und der Thailänder Udomsak Krisanamis bemalt Glasnudeln, die geometrische Strukturen bilden. Minimalismus bei Peter Peri und Wilhelm Sasnal, Naturkitsch bei Emanuel Seitz und Pat Rosenmeier. Schwarz, Farbe der Trauer, Tod aller Farben. „I see a red door and I want it painted black/no colors anymore I want them to turn back“, singen die Rolling Stones.

Die schönste Arbeit führt direkt zurück zur Natur. Rafael Bujanowskis „Landscape with Tree and House/Zurich Area“ von 2004 ist ein kleines, unauffälliges Bild, ganz schwarz. Das Video daneben zeigt die Entstehung, den Malprozess: Zunächst eine Silhouette von Haus und Bäumen, darüber ein Himmel voller dunkler Wolken. Zart setzt der Pinsel hier ein Wölkchen, dort eine Linie mehr. Immer weiter, immer weiter. Der Himmel verdunkelt sich zusehends, immer dichter die Wolken, immer schmaler die hellen Streifen, bis sie nur noch am Horizont aufglühen. Ein souveränes Spiel zwischen Bildproduktion und -auslöschung. Weiß man das Haus, den Baum unter dem Schwarz, sieht man sie noch. Nacht über Zürich.

Auch über dem Sommerhimmel von Hannover zieht ein Gewitter auf.

Yehudit Sasportas, The Laboratory, Kunstverein Braunschweig, bis 10. August. Katalog (Prestel) 29,95 €. Am 7. August spricht Yehudit Sasportas in Braunschweig über ihre Kunst.

Back to Black, Kunstverein Hannover, bis 10. August, Katalog (Kehrer Verlag) 49 €.

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