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KUNST-Stücke: Passt, wackelt nicht

Thea Herold liest legendäre Sätze.

Ein Raum voll mit leeren Paletten. Achthundert Duisburger Schwerlastpaletten, sauber gestapelt in Doppelreihen. Sie dürfen, sie müssen nicht en detail besichtigt, sondern vielmehr en masse beschritten werden. „Trockenbau“ heißt die Ausstellung bei Jarmuschek+Partner in der Halle am Wasser (bis 23. August, Invalidenstraße 50/51). Fernöstlich gesehen ist da ein Moment erfüllter Leere zu erleben, wo nicht das Sichtbare den Wert ausmacht. Das Nicht-Sichtbare, die Art der Kombination und die Intension der Sache, das hält’s zusammen. Sommerlich träge oder schlicht physikalisch könnte man es auch Schwerkraft nennen.

Nun hat sich Dieter Lutsch (Jahrgang 1974) nicht nur einer Vokabel vom Bau bedient, er baute wirklich selbst: eine Treppe. Gegenläufig angelegt, beginnt sie schon auf dem Vorplatz der Galerie. Stufe für Stufe niedersinkend kommt sie der Schwelle nahe, um sich dann ebenso langsam im Innern der Galerie, mit flachen Stufen das barocke Schrittmaß wahrend, nach einer noblen Kehre sacht zu erheben. An der höchsten Stelle des Trockenbaus liegen vierundzwanzig Stück Paletten aufeinander, aber es hält, passt und wackelt eben nicht. Wenn das Wort der Vollplastik heute auch ein bisschen angestaubt klingt, hier macht es Sinn.

Kristian Jarmuschek fand Dieter Lutsch als talentierten Meisterschüler von Karin Sander bei der Diplomausstellung an der Kunsthochschule Weißensee. Das ist zwei Sommer her. Wohin es den Bildhauer in den nächsten zwei Jahren auch immer verschlagen wird, eine ganz eigene bildhauerische Intelligenz und besondere Intuition fürs Material hat er schon jetzt. Und, was ja nie selbstverständlich ist, eine Menge Humor. Denn sein „Klangteppich“, mit dem er seine Treppeninstallation akustisch überzieht, erinnert zwar an grasende Alpenkühe mit Glocken. Doch wenn man den Ursprung dieser unsichtbaren Nerverei sucht, ja sie schlussendlich hinter einer Gipswand findet, entdeckt man .... Sie werden staunen! (Klanginstallation 5000 €, „Trockenbau“ Preis auf Anfrage.

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Für die Eröffnung ihrer Berliner Adresse hat sich die einstige Whitney-Kuratorin Tanya Leighton die amerikanische Performance-Künstlerin Sharon Hayes eingeladen, die 2007 in Kassel auf der documenta 12 zu sehen war. Gerade ist sie auch bei Deutsche Guggenheim zu Gast. Doch am besten ist sie jetzt hier.

Gefüllt und leer im gleichen Maß empfindet man die beiden Räume. Dunkel und Hell wechseln sich rhythmisch ab. In guter Old-school-Technik rasseln neun Kodak-Karussells ihre Dias durch und werfen Performance-Bilder in einer gestuften Banderole an die verdunkelte Wand. Eine Frau ist auf ihnen zu sehen, einsam auf den Plätzen von New York. Sharon Hayes schrieb berühmte Protestlosungen oder Redezitate auf Schilder und ging damit auf die Straße. Charmante Konsequenz, ja brillante Klarheit hat diese Idee – die Fotos haben sie nicht immer. Doch darum ging es Hayes auch nicht. Mal hat sie ihre Plakate mit beiden Händen hochgehalten. Oder sich einfach um den Hals gehängt oder das Plakat am Haltestock den Passanten vor die Nase gewuchtet. „I AM A MAN“ steht da in Versalien. Diesen Satz hatte Martin Luther King berühmt gemacht Oder den berühmten Satz nach 9/11: „Nothing Will Be As Before“. Alles ist viel mehr als nur ein Ausruf. Aber umso mehr unsichtbarer Denkstoff für den Heimweg (bis 23. August, Kurfürstenstraße 156).

Thea Herold

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