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Kunst: Zwiebelfisch und Vogeldreck

"Beyond the Wall": eine Berliner Ausstellung präsentiert DAAD-Stipendiaten aus fast 50 Jahren. Die Stipendiaten aus aller Welt haben ihre bunten Spuren in Berlin hinterlassen.

Manche kamen und gingen. Viele blieben, auf Zeit. Und nicht wenige auf immer. Wann genau der „Berlin auf immer“-Punkt erreicht war, den der chilenische Erfolgsschriftsteller und spätere Berlin-Botschafter Antonio Skármeta in einem Essay so lebendig wie amüsant beschreibt, wer will das sagen. Vielleicht schon in der ersten Nacht, 1973, als Skármeta, mitten im Wirbel der Studentenrevolte, im „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz auf seine erste Wohngemeinschaft trifft? In dem Moment, in dem Edward und Nancy Kienholz auf dem Flohmarkt eigenartige schwarze Kästen aus Bakelit entdeckten und kauften – Volksempfänger, aus denen später die Hakenkreuze herausgefeilt worden waren? Oder in dem Moment, in dem Emmett Williams, der große, humorvolle, im Februar verstorbene Fluxus-Künstler, nach längerer Abwesenheit seine einstige Lieblingskneipe am Nollendorfplatz sucht und an der Stelle einen Supermarkt findet? „Nein, ich bin kein hoffnungsvoller Romantiker. Nun, im Fall von Berlin bin ich’s vielleicht doch“, sein Kommentar.

Sie alle haben ihr Berlin erlebt, im „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz oder im „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer, im Ateliergebäude am Käuzchenweg in Dahlem, im Literarischen Colloquium am Wannsee oder im Gäste-Wohnhaus am Halensee mit seinen Messingschildern „Bitte Schuhe reinigen“. Und sie haben Berlin, diesem „Freihafen der Künste“, wie György Konrád es nennt, in ihren Arbeiten, in Romanen und Bildern, Installationen und Erinnerungen bewahrt: eine einzigartige Kunst- und Literaturgeschichte, an einem kleinen, ummauerten Punkt auf der großen Weltkarte entstanden. Höchste Zeit also, dass das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), das seit mehr als 45 Jahren über tausend Künstler aus aller Welt in die einstige Mauerstadt brachte, einmal umfassend gewürdigt wird. Auch, weil von diesen Künstlern, vor allem den bildenden, doch einiges in der Stadt hängen geblieben ist, in staatlichen Sammlungen wie in Privatsammlungen, und auch in der Sammlung der ehemaligen Bankgesellschaft, nun Landesbank Berlin, die nun, im Max-Liebermann-Haus am Potsdamer Platz, so etwas wie ein erweitertes Heimspiel gibt. Zehn Jahre nach Gründung der Stiftung Brandenburger Tor, zehn Jahre nach der Eröffnungsausstellung „After the Wall“ über Kunst aus Osteuropa heißt es nun, unter der Ägide von Britta Schmitz: „Beyond the Wall“. Kunst aus aller Welt.

Der Ort ist dabei Programm. Stolz steht der 65-jährige Georges Adéagbo, derzeitiger DAAD-Stipendiat und gefeierter Documenta-Künstler, im Eingang und erläutert seine wild wuchernde, extra für die Ausstellung angefertigte Arbeit. Im Zentrum die Skulptur, die nach Westen, Osten, Norden und Süden blickt, an den Wänden vier Vitrinen voller Fundstücke aus Berlin, gewidmet den vier Alliierten USA, England, Frankreich und Russland. Aktuelle Zeitungsfunde, Fotos wie jenes wunderbare Fundstück, das „3 x Kameruner nur 1 Euro“ verheißt, und in einer Vitrine der höfliche Absagebrief, mit dem Bundespräsident Horst Köhler, für sein Afrika-Engagement bekannt, den Besuch der letzten Adéagbo-Ausstellung in der DAAD-Galerie verweigert: keine Zeit. Er hätte es nicht weit gehabt.

Fundstücke: so etwas wie der rote Faden aller Arbeiten, nicht nur bei Adéagbo oder den Waschbrettern, Radios und Mutterkreuzen, die die Kienholz’ verarbeiteten. Vielleicht hat Ben Vautrier ja recht, wenn er (orthografisch nicht ganz sicher) proklamiert: „wen alles Kunst ist wie soll man keine Kunst machen“. Denn ob es die Zehnpfennigstücke sind, die Craig Wood in den Wohnungen ehemaliger Stipendiaten fand und zu einer verschlungenen Schlange verband, oder das Fotoalbum aus den 50er Jahren, das Christian Boltanski auf dem Flohmarkt der Straße des 17. Juni entdeckte, harmlose Familienszenen, Geburtstagsfeier, Weihnachten, ein abendliches Bad – ob Nachkommen der Familie noch leben, wissen, dass sie Kunst geworden sind, anonymisierte und doch so persönliche Kunst?

Oder, man sammelt wie Jimmie Durham Worte und verbindet sie zu einem fiktiven Stadtplan, der so wunderbare Straßen wie „Imbissstammtisch“, „Ambulante Händler“, „Grabbeltisch“, „Vogeldreck“ und „Sachbearbeitertisch“ vereint. In der Mitte, gefühlt so etwa in Schöneberg, prangt ein fetter roter Punkt: „Sie sind hier“. Berlin ist, in vielen dieser Arbeiten, noch immer so etwas wie das heimliche Herz der Kunst.

Beyond the Wall, Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7, bis 2. Dezember, Eröffnung heute Abend, 19.30 Uhr. Katalog (Nicolai Verlag) 24,90 €, in der Ausstellung 22 €. Parallel zur Ausstellung finden jeden Dienstag literarische Torgespräche statt.

Christina Tilmann

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