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Kunststücke: Schrecksekunden

Marcel Odenbach gehört zu den Großen der Videokunst in Deutschland. Und groß, ja bombastisch ist auch sein neuestes Werk in der Galerie Crone (Rudi-Dutschke-Str. 26, bis 30. 1.). Nicola Kuhn spürt den entscheidenden Augenblick.

Die Darstellung des Mahnmals von Majdanek erlaubt keine Kleinigkeiten, es selbst ist riesig: eine Betonschale von 36 Metern Durchmesser, gefüllt mit der Asche der KZ-Opfer. 78 000 Menschen starben hier, eine unermessliche Zahl.

Im Kreise drehen nennt der Kölner Videokünstler seine Arbeit (70 000 €). Tatsächlich bewegt sich die Kamera in einer endlosen Fahrt rund um das Monument, fährt minutiös am porösen Beton vorbei, gibt Blicke frei in die harmlose Landschaft, streift die hölzernen Balken der stehen gebliebenen Baracken. Zwei junge Bursche klammern diese Kamerafahrt ein; in der Eröffnungssequenz rollen sie sich auf der Wiese umeinander; am Ende umkreisen sie im Gespräch die Schale. „Überall dieser kalte Stein, dieser unfreundliche Beton!“, sagt der eine. Der andere erwidert: „Darf denn ein Mahnmal überhaupt gemütlich sein?“

Odenbach ist mittlerweile Spezialist für deutsche Geschichte, die er stets mit dem Schicksal seiner Familie verknüpft präsentiert. Ein Video-Interview mit einem Onkel und der in einer Vitrine ausgelegte Kalender mit schwärmerischen Einträgen seiner damals 12-jährigen Mutter über Hitler, die später in den Widerstand ging, ergänzen die Schau. Odenbach schließt Vergangenheit, Gegenwart, anonymisiertes Gedenken, individuelle Geschichte kurz. Für eine Schrecksekunde wird alles präsent. Der Tod von Millionen steht im Raum. Das 1969 eingeweihte Mahnmal von Majdanek ragt wie ein Beton-Ungetüm in die heutige Diskussion um die adäquate ästhetische Gestaltung des Gedenkens herein. Letztlich lässt es sich nicht bauen, nicht filmen – auch nicht mit zunehmendem Abstand. Aber die Vermittlung einer Ahnung, eine verlängerte Schrecksekunde ist schon eine große Tat.

Auch Marisa Mandler versucht, den entscheidenden Augenblick darzustellen, jenen Moment, in dem sich Orpheus auf dem Weg aus der Unterwelt nach seiner Braut umdreht und sie dadurch verliert. Auch hier fokussiert das Schicksal auf einen Punkt, strahlt es von dort aus in Vergangenheit und Zukunft. Doch die amerikanische Künstlerin, die für ein Jahr als Willert-Stipendiatin in Berlin weilt, wählt für dieses Drama ein gänzlich anderes Material als Beton. Sie gießt weiße Keramik zu zerbrechlich-zarten Bodenstücken aus, die in der Wohnmaschine (Invalidenstr. 50/51, bis 16. 1.) an der Wand lehnen. Erste Bruchstellen durchziehen die hauchdünnen Membranen von menschlicher Größe. Mit ihrer Installation Dear Oprheus (4800 €) feiert Marisa Mandler die Schönheit des Untergangs, zelebriert sie die Vergeblichkeit, den Tod zu überwinden. Dass sie trotzdem im Leben steht, zeigt ihre Zeichnung „February 26th, 2009“ (2200 €), bei der sie sämtliche Geräusche dieses Tages als Amplituden auf Papier übertragen hat. Lärm, Lachen, Schweigen – im Sekundentakt aufbewahrt.

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