zum Hauptinhalt
Arcimbolo

© Katalog

Malerei: Der Gott der Jahreszeiten

Die Nase eine Gurke, der Mund eine Erbsenschote, das Gewand aus Ähren: So kennt das Publikum Arcimboldos Gemälde - eine großartige Ausstellung in Wien.

„Der Sommer“, eines der vier Jahreszeitenbilder, die, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden, so einzigartig dastehen und ihrer Zeit eine heitere Note verleihen. Wer kennt schon den Hinweis des Humanisten Lomazzo, diese Bilder seien „mit großer Sorgfalt und unermesslichem Studium entstanden“?

Nicht allein, aber besonders auch um diese Studien geht es der Ausstellung zu Giuseppe Arcimboldo (1526–1593), die jetzt das Kunsthistorische Museum Wien zeigt, und nicht um das Pittoreske, das mit seinen anthropomorphen Obst- und Gemüsestillleben stets verbunden wurde, vom Surrealisten avant la lettre ganz zu schweigen. Der aus einer Mailänder Malerfamilie stammende Giuseppe Arcimboldo wurde bislang als Hauptvertreter des geheimnisvollen, Alchemie und Astrologie zugeneigten Treibens am Hofe des kaiserlichen Sonderlings Rudolf II. in Prag vorgestellt. Mit derlei Mystifikationen räumt die großartige Wiener Ausstellung auf und stellt Arcimboldo in den Zusammenhang seiner Zeit und seiner eigenen Biografie als Maler am Wiener Hof Maximilians II., dem Vater Rudolfs, der ihn in Prag weiterbeschäftigt, seiner längst vollendeten Kunst jedoch keine neue Richtung weist.

Da tut sich, ganz im Sinne von Lomazzos Hinweis auf das „Studium“ des Malers, eine ganz andere Welt auf: eine der größten Neugier auf die Erforschung der Natur, zu einer Zeit, da wissenschaftliche und künstlerische Erkenntnis noch nicht geschieden sind. Maximilian setzte seine Untertanen bereits bei seinem festlichen Einzug in Wien 1552 durch einen mitgeführten Elefanten in Erstaunen. Später ließ er Tiergärten mit exotischen Tieren einrichten, mit seinem königlichen Cousin, Philipp II. von Spanien, stand er in regem Briefverkehr über unbekannte Pflanzen und Tiere aus der Neuen Welt.

Maximilian dürfte denn auch besonderes Interesse an den Naturstudien gezeigt haben, die der als Porträtist eingestellte Arcimboldo anfertigte. Dessen frühe Jahre am kaiserlichen Hof lassen sich nicht zur Gänze dokumentieren. Verschiedentlich wird er in den Akten erwähnt, auch Zahlungen sind belegt; ebenso aber Bilder, die irgendwann verloren gingen und nicht einmal dem Inhalt nach zu benennen sind.

Arcimboldos Tätigkeit fällt mit Maximilians Regierungszeit zusammen, der Ende 1562 zum römischen König, mithin zum Oberhaupt des altdeutschen Reiches gewählt worden war. Bald darauf entstanden die vier Jahreszeiten; der Kaiser war von ihnen derart angetan, dass er mehrere Wiederholungen als Geschenke für fürstliche Häupter in Auftrag gab. Die 1573 geschaffene Reihe, für den Kurfürsten von Sachsen und damit einen der sieben Wahlmänner des Kaisers bestimmt, ist heute die einzige vollständig erhaltene Serie und zählt zu den Publikumslieblingen des Pariser Louvre.

Der Genuss von Arcimboldos Fertigkeit in der Vermenschlichung der Feld- und Gartenfrüchte ist bis heute geblieben, das Erstaunen über die wissenschaftliche Genauigkeit hingegen verloren gegangen. Doch erst aus dieser Genauigkeit, die ein umfassendes Studium der Natur voraussetzt, lässt sich die Bedeutung von Arcimboldos Allegorien erahnen. Wie in der Renaissance üblich, wurden Gemälde solchen Ranges von Lobgedichten begleitet. So wurden die „Jahreszeiten“ sowie die verwandten vier „Elemente“ – allegorische Darstellungen von Luft, Feuer, Erde und Wasser – zu Neujahr 1569 dem Kaiser verehrt, zusammen mit einem Huldigungsgedicht auf die „gute Regierung“ des Hauses Habsburg. Die Reihenfolge der Elemente ist nicht beliebig: Jedes Element entspricht einer Jahreszeit. Über die tiefere, politische Bedeutung der Bilder muss gerätselt werden. Es steht zu vermuten, dass zumindest die Jahreszeiten mit verschiedenen Regionen des riesigen Habsburgerreiches in Verbindung zu bringen sind, mithin von Zeitgenossen als geografische Allegorien verstanden werden konnten, wie es dem Zeitalter der Entdeckungen und damit der Bewusstwerdung geografischer, botanischer und nicht zuletzt kultureller Unterschiede entspräche.

Maximilian II., ein äußerst gebildeter und nicht weniger als sieben Sprachen kundiger Fürst, interessierte sich stark für Botanik. Für Wien ließ er eine völlig neuartige, leider unvollendet gebliebene Bau- und Gartenanlage entwerfen. Aus dem Jahr 1565 stammt der Entwurf eines regelrechten „Museums“, das Kunst und Natur vereinen sollte und in seiner wissenschaftlichen Konzeption die gängigen und gerade von den Habsburgern so geliebten Kunstkammern systematisiert. In dem zugehörigen Traktat wird Maximilian als „der größte Beobachter jeglicher Zierde, die die Natur dieser Welt hervorbringt“, gerühmt. Einen Anflug des verloren gegangenen, von seinem Sohn und Nachfolger Rudolf II. in dessen eigene Prager Wunderkammer inkorporierten „Maximilianeums“ will die Wiener Ausstellung mit ihren zentralen Sälen geben, indem Naturstudien, aber ebenso ausgestopfte Tiere sowie kunsthandwerkliche Bravourstücke zusammengestellt sind.

Arcimboldos Werke bilden das Scharnier zwischen den naturalia und den artificalia, den Natur- und den Kunststücken. Sie sind, in den verschiedenen Fassungen, die sich erhalten haben und die in der Wiener Ausstellung erstmals in solcher Vollständigkeit versammelt sind, an den Wänden rings um die vier vergoldeten Bronzestatuen verteilt, die von dem Wunderwerk des später zerstörten mechanischen Brunnens stammen, den Maximilian in Nürnberg in Auftrag gab. Auch diese jeweils gut 70 Zentimeter hohen Statuen sind Personifikationen der Jahreszeiten. Sie wurden einst von einer nachgebildeten Kaiserkrone überwölbt, als Zeichen des Zusammenhalts, den allein das Haus Habsburg zu spenden vermöchte. Im Zusammenhang solcher anspruchsvollen ikonografischen Programme sind auch Arcimboldos Werke zu sehen, über die capricci, die meisterlichen Einfälle hinaus, die seine Gemälde einzigartig machten.

Maximilians Nachfolger Rudolf II. übernahm Arcimboldo, dessen Hauptarbeit in der Gestaltung der bisweilen mehrere Wochen dauernden höfischen Feste gelegen haben dürfte, und überschüttete ihn mit Ehrungen. Die höchste dieser Ehrungen war die Erhebung zum Pfalzgrafen, ein Jahr vor Arcimboldos Tod, als Anerkennung für das dem Kaiser aus Mailand, wohin der Künste zu seinem Lebensabend zurückgekehrt war, nach Prag gesandte Gemälde „Vertumnus“. Der altrömische Gott der Pflanzenwelt, dargestellt als Summe aller Pflanzen und Früchte zeigt in Arcimboldos Komposition den Kaiser selbst als Gott der Jahreszeiten und als Verkörperung des mit ihm auf die Erde zurückgekehrten Goldenen Zeitalters.

Neben diesem späten Hauptwerk – aus Schweden entliehen, wohin es im Dreißigjährigen Krieg entführt worden war – steht als Höhepunkt der Ausstellung das erstmals gezeigte Gemälde „Vier Jahreszeiten in einem Kopf“. Als Dreiviertelporträt angelegt, gewinnt es eine ungeheure Lebendigkeit. Es ist, so die Ausstellungskuratorin Sylvia Ferino, wohl ein Selbstbildnis des alt gewordenen Künstlers, dessen Kopf aus einem knorrigen Baumstrunk gebildet wird, der mit frischen Früchten lediglich behängt ist. Wohl 1591 entstanden, zählte Arcimboldo 65 Jahre und hatte sich längst vom Hofdienst zurückgezogen. Gegenüber diesem schlechthin vollendeten Werk treten selbst diejenigen capricci zurück, die Arcimboldo so populär gemacht haben, wie der „Bibliothekar“ aus Büchern und Staubwedeln oder der „Kellermeister“ aus Weinfass und Karaffe.

Sich selbst hatte der Künstler 1587, unmittelbar nach seiner Rückkehr ins heimatliche Mailand, aus Papierstreifen zusammengesetzt gezeichnet. Das ebenso würdige wie melancholische Antlitz lässt erahnen, dass Arcimboldo in 25-jährigem Dienst am kaiserlichen Hofe alle Größe, aber ebenso alle Vergänglichkeit gesehen hatte. Seine eigenen Gemälde hingegen sind Monumente einer Natur, die unter seinen Händen nie vergeht.

Wien, Kunsthistorisches Museum, bis 1. Juni. Katalog 29 €, im Buchhandel (Hatje Cantz) geb. 39,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false