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Möbel: König der Kommoden

Das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zeigt die kostbaren Möbel von André Charles Boulle.

Luxus suggeriert Zeitlosigkeit. Doch nur die wenigsten Marken und Produzenten schaffen es, hundert Jahre und länger in der Topliga der Konsumgüter mitzuspielen. „Der Rolls Royce unter den Möbeln“ betitelt die Zeitschrift „Weltkunst“ unlängst ihren Bericht über den Möbelschöpfer André Charles Boulle. Das ist eher untertrieben.

Möbel, die aus der Pariser Werkstatt des genialen Möbeltischlers stammen, sind viel mehr als schönes Blech – selbst wenn Boulle für seine Einlegearbeiten in Metall und Schildpatt weltberühmt geworden ist. Als Boulle-Technik bezeichnet man bis heute ein zwar nicht vom Meister erfundenes, aber zur Perfektion gebrachtes Verfahren, bei dem Platten aus Schildpatt (dem meist rotbraun schimmernden Panzer der Meeresschildkröte) und Metall übereinandergelegt und ornamental ausgesägt werden. Am häufigsten verwendete Boulle vergoldetes Messing, aber auch Silber war gebräuchlich. Auf diese Art entstanden in einem Arbeitsgang zugleich eine „premier partie“ und eine „contre partie“, Positiv- und Negativmuster, die man oft für zwei als Pendants konzipierte Möbel verwendet hat.

Boulles Möbel erregten zu ihrer Entstehungszeit um 1700 die Mächtigen und Superreichen dieser Welt genauso wie heute. Ob Sonnenkönig Ludwig XIV., Sachsens August der Starke, Napoleon, der Modefürst Hubert de Givenchy oder der russische Oligarch Roman Abramowitsch – Boulle-Möbel signalisieren kulturell verbrämt und doch äußerst eindeutig den Status ihrer Besitzer. Sie waren schon zu Lebzeiten des Meisters, der 1732 im Alter von 89 Jahren starb, keine Gebrauchsgüter, sondern Sammel- und Prestigeobjekte.

Frankreich darf also stolz sein auf seinen größten Ebenisten, dessen Vater aus dem deutsch-holländischen Grenzherzogtum Geldern eingewandert war. Umso mehr erstaunt es, dass die mit 150 Objekten erste wirklich umfassende Boulle-Ausstellung nicht in Paris, sondern – wenn auch unter Schirmherrschaft von Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der sich ebenfalls gern mit Boulle-Möbeln umgibt – im kommunalen Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zelebriert wird. Jean Nérée Ronfort, Kurator des Mammutunternehmens und Autor des Catalogue Raisonné von Boulle, ist ein Mann entschiedener Urteile. Auch in Deutschland hat er es nicht vermocht, die mit Blick auf Boulle naheliegenden Sammlungen in München oder Dresden als Gastgeber seiner Ausstellung zu gewinnen.

Nun schmückt sich Frankfurt, zeitgleich mit der wunderbaren Houdon-Ausstellung im Liebieghaus und der spektakulären Botticelli-Ausstellung im Städel, mit Boulle, dem König der Kommoden. Kurator Ronfort, der sich seit Jahrzehnten um die historische Erforschung und naturwissenschaftliche Analyse von Boulles Möbeln verdient macht, hat nicht nur die Petersburger Eremitage und die Königlichen Sammlungen in Stockholm, sondern auch Privatsammler, die sonst das Licht der Öffentlichkeit scheuen, zu spektakulären Leihgaben überredet.

Außerhalb von Versailles dürfte es derzeit nur an wenigen Orten mehr Möbelluxus geben. Und die kostbar inszenierte Ausstellung stellt die Stücke zudem in den einzig richtigen Kontext. Mit tanzsaalgroßen Gobelins aus der königlichen Manufaktur, erlesenem Silbergerät, Uhren und Gemälden vermittelt sie eine in Museen äußerst selten anzutreffende Qualitätsdichte. Hofkultur à la française war schließlich ein Frontalangriff auf alle Sinne.

Liest man über den unverkennbar französischen Patriotismus im Katalog hinweg, macht die Ausstellung jenseits des Schauwertes viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse publik. Erstmals wird Boulle als zunftfreier Hofkunsthandwerker, historisch gebildeter Entwerfer und tüchtiger Familienunternehmer gewürdigt, der bald sieben Jahrzehnte lang sein Publikum zu verblüffen verstand. Dem stilistische Wandlungsfähigkeit sowie ernst zu nehmende Konkurrenten und Nachfolger zugestanden werden. Und dessen Möbel ihrer Zeit so weit voraus waren, dass sie nie wirklich unaktuell geworden sind.

Boulle ist ein Klassiker, in mehrfacher Hinsicht. Stilistisch orientierte sich der Entwerfer, dem dank seiner großen Sammlung von Zeichnungen und Druckgrafik die Kunst Italiens, Deutschlands und Frankreichs von der Frührenaissance an vertraut war, eher an der Antike und ihren periodisch wiederkehrenden Neuauflagen als am beginnenden Rokoko. Und doch hat Boulle für die Geburt des neuen Stils viel getan. Seine dreidimensional gedachte Verwendung vergoldeter Bronzebeschläge weist weit ins skulpturensüchtige 18. Jahrhundert voraus.

Zum großen Vorbild wurde Boulle zudem in technologischer Hinsicht. Neben seinen Söhnen, die die auf Geheiß Ludwigs XIV. im Louvre angesiedelte Werkstatt nach 1715 erfolgreich weiterführten, arbeiteten schon zu Boulles Lebzeiten Meister wie Bernard I. van Risamburgh an der Weiterentwicklung der Metallmarketerien. Während des gesamten 18. Jahrhunderts wurden Boulles Möbel in Paris hoch gehandelt, oft restauriert, nachgeahmt, oder alte Teile zu neuen Stücken ergänzt. Nach 1815 packte besonders den britischen Hochadel die Sammelleidenschaft für die exzentrischen Möbelkunstwerke. Mit dem Neorokoko erlebte die Boulle-Technik ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch bei Neuanfertigungen eine Renaissance.

Heute gehören gesicherte Spitzenwerke von Boulle Senior zu den teuersten Möbeln überhaupt. Ein im November 2000 bei Christie’s New York versteigerter Tisch aus der Sammlung Riahi mit Blumenmarketerie, entstanden in der ersten Hauptschaffensphase um 1685, brachte über 5,7 Millionen Dollar: bis heute Weltrekord für ein Boulle-Möbel. Derart hohen Bewertungen konnte auch die Finanzkrise nichts anhaben. Am 9. Juli 2009 ersteigerte das Amsterdamer Rijksmuseum bei Christie’s zwei Coffres en tombeau, sargähnliche Truhen auf Untergestellen, die 190 Jahre lang auf Wrotham Park im englischen Hertfordshire – bekannt durch Robert Altmans Kultfilm „Gosford Park“ – gestanden hatten, für über 2,6 Millionen Pfund.

Boulles singuläres Preisniveau wird deutlich, schaut man auf gute Stücke seiner Zeitgenossen und Nachfolger sowie die oft vorzüglich gearbeiteten Neuinterpretationen des 19. Jahrhunderts. Ein qualitätvolles Bureau Mazarin des Pariser Meisters Nicolas Sageot, um 1700, brachte im November 2007 bei Koller in Zürich 170 000 CHF. Ein Paar Halbschränke in der Art von Etienne Levasseur, das gekonnt Boulles Klassizismus mit dem des späten 18. Jahrhunderts vermählt, spielte Anfang Juli 2009 bei Sotheby’s 115 000 Pfund ein. Eine detailgetreue Kopie von Boulles sechsbeiniger Konsole für das Apartment des Grand Dauphin in Versailles, Paris um 1880, blieb bei Koller im März 2009 unverkauft (Taxe 50-90 000 CHF), ein 1862 vom Meister Gerard in Paris gestempeltes Bureau plat in schönster Boulle-Manier erzielte im Juni dort 90 000 CHF.

Museum für Angewandte Kunst Frankfurt/Main, Schaumainkai 17, bis 31. 1. 2010. Der Katalog (Somogy Art Publishers) kostet 49 Euro.

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