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Neuseeland: Fremd im eigenen Land

Neuer Berliner Kunstverein: Die Ausstellung „Date Line“ versammelt indigene Kunst aus Neuseeland und räumt mit dem Vorurteil auf, Kunst von den polynesischen Inseln sei ein Fall fürs anthropologische Museum.

Dieses Muster: Man kann die Schnüre und Knoten lange anschauen und sich fragen, ob die eigenwillige Kokon-Form des Wandobjekts eine spezifische Bedeutung hat. Man konnte während der Eröffnung der Ausstellung „Date Line“ auch Michel Tuffery selbst fragen, der ohne großes Zögern sein T-Shirt hochschob und eine eindrucksvolle Tätowierung über der Hüfte entblößte, um die Ähnlichkeit beider Muster zu demonstrieren.

Das hat mit mir zu tun, meint Tuffery, und vielleicht ist das eines der offensichtlichsten Merkmale jener Künstler aus Neuseeland, die im Neuen Berliner Kunstverein (NBK) ihre Arbeiten präsentieren: ihr selbstverständlicher und dabei unprätentiöser Umgang mit dem Biografischen. Es taucht in den surrealen Selbstporträts von Lisa Reihana auf, die sich ein wattiges Kleid anzieht und wie eine Wolke über der Landschaft schwebt. Es ist auf den Bildern von Edith Amituanai (Jahrgang 1980) präsent, die Freunde oder Verwandte in ihren Wohnungen fotografiert und ihnen so viel Raum zugesteht, wie sie brauchen, um über die Einrichtungsgegenstände etwas von sich zu erzählen. Und schließlich in Tufferys großer Mixed-Media-Arbeit „First Contact“, die Bild- und Soundcollagen über eine gekrümmte Leinwand jagt.

Das passt zu einer Ausstellung, mit der der Direktor des NBK, Alexander Tolnay, ein Vorurteil ausräumen will, dass nämlich zeitgenössische Kunst von den polynesischen Inseln ein Fall fürs anthropologische Museum sei, wie es aktuell die Ausstellung „Pasifika Styles“ in Cambridge vorführt. Andererseits vermeidet es Tolnay in einem seiner letzten Projekte für den Kunstverein, für das er Wochen vor Ort recherchierte, jedes Detail einer Kultur zu erläutern, die nicht zuletzt dank ihrer Interpretation durch Künstler wie Paul Gauguin oder Max Pechstein als Vorbild einer harmonischen Südseekunst in den Köpfen der Europäer ankert. Zusammen mit Rhana Devenport, der Direktorin der GovettBrewster Art Gallery im neuseeländischen New Plymouth, hat er 14 Positionen indigener Künstler ausgewählt, die überwiegend in Neuseeland leben und deren Thema ihre Identität in einem Inselland mit bewegter Migrationsgeschichte ist.

Fast alle sind in neuseeländischen Galerien vertreten, manche von ihnen haben Starstatus, einige waren in Ausstellungen wie „Cultural Safety: Aktuelle Kunst aus Neuseeland“ zu sehen, die 1995 durch den Frankfurter Kunstverein und das Ludwig Forum in Aachen tourte. In Europa sind sie dennoch nur begrenzt bekannt. „Date Line“ will das ändern und erlaubt mit rund 30 Arbeiten einen großzügigen Blick auf die aktuelle Produktion.

Sie ist geprägt von zwei gegenläufigen Tendenzen. Der 1963 geborene Shane Cotton füllt seine Leinwände mit Schichten aus dunkler Farbe und zeigt darin schemenhaft Gesichter, die wie aus einer fernen Vergangenheit halb grüßend, halb bedrohlich aufscheinen. Tatsächlich hat der Maori vom Stamm der Ngapuhi eine individuelle Ikonografie entwickelt, um die koloniale Vergangenheit Neuseelands zu reflektieren, das seit 1990 offiziell ein bi-kulturelles Land ist. Ihm gegenüber steht eine Künstlerin wie Rachel Rakena, die in ihrem poetischen Video „Pacific Washup“ Angehörige der iwiStämme wie Boatpeople an einen Sandstrand treiben lässt: Ihre Kleidung besteht aus nicht mehr als jenen karierten Plastiktaschen, mit denen Menschen überall auf der Welt ihre Habe transportieren.

Globale Lesbarkeit auf der einen, die Privatisierung des Historischen auf der anderen Seite. So einfach ist es nicht. Schließlich fungieren alle Arbeiten als vieldeutige Abbilder einer Spurensuche, die ebenso von der Gegenwart mit ihrer Werbung, ihren Graffitis und ihrer Hiphop-Ästhetik beeinflusst ist. So wie bei Reuben Paterson, der tiki-Figuren mit den dekorativen Traditionen der Moderne verschmilzt und daraus die kalt glitzernde Oberflächen seiner Leinwände entstehen lässt. Oder wie Michael Parekowhai, auf dessen Konservendosen sich Plastikfiguren aus allen Kulturen zu kommunizierenden Ensembles wie auf alten Spieluhren zusammenfinden.

Filipe Tohi, der 1959 in Tonga geboren wurde und erst Ende der siebziger Jahre nach Neuseeland übersiedelte, kombiniert auf seinen Leinwänden und in seinen Skulpturen industrielle Materialien mit traditionellen Mustern, in deren wiederkehrenden Linien sich das tonganische Ideal vom Gleichmut materialisiert. Und John Pule erinnert sich auf seinen großen Leinwänden mit fein gezeichneten Motiven an die Insel Niue. Allerdings hat er sie bereits mit zwei Jahren verlassen: Die traditionellen Symbole seiner Heimat, die er verwendet, sind längst von allen möglichen Eindrücken überlagert und zu abstrakten Zeichen geworden.

Neuer Berliner Kunstverein, bis 21. 10., Di - Fr 12 - 18 Uhr, Sa/Sbd 14 - 18 Uhr

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