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Phaenomenale: Motor der kleinen Dinge

Alles dreht sich: Maschinenkunst bei der Phaenomenale in Wolfsburg überrascht mit ungewohnten Einblicken.

Die kleine Katze leckt gierig an der Milchpfütze. Leckt und leckt – und fällt tot um. „Poisoned Milk“, vergiftete Milch, heißt die mechanisierte Holzskulptur des britischen Automatenbauers Paul Spooner. Angetrieben wird sie von hölzernen Zahnrädern, die sich auf Knopfdruck drehen. Zu sehen ist sie im „Phaeno“, dem futuristischen Wolfsburger Science Center der Architektin Zaha Hadid. Dort findet die Ausstellung „PhantasieMechanik-Maschinen erzählen Geschichten“ statt – mit Spooners Skulpturen und 75 weiteren kinetischen Werken von 14 Künstlern.

Die Ausstellung ist Teil des Wolfsburger Festivals „Phaenomenale“, das wie schon 2007 Wissenschaft, Technik und Kunst zusammenbringen will. „Dinge in Bewegung“ lautet der Titel des diesjährigen Festivals, in dessen Mittelpunkt zwei Ausstellungen stehen. Um kinetische Kunst geht es im Phaeno, um entfremdete, bewegte Alltagsgegenstände im städtischen Kunstverein. In beiden Häusern, wo sich alles dreht, rattert, klackert und zischt, soll die Kunst vor allem eines: Spaß machen. Und das tut sie auch. Gleichzeitig kitzelt sie die Neugier der Betrachter und rührt an einer alten Faszination: tote Gegenstände zum Leben zu erwecken.

„Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht“, schrieb schon der schweizerische Künstler Jean Tinguely in seinem „Manifest für Statik“ 1959. Tinguely, Erbauer von Maschinentheatern, Konstrukteur des Basler „Fasnachtsbrunnen“ und Hauptvertreter der kinetischen Kunst, forderte dazu auf, die Zeit nicht mehr zu „malen“, sondern als vierte Dimension in die Kunst zu integrieren. Versetzte früher die Kunst das Dargestellte noch in Ruhe, so versuchten Jean Tinguelys Maschinen das Gegenteil. Angetrieben von Motoren, Spulen und Zahnrädern, wackelten und drehten sich seine Werke und demonstrierten dabei vor allem ihre Nutzlosigkeit, die reine Zweckfreiheit.

In Paul Spooners hölzernen Apparaten bricht ein Ehemann zusammen, als ihm seine Frau schlechte Neuigkeiten überbringt; hinter einem Vorhang verwandelt sich ein Mann in eine Frau und umgekehrt. Beziehungsprobleme und Identitätskrisen – es ist kleine Kunst für die großen Geschichten des Lebens. Dass es dabei nicht immer mit schwarzem Humor, sondern auch philosophisch zugehen kann, zeigen die Werke des Amerikaners Arthur Ganson. Seine „Machine with Wishbone“, ein fragiles Gebilde aus Draht, Metall und Rädchen, ist mit dem V-förmigen Brustknochen eines Huhns verbunden. Links, rechts, links, rechts, stapft der Knochen voran und zieht die Maschine hinter sich her. Oder ist es die Maschine, die den Knochen bewegt? Haben wir die Kontrolle über unser Leben, oder kontrolliert unser Schicksal uns, fragt Ganson mit dieser Installation.

Humor, Philosophie, Poesie und Technik – die Kumulation all dessen findet sich in den Arbeiten des russischen Bildhauers Eduard Bersudsky. Seine Skulpturen bestehen aus Müll, alten Nähmaschinen, Speichenrädern, Plattenspielern und geschnitzten Holzfiguren. Zu russischer Volksmusik drehen und bewegen sich die Installationen. Das sieht gespenstisch aus – und oft verbirgt sich hinter der Kunst Kritik am ehemaligen Sowjetsystem. Etwa bei der Installation „Time of Rats“, bei der ein großer blinder Maulwurf – Russland – von einem halben Dutzend kleiner Ratten gelenkt und kontrolliert wird.

Auch im Wolfsburger Kunstverein bewegt sich einiges: Hier präsentieren junge Künstler ihre Werke, in denen sie Gegenstände des täglichen Lebens verfremden und dekonstruieren. „Merkwürdige Maschinen“ heißt die Ausstellung. Alexander Laner etwa nutzt einen sechszylindrigen Sportwagenmotor als Antrieb für einen Plattenspieler. Durch den völlig überzogenen Aufwand, nur um Musik abzuspielen, führt sich der Plattenspieler selbst ad absurdum. Walter Zurborgs „Weglauftiere“, die aus zusammengenagelten Holzstücken und einer Kreissäge bestehen, erinnern an Tinguelys „Hommage an New York“ (1960), ein Kunstwerk, das sich selbst zerstörte. Zurborgs „Tiere“ kriechen und hoppeln vorwärts, soweit das Kabel erlaubt – und ziehen sich schließlich selbst den Stecker.

Die Maschinen nutzlos zu machen und sie gleichzeitig einem neuen, künstlerischen Nutzen zuzuführen, ist hier das Ziel. Denn bei allem Aufwand und Getöse: das rastlose Abmühen der Maschinen bleibt erfolglos. Die Apparate karikieren sich selbst – und konterkarieren die Effizienz unseres von Maschinen gesteuerten modernen Lebens.

Bis 29. 6.; Kunstverein Wolfsburg, bis 20. 4. Weitere Informationen unter www.phaenomenale.com.

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