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© Rückeis

Postmoderne: Leben wie Jackie O.

Wunderkammer der Kunst: Der Martin-Gropius-Bau präsentiert das Universum der Barbara Bloom. Die US-Künstlerin gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Postmoderne.

Mit dem Licht ist Barbara Bloom noch nicht zufrieden. Den einen Raum hätte sie gern etwas dunkler, im anderen fehlt ihr ein Spotlight. Und für die auffällige Treppe mitten im Ausstellungsraum, die andere zur Verzweiflung bringen würde, wünscht sich die Künstlerin erst recht ein akzentuierendes „dramatic light“: Wenn sich die Dinge nicht ändern lassen, muss man sie halt umarmen.

So sind die eigenwilligen architektonischen Einbauten im Martin-Gropius-Bau, die beiden Wendeltreppen und selbst die leuchtend roten Feuerlöscher an der Wand nun Teil der Ausstellung, die Barbara Bloom gerade zum letzten Mal vor der Eröffnung mit einem kleinen Team durchmisst – um Lampen an- und wieder auszuknipsen, Stühle zu rücken oder an einem weißen Abendkleid zu zupfen, wie es ihre Mutter damals in Hollywood getragen hat.

Maßgebliche Vertreterin der Postmoderne

Der Gesamteindruck ist die Summe aller Details. Niemand scheint das besser zu wissen als die 1951 geborene US-Künstlerin, die hier bislang wenig bekannt ist. Dabei gehört Barbara Bloom zusammen mit Künstlern wie Cindy Sherman, Richard Prince oder Barbara Kruger zu den maßgeblichen Vertretern einer postmodernen Generation, die nicht immer noch mehr Bilder produzieren will, sondern aus der Überfülle des Vorhandenen präzise auswählt, was es zu reflektieren gilt: Bei Sherman sind es die Rollenmodelle, bei Prince werden Klischees verhandelt, Kruger wiederum thematisiert den Konsum. Mit Barbara Bloom erweitert sich das konzeptuelle Feld um den Aspekt der Ästhetik und die Frage, wie sich Schönheit im Auge des Betrachters darstellt.

So offen sie den Ideen anderer Kulturen und Epochen gegenübersteht und in die eigene Arbeit integriert, so sehr lehnt die Künstlerin die Reproduktion ihrer Kunst ab: Was sie für jede Ausstellung aufs Neue konzipiert, bezieht sich auf den spezifischen Ort und den Augenblick. Bloom reagiert auf Details im Raum, schafft Sichtachsen und inhaltliche Bezüge und kreiert so eine Atmosphäre, die keine Abbildung wiedergeben kann.

Eher Künstlerbuch als Dokumentation

So ist das dickbauchige Werk zur Berliner Schau – eine stark variierte Übernahme aus dem International Center of Photography in New York – auch mehr Künstlerbuch als Dokumentation geworden. Es zeigt das visuelle Instrumentarium der Barbara Bloom: gefundene oder selbst geschossene Fotos von Menschen, Tieren, Möbeln oder Architektur neben ausschnitthaften Installationen und Objekten, die im Kontext verschiedener Arbeiten zum Teil seit dreißig Jahren immer wiederkehren. Dass auch die Ausstellung eine längere Vorgeschichte hat, klingt im Buchtext von Dave Hickey an. Eine Retrospektive sei zwar überfällig, für Bloom aber lange undenkbar gewesen, schreibt der etablierte amerikanische Kunstkritiker. Bis die Künstlerin auf einen Auktionskatalog mit dem Nachlass von Jacqueline Kennedy Onassis gestoßen ist – eine letzte Gelegenheit, die von der ehemaligen First Lady geliebten und gesammelten Dinge zu sehen, bevor die Auktion sie in alle Winde zerstreut.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert „The Collections of Barbara Bloom“. Die Ausstellung arrangiert die gesammelten Materialien der Künstlerin zu flüchtigen Installationen, die so nicht wieder zu sehen sein werden. Jedes Objekt kann für sich oder im Dialog mit benachbarten Arbeiten gesehen werden. Elf Begriffe, mit denen Bloom die Räume überschrieben hat, geben die Richtung der assoziativen Ketten vor: mit Worten wie „Framing“, „Doubles“, „Broken“ oder „Songs“.

Poetisches trifft auf Absurdes

Sie verbinden die zarten Schattenprojektionen alltäglicher Gegenstände an der Wand mit Fotografien von zerbrochenem Porzellan oder antiken Skulpturen in Museen. Davor thronen Porträtbüsten in schimmerndem Elfenbein, stapeln sich „Picasso“-Bücher oder hängen halbtransparente Stoffe, die man zur Seite ziehen muss, um die Motive darunter zu sehen. Poetisches trifft auf Absurdes. Nicht zu vergessen Blooms sorgfältige Dramaturgie des Lichts, das weich umspielt oder dramatisch inszeniert und selbst einen schlichten Hocker zum Aufmerksamkeit fordernden Requisit werden lässt.

Die meisten Objekte drängen allerdings erst allmählich in den Blick. So stapeln sich in einem Raum hoch über dem Besucher leere Cocktailgläser auf dem Rand einer Stellwand – wer immer die fragilen Stücke dort mit der Leiter hinaufgebracht und aufgestellt hat, muss eine ruhige Hand besitzen. Ein Spotlight rückt die fragile Installation in den Blick, doch wer nicht neugierig in alle Richtungen schaut, dem entgeht das akrobatische Arrangement aus Glas und Luft. Dafür bemerkt er vielleicht die Abdrücke im grauen Teppichstück ein paar Säle weiter. Spuren von Schuhen, so klein wie die Füße jener Schulkinder, die Bloom fotografiert und neben dem Teppich arrangiert hat. Und noch während man sich nach den Verursachern jener Abdrücke umschaut, realisiert man, dass die Spuren tief in den Teppich gewebt sind.

Barbara Bloom liebt solche Irritationen. Ihr Thema ist der aufmerksame Blick, der spielerisch begreifen möchte und sich neuen Einsichten zuliebe auch verwirren lässt. So wie vor einem Foto aus Goethes Haus in Weimar, das die Künstlerin geschickt platziert hat. Man schaut aus einiger Entfernung, täuscht sich über die Größenverhältnisse und glaubt für einen Moment, durch die offene Tür auf dem Foto in weitere echte Ausstellungsräume von Barbara Bloom zu blicken.

Erzählerisches Scherbenmuster

Die Wunderkammern der Künstlerin überraschen mit jedem Schritt. Man begegnet erotischen Szenerien aus Japan, deren Details mit kleinen, bunten Punkten zensiert worden sind. Es gibt Briefe von Flaubert, auf die Barbara Bloom im gewundenen Stil des 19. Jahrhunderts antwortet und deren Sätze auf Karaffen und Obstschalen eingeritzt sind.

Schließlich steht man vor mehreren Rahmen mit zersprungenen Scheiben: Statt die Bilder zu schützen, bildet das Glas nun ein wildes, erzählerisches Scherbenmuster über den eigentlichen Motiven. Ob es damit zerstört und unbrauchbar ist oder sich nur in einem anderen, transformatorischen Zustand befindet, ist allein eine Frage der Betrachtung.

„Broken“ heißt Blooms übergreifendes Thema in diesem Raum, der dank einer Erläuterungstafel auch über kintsugi informiert: Nach dieser alten japanischen Tradition wird teure zerbrochene Keramik bis heute nicht nur aufwendig mit Goldlack geklebt. Erst die sichtbaren Spuren der Reparatur machen den Gegenstand zu einem besonders schönen Unikat. Ein Gedanke, der dem westlichen Verständnis von Makellosigkeit völlig zuwider läuft.

Morbider Unterton

Bloom streut häufiger Verweise auf andere Kulturen und Epochen ein. Auffälliger aber ist ein durchgängig morbider Unterton, der sich durch die verblassenden Fotos, das zerbrochene Glas und die fragilen Installationen zieht, um im letzten Raum auf makabere Weise bestätigt zu werden: Hier ruht nicht nur Blooms eigener Grabstein in der Vitrine, daneben liegen auch altmodische Kameen und sogar Pralinen mit dem Konterfei der Künstlerin. Erst am Ende der Ausstellung wird klar, wie streng ihr Konzept jenem Auktionskatalog von Jacqueline Kennedy Onassis folgt – der tatsächlich einen Nachlass präsentiert und per Verkauf auflöst. Bloom leistet sich damit allerdings auch einen ironischen Kommentar auf die Retrospektive selbst, die den Rückblick auf ein abgeschlossenes Werk suggeriert, obwohl es längst nicht abgeschlossen ist.

„Sie war auf der Suche nach Schönheit“ steht in den weißen Marmor des Steins graviert. Gefunden hat Bloom auf ihren Streifzügen durch Zeit und Raum ziemlich viel und kann doch nicht sagen, wie sich Schönheit definieren lässt. Das räumliche Mosaik der „Collections of Barbara Bloom“ gibt eine Ahnung von der Vielfalt und der Subjektivität, mit der sich ästhetische Phänomene betrachten lassen. Dass Bloom deshalb mit ihrer Spurensuche am Ende ist, steht nicht zu befürchten: Der Grabstein trägt bislang nur ihr Geburtsdatum.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Str. 2, bis 9. November. Zur Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch (45 €).

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