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''Rotes Wien'': An der schönen roten Donau

Zwischen Weltkrieg und "Anschluss": Eine großartige Wiener Ausstellung zeigt den "Kampf um die Stadt" in den dreißiger Jahren.

Das „Rote Wien“ gilt seit den 70er Jahren als Markenzeichen sozialer Kommunalpolitik. Die Wiener „Höfe“, die von der „Gemeinde Wien“ in den 20er und frühen 30er Jahren errichtet wurden, waren Sozialbauten mit mustergültigen Einrichtungen wie Kindergärten, Wäschereien und Gemeinschaftsküchen. Monumentale Gebäude wie der Karl-Marx-Hof mit seinen über 1000 Wohnungen sind zu Ikonen der Zwischenkriegszeit geworden. Nur ist dieses Bild höchst unvollständig. Das „Rote Wien“ ist eine in der Ära der sozialdemokratischen Stadtregierung gezielt aufgebaute „Marke“. Doch ihre Wiederentdeckung ließ den historischen Kontext außer Acht.

Dieser umfasst sowohl die Feindschaft, die Wien von der 1918 in eine nicht gewollte Unabhängigkeit gestoßenen Republik Österreich entgegenschlug als auch den Austrofaschismus, den Beinahe-Bürgerkrieg von 1934 und den „Anschluss“ an Nazi-Deutschland 1938. Er umfasst auch Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, gesellschaftliche Risse und ethnisch-religiöse Spannungen. Diese historische Gesamtheit will nun die Ausstellung „Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930“ darstellen, die das Wien-Museum im Künstlerhaus am Karlsplatz vorführt – ein Unternehmen so groß, dass der begleitende Katalog auf 600 Seiten angeschwollen ist.

Die Marke „Rotes Wien“ war an Berlins Eigenwerbung der 20er Jahre orientiert, das die Spree-Metropole als „Weltstadt Berlin“ anpries. Überhaupt drängt sich aus Berliner Sicht der historische Vergleich auf: von der sozialdemokratischen Ausrichtung der Stadtpolitik inmitten einer konservativen bis reaktionären ländlichen Umgebung bis hin zum Konflikt mit einer faschistischen Bewegung; von der urbanen Verdichtung bis zur Konzentration gesellschaftlicher Probleme, von Glamour und Elend.

Wien fand sich nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verschwinden des Habsburgerreiches als wasserköpfiger Regierungssitz eines weitgehend agrarischen Teilgebietes wieder. Die Bevölkerungszahl schrumpfte, allein schon wegen der in ihre ethnische Heimat zurückströmenden Bewohner des zerfallenen Vielvölkerstaates. Zugleich herrschte Wohnungsnot oder vielmehr, sie wurde als soziales Problem sichtbar. Österreich suchte eine Perspektive, nachdem der Wunsch, sich dem Deutschen Reich anzuschließen, von den alliierten Siegern verwehrt worden war. Diese Wunde schwärte, wie sich 1938 beim Millionenempfang des gebürtigen Österreichers Hitler auf dem Wiener Heldenplatz zeigen sollte.

Doch das ist nicht so sehr das Thema der Ausstellung. Sie ist vielmehr auf die inner-wienerischen Konflikte fokussiert, die mit überwältigender Fülle zur Anschauung kommen. Im Kern ging es um die sozialdemokratische Politik, die eine massive Umverteilung vornahm, um so ihre Projekte zu finanzieren: Neben dem Wohnungsbau, der immerhin 60 000 Wohnungen in 400 Wohnanlagen schuf, betrafen sie Einrichtungen vom Schwimmbad bis zum Krankenhaus, wobei die Senkung der hohen Kindersterblichkeit und das unentgeltliche „Säuglingswäschepaket“ zu den medial weit verbreiteten Erfolgen zählen. Dass der für die Steuerfinanzierung zuständige Stadtrat Hugo Breitner ein erfolgreicher Bankier aus dem jüdischen Bürgertum war, machte seine Politik umso umstrittener. Der Antisemitismus – seit den 1890er Jahren ein Mittel der christsozialen Gegenseite – wuchs immer stärker an.

Seit dem Brand im Justizpalast im Juli 1927 infolge einer gewaltsam auseinandergetriebenen Demonstration geriet die Sozialdemokratie in die Defensive, währen die konservative „Heimwehr“ aufstieg. Ob sich Hitler, Göring und Konsorten an die Rauchsäule über dem kuppelbekrönten Justizpalast erinnerten, als ihnen der Reichstagsbrand in die Hände spielte? Die politische Parallele ist jedenfalls frappierend. Anzahl und Heftigkeit der Straßenschlachten nahmen zu, wobei sich beide Seiten, „Heimwehr“ und „Republikanischer Schutzbund“, an Gewalttätigkeit nicht nachstanden. Dazwischen stand eine mit Maschinengewehren gerüstete Polizei. Der gescheiterte, dilettantisch losgebrochene Februaraufstand 1934 endete mit der vollständigen Niederschlagung der Linken, und der von Einschusslöchern übersäte Karl-Marx-Hof, das Symbol des „Roten Wien“ wurde zum bildwirksamen Fanal des Kampfausgangs.

Die Fahnen, Standarten, Plakate, die Waffen und Schlaginstrumente, die Fotos, Filmausschnitte und die höchst suggestiven (Radio-)Stimmen der Politiker zeigen eindrucksvoll, was Museumsdirektor Wolfgang Kos als ein Ziel seiner Ausstellung benennt: den „Kampf um die Straße“, um den öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Zugleich will er die „Überprominenz der Formel ,Wien um 1900’“ relativieren, jenes morbid angehauchte Schwelgen in Secession und Seelenkunde, das die Stadt seit Jahrzehnten weltweit vermarktet. Zweifellos kann das Wien um 1930 intellektuell und künstlerisch nicht mit dem des Fin-de-siècle mithalten, wie die Ausstellung in beinahe erdrückender Fülle veranschaulicht. Die Stringenz des polit-historischen Teils der Schau wird im Kapitel „Moderne Zeiten“ nicht mehr erreicht. Es liegt wohl auch daran, dass Wien in dieser Hinsicht eben nicht mehr Vorreiter sondern Nachahmer war – nicht zuletzt des pulsierenden Berlins.

Eindrucksvoll sind die Eintragungen von anonymen Zeitzeugen im Besucherbuch. „Die Sensation, in eine Gemeindewohnung einzuziehen“, ist da zu lesen, „nach Klo und Bassena am Gang“. Oder: „Vater ausgesteuert, Mutter Wäsche waschen …“. „Bassena“ bedeutet Waschbecken, „ausgesteuert“ heißt arbeitslos. An solch lakonischen Zeugnissen erweist sich die Notwendigkeit dieser Ausstellung. Man möchte sie großartig nennen, wäre ihr Gegenstand nicht überwiegend bedrückend.

Wien, Künstlerhaus, bis 28. März. Katalog im Czernin-Verlag (Wien). Mehr unter: www.wienmuseum.at

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