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Wójcik

© Niegoda

Schau: Gospel aus Helsinki

"Don't worry, be curious" heißt die vierte Triennale für Fotokunst des Kulturnetzwerkes Ars Baltica. Hier reagieren sich in Berlin 20 Künstler mit verblüffend positiver Energie an ernsten Themen ab.

Man muss ja nicht immer gleich gegen den globalen Kapitalismus schimpfen. Der Alltag ist doch schon voller Probleme. Bananen werden nicht reif. Schöne T-Shirts bleichen aus. Und warum fehlt auf Toiletten immer das Klopapier? Die Beschwerdechöre von Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen zeigen, was für einen Spaß es bringen kann, wenn man gemeinsam klagt. Bunt zusammengewürfelte Menschen aus Helsinki, St. Petersburg oder Hamburg tragen singend ihre Alltagssorgen vor und wenden die negative Energie der Beschwerde in die hoffnungsfrohe Kraft des Gospelgesangs. Sorgen und Ängste erscheinen auf einmal als Spiel: lustig und veränderbar.

Der Titel der 4. Triennale für Fotokunst des Kulturnetzwerks Ars Baltica, die jetzt bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) gastiert, ist ein engagierter und unverschämt naiver: „Don't worry – be curious“, sorge dich nicht – sei neugierig. Zwanzig Künstler aus Ostseeländern setzen sich mit den Problemen auseinander, welche die sich immer weiter ausbreitende Herrschaft des Marktes nicht nur in den postsowjetischen Staaten mit sich bringt – Umweltverschmutzung, Abstiegsängste, soziale Isolation und die keimende Angst vor dem Fremden. Dabei verblüfft die positive Energie, die die meisten Arbeiten der Schwere ihrer Themen entgegensetzen.

Kristina Inciuraite etwa begegnet der geplanten Trockenlegung einer litauischen Moorlandschaft mit Zeichentrickvideos über mythische Wesen aus einem Kinderbuch, die im selben Moor angesiedelt sind. Unschuldige Fantasie gegen Verwertungsdenken. Julita Wójcik greift den Slogan einer Sicherheitskampagne der New Yorker Verkehrsbetriebe auf: „If You See Something, Say Something“, die Forderung, herrenlose Gepäckstücke und jede andere Auffälligkeit zu melden. Mit einem Lautsprecherhorn auf dem Rücken stapft die Künstlerin durch die Weite der norwegischen Landschaft und schickt die Warnung über Gletscher und Fjorde. Ins Nichts versetzt, wird die Lächerlichkeit einer Kampagne klar, die zu nichts gut ist außer um Angst zu schüren.

Auch die ernsteren Arbeiten umschiffen das Plakative. Kaspars Goba etwa kommentiert mit seinen Porträts von Schwulen und Lesben die homophobe Gewalt, mit der sich die Gay Pride Parade in Riga 2005 und 2006 konfrontiert sah. Das Thema ist in Lettland inzwischen so brisant, dass die Porträtierten die Fotos nur außerhalb Lettlands zeigen lassen.

Die Schau vermittelt spannende Einblicke auf Gesellschaften im Umbruch, zwischen gegenseitiger Annäherung und innerer Spaltung. Arturas Valiaugas wunderbare melancholische Fotoserie „Between the Shores“ zeigt Schiffsreisende und die Ufer, von denen sie ablegten und zu denen sie aufbrechen. Einst war die Ostsee eine Grenze, heute ist sie verbindendes Element. Auf den Schiffen begegnen sich Pendler, Touristen und Trinker. Am anderen Ufer wartet nun nicht mehr das demokratische oder das kommunistische Paradies. Man sitzt im selben Boot.

NGBK, Oranienstr. 25 und Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 16. März; tgl. 12-18:30 Uhr

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