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Ausstellungen: Stimmen der Stille

Bob Dylan als Maler – der Maler als Poet: eine Weltpremiere in den Kunstsammlungen Chemnitz

Man hat ja Fragen. Die erste wäre selbstverständlich, ob Musik zu hören ist vor diesen so fremd wie vertraut wirkenden Bildern. Ob das mit Dylan-Songs gesättigte Unterbewusste einen Soundtrack abspielt, wenn man im Chemnitzer Museum an Bobs Malereien entlangwandert.

Die Antwort ist ein klares Nein. Mysteriöse Stille liegt über den Interieurs, Balkon- und Straßenszenen, Trucks und Schiffen, selbst die Porträts haben etwas Angefrorenes, die weiblichen Akte atmen seltsame Verschämtheit. Es ist also nicht so wie bei Günter Grass, dessen zeichnerisches Werk von den eigenen Romankreationen (Butt, Ratte, Zwiebel) nur so wimmelt. Dylans Bilderkosmos zeigt nichts weiter und nichts weniger als zufällige Blicke auf Gegenstände in leicht verwackelter Perspektive. Die Suche nach Tambourine-Männern, heiligen Johannas, Hattie Carrolls oder „Blood on the Tracks“ wäre vergeblich.

Wollte man, in der Stadt des Malers Schmidt-Rottluff, die Kunstgeschichte bemühen, dann klänge das so: Hier gilt es, einen verspäteten Künstler des deutschen Expressionismus offenbar amerikanischer Herkunft zu entdecken. Oder so: Hier haben sich einmal Matisse und Hopper getroffen, beide leicht betrunken. Und Cocteau und Rimbaud haben auch noch mitgemischt. Aber das führt nirgendwohin, so lustig die Vergleicherei auch ist; in Chemnitz wird der Besucher durch einen Baselitz-Raum geleitet, dann erst beginnt die Dylan-Ausstellung

Und die zweite Frage, die sich eigentlich als erste stellt: Wie gelangen hunderte von handkolorierten Dylan-Zeichnungen nach Sachsen? Wie kommen die Chemnitzer Kunstsammlungen zu der Weltpremiere? Nie zuvor waren Dylans bildnerische Arbeiten ausgestellt. Das wäre auch schwierig gewesen, denn die Bilder, die jetzt in Chemnitz hängen, hat er, auch das ist kaum zu glauben, für diese Ausstellung geschaffen.

Das muss erklärt werden. Im Jahr 2006 nahm Ingrid Mössinger, die Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz, Kontakt mit Dylans Management auf. Sie hatte in einem New Yorker Antiquariat ein Buch mit Zeichnungen des Meisters entdeckt, „The Drawn Blank Series“, und wollte die Blätter in Chemnitz zeigen. Dylan willigte ein, kündigte aber an, er werde kolorierte Zeichnungen schicken.

Mit einem digitalen Verfahren wurden seine Skizzen auf Büttenpapier übertragen, die Schwarz-Weiß-Vorlagen hat er in Gouache- und Aquarelltechnik ausgemalt: 322 Bilder, alle 2007 entstanden. 140 Blätter sind in Chemnitz ausgestellt. Die letzten signierte Dylan am Rande seines Konzerts in Leipzig im Mai. Und so kam Ingrid Mössinger, die vor zwei Jahren noch keine einzige Dylan-Platte besaß, zu einer kurzen persönlichen Begegnung mit ihrem Künstler, an dessen Musik – inzwischen hat sie fast alles, was er eingespielt hat – sie sich jetzt nicht mehr satthören kann.

Ein großer Schritt für Chemnitz, ein vielleicht gar nicht so kleiner für den 66-jährigen Bob Dylan. Von einigen Plattencovern sind zeichnerische Versuche bekannt. Wobei schon immer auffiel, dass die Cover-Art des scheuen Stars und Zimmerman auf exzentrische Art und Weise daneben war. Unscharfe Fotos, ungelenke Rockerposen. Verstellung, Maskerade, immerzu.

Dylans Bilderserien – man muss sich stets vor Augen halten, dass sie aus diesem Jahr stammen, dass es da eine große Schaffenswut gegeben haben muss – weisen in eine schwer fassliche Vergangenheit. Stillstand, Leere, Melancholie. Eine Stimmung des Danach, oder Davor, breitet sich aus. Innenräume kurz vor der Implosion, meist dargestellt von einem erhöhten Standpunkt. Stürzende Linien, schiefe Wände, Möbel, die im nächsten Moment davonzulaufen scheinen. Rückenbilder von Menschen und festgefahrene Mienen. Man spürt eine leise Magie.

Und an jeder Ecke lauert die Gefahr der Überinterpretation. Man kann den Mann, dessen Porträtfoto erst weit hinten in der Ausstellung hängt, in einem Durchgang, nicht ausblenden. Den Mann und seine Musik. Den Song and Dance Man, wie Dylan sich selbst nennt, auch das ist ironische Camouflage. Die Aquarelle lassen sich als Coverversionen der zwischen 1989 und 1992 entstandenen Skizzen betrachten, und das war, nach allem, was man weiß, für Dylan keine sehr gute Zeit. Damals begann, was bis heute andauert, die Never Ending Tour. Zu Zeiten 80 bis 100 Konzerte pro Jahr: eine endlose Übermalung, Zerstörung, Neufassung des musikalischen Werks, ohnegleichen seriell.

Die Chemnitzer haben einen Coup gelandet. Und sie haben eine kluge Entscheidung getroffen: keine Dylan-Lieder in der Ausstellung. Keine Ablenkung. Lediglich Martin Scorseses Filmdokumentation „No Direction Home“ wird im Begleitprogramm gezeigt, der glühende Dylanologe und bekannte Göttinger Germanist Heinrich Detering wird, neben anderen Bob-Exegeten, einen gelehrten Vortrag halten. Auf dem langen Weg zum Klassiker ist Chemnitz nun ein weiterer Meilenstein. Längst hat die akademische Welt ihren Dylan entdeckt, im Januar kommt Todd Haynes’ fantastisch-kryptisches Dylan-Biopic „I’m Not There“ in die deutschen Kinos.

Ich bin nicht da. „It Ain’t Me, Babe“. Damit muss man auch in Chemnitz zurechtkommen; Dylan spielt an diesem Wochenende drei Konzerte in Chicago, Illinois. Das ist die dritte – und allererste – Frage, die sich mit Macht aufdrängt: Was sind diese Bilder, wenn sie nicht von Bob Dylan wären, wenn man ihn, das soll es ja auch geben, nicht so gut kennt? Die Antwort fällt nicht leicht. Offenbar hat er vor langer Zeit einmal Zeichen- und Malunterricht genommen, die handwerkliche Qualität der Arbeiten spricht dafür. Sie sind wie aus der Zeit gefallen, beleuchten ein Amerika, das in den fünfziger oder sechziger Jahren zu vermuten wäre. Wie er es in seiner Autobiografie „Chronicles“ beschreibt, die kaum Persönliches und nichts Intimes enthält.

Das letzte Bild der Ausstellung: ein Schienenstrang, kein Mensch, kein Zug. In seiner Malerei hat Bob Dylan ein neues Versteck (englisch: cover) gefunden. Und eine neue Öffnung zur Welt.

Bob Dylan, „The Drawn Blank Series“, Kunstsammlungen Chemnitz, bis zum 3.2. 2008, Katalog 28 Euro.

Rüdiger Schaper

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