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Umbruch: 1989: Kuss der Freiheit

China, Russland, der Balkan - der Umbruch steckte alle an. Kunst zur Wende: die Doppelausstellung "1989" in Wien und Potsdam.

Ein Hauch Nostalgie kommt auf, wann immer Sophie Calles Installation „Die Entfernung“ gezeigt wird. Die Französin bereiste sieben Jahre nach dem Mauerfall Berlin und suchte Orte auf, an denen politische Symbole der DDR kurz vorher entfernt worden waren. Sie fotografierte den leeren Sockel des Lenin-Denkmals am Platz der Nationen, die Riesenvignette am Palast der Republik ohne Hammer und Sichel, das durchgestrichene Schild „Wilhelm-Pieck-Straße“, über dem nun die neue Bezeichnung „Torstraße“ prangt. Neben ihre Fotografien hängte sie die persönlichen Erinnerungen von Passanten an das, was einmal die Lücken füllte. Heute, nochmals 13 Jahre später, existieren nicht einmal jene Leerstellen mehr; auch die Erinnerungen werden zunehmend vage, lösen sich auf.

Erworben hat dieses Werk der Deutsche Bundestag, ein nobler Versuch, die Brüchigkeit der deutsch-deutschen Vergangenheit im Bewusstsein zu bewahren. Normalerweise hängt die Fotoarbeit in einem der Flure des Berliner Elisabeth-Lüders-Haus. Nun hat sie die Kunsthalle Wien in ihre Ausstellung „1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft?“ geholt. 35 Künstler aus zwanzig Nationen zeigen hier, wie sie den weltweiten Gezeitenwechsel erlebt haben, den manche schon in Performances, Filmen vorwegnahmen, was dieser Einschnitt für die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den ehemaligen Sowjetrepubliken, im Balkan, in China bedeutete.

Zu den berührendsten Arbeiten gehört Ewa Partums Performance von 1982, bei der die polnische Künstlerin, die ein Jahr später nach Berlin emigrierte, vollkommen nackt jeden einzelnen Buchstaben des Wortes Solidarnosc aussprach und dazu einen roten Kussmund auf weißen Karton drückte. Die Freiheit war damals noch fern; Ewa Partums gewagter Akt legt all die Emotionalität jener Jahre, die unterdrückten Sehnsüchte frei.

Die Wiener 89er-Ausstellung hebt sich durch die Fokussierung auf politische Kunst wohltuend von den vielen Jubiläumsveranstaltungen ab. Sie versucht nicht, die dramatischen Ereignisse vom Ende des Eisernen Vorhangs zu illustrieren, durch Fotodokumente oder Malerei aus der Mauerstadt, sondern fragt nach den sozio-psychologischen Implikationen. Dieser Aspekt bleibt bei den Berliner Ausstellungen etwa im Deutschen Historischen Museum, in der Berlinischen Galerie oder in der Stiftung Stadtmuseum eher ausgespart. Dort steht die Kunst für sich allein.

Umso verblüffender, dass sich Matthias Döpfner einen Ableger der Wiener Schau in die Villa Schöningen holte, jenen Persius-Bau direkt hinter der Glienicker Brücke, der Jahre lang verrottete und mit den privaten Geldern des Springer-Vorstandsvorsitzenden nun zur Gedenkstätte umgewandelt wurde. Ilya Kabakov, Neo Rauch, Josephine Meckseper und Marcel Odenbach sind hier ebenfalls zu sehen. Doch erscheinen ihre Gemälde, Videos, Fotoarbeiten merkwürdig erratisch und blutleer im Zusammenhang mit den ergreifenden Dokumenten im Untergeschoss, dem „Stalinrasen“ und persönlichen Erinnerungen der Erzieherinnen, die einst in dem hier untergebrachten Kinderheim arbeiteten. Kunst kann und will die Kluft zum Leben letztlich nicht überbrücken. Hier erscheint sie jedoch regelrecht abgehoben.

In der Wiener Kunsthalle zeigt sich, dass der geschützte Raum der Ausstellungsinstitution auch sein Gutes hat. Hier vermögen die Arbeiten zu wirken: Die Kunsthalle in Wien öffnet den Raum für eine subtilere Wahrnehmung. Marina Abramovics melancholische Videoarbeit „Count on Me“ würde die Härte der Wirklichkeit nicht vertragen und verflachen. Die serbische Künstlerin dirigiert verkleidet als Skelett einen Kinderchor, der die Hymne der Vereinten Nationen intoniert. „Wenn die Flammen des Krieges lodern und die Angst um sich greift, kommen die Soldaten der Friedensarmee, um das Leid zu verhindern. 1989, das war auch der Auslöser für den Balkankonflikt, der fast zwanzig Jahre dauerte.

Ebenso fern scheint aus heutiger Sicht auch das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens, das ins gleiche Jahr fiel. Chen Danqing übertrug eine Aufnahme von Agence-France-Presse in klassische Ölmalerei. Das Bild aus Peking ging damals um die Welt; in China selbst war das Foto der aufgebahrten, verletzten Studentin nie zu sehen. Bis heute durfte der Künstler es in seinem Heimatland nicht zeigen. Martin Parrs Aufnahmen von den Millionärsmessen, Pferderennen und Modeschauen der neuen russischen Oberschicht, auf der anderen Seite Boris Mikhailovs bestürzende Reportage vom Alltag der Obdachlosen in Charkow zeigen die Extreme der weiteren Entwicklung in der ehemaligen Sowjetunion.

Zu den stärksten Beiträgen der Ausstellung gehören jene Arbeiten, in denen die große Politik das Leben des Einzelnen, der Künstler selbst erfasst. Zwischen Dezember 1989 und Februar 1990 beschrieb, bemalte, beklebte Nedko Solakov 179 Karteikarten, mit denen er seine Zusammenarbeit mit der bulgarischen Geheimpolizei als junger Mann bis 1983 offenbarte. Solakovs künstlerische Selbstanzeige blieb bis heute ein einmaliger Akt. Weder hat er zu Bekenntnissen anderer ehemaliger Spitzel der Kunstszene in Sofia geführt, noch wurde Solakovs Akte je offiziell bestätigt. Es bleibt beim kümmerlichen Karteikästchen mit den selbst ausgefüllten Karten, deren Schicksalhaftigkeit auch 20 Jahre später noch schwelt.

Villa Schöningen, Potsdam, bis 14. 2.; zweiter Teil 20. 2. bis 25. 4.; Kunsthalle Wien, bis 7. 2., Katalog 29 €.

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