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Ausstellungen: Unheilige Hallen

Raum-Kunst: Die 7. Manifesta bespielt in Südtirol eine Festung, eine Fabrik und ein Postgebäude

Mit der Autobahn, der Schnellspur zwischen den vier Manifesta-Orten in Südtirol und im Trentino, verlässt man auch die Gegenwart. Architektonisch nämlich führt die siebte Ausgabe dieser europäischen Wanderbiennale ins Vorgestern – obwohl sich die Ausstellung mit über 230 Teilnehmern der zeitgenössischen Kunst widmet. Doch die Stätten stehlen der Manifesta, dieser europaweit wandernden Kunst-Biennale, dieses Mal die Schau: In Trento hat sie ein verlassenes Postgebäude und früheren Palazzo, in Bozen eine unrentable Aluminiumfabrik besetzt, die lange auf der Abrissliste stand. Rovererto bot sich an mit einer kürzlich geschlossenen Tabakfabrik. Und dank der Franzensfeste kommt eine obskure militärische Anlage aus dem 19. Jahrhundert hinzu, die im Kriegsfall bis zu 1200 Soldaten beherbergen konnte.

Wer Letztere zum Auftakt seiner Rundfahrt nimmt, wird von den übrigen Orten notgedrungen enttäuscht, weil die Manifesta hier mehr verspricht, als sie im Ganzen halten kann. Denn hoch am Hang haben die Kuratoren klein beigegeben und die gigantische Festung fast ausschließlich mit Soundinstallationen und eigensinnigen Sitzgelegenheiten von Martino Gamper bestückt. Im Zentrum der Wahrnehmung bleibt die bunkerhafte Festung, bleiben ihre verschachtelten Treppengänge und Räume unter mächtigem Tonnengewölbe, durch die man sich über mehrere Etagen arbeitet, um schon bald die Orientierung zu verlieren.

Franzensfeste erzählt vom Respekt gegenüber der Historie und ihren Mythen: So sollen im angrenzenden, kreideweißen See jene Goldreserven der italienischen Staatsbank versunken sein, die von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg geraubt und zur Festung geschafft wurden. Geschichten wie diese ranken sich viele um den steinernen Koloss, der bis 2006 militärische Sperrzone war. Da ist es nur konsequent, wenn die Besucher es nun aus allen Ecken wispern hören und ihnen von Folter und Gefangenschaft erzählt wird, von Sklavenhandel und moderner Migration.

Zehn Literaten und Philosophen haben sich im Auftrag der Manifesta an die Arbeit gemacht und Geschichten geschrieben, die mit der satten Atmosphäre des Ortes spielen. Die Texte von Arundhati Roy oder Saskia Sassen wurden anschließend dreisprachig vertont: Für jede Arbeit muss man den richtigen Kopfhörer finden, entsprechende Knöpfe drücken oder an weißen Fäden ziehen, die von der Decke hängen. Nur so findet man aus dem akustischen Sprachgewirr, das andererseits perfekt zur politischen Genese der mehrheitlich katholischen und eher konservativ orientierten Region passt: Nach seinem Sieg über Österreich- Ungarn 1918 besetzte Italien zunächst Südtirol und damit auch Bozen, der Annektierung folgte die Umsiedlung vieler Italiener aus südlichen Regionen.

Arbeit gab es in Bozens neuem Industrieareal, aus dem sich auch jenes Aluminiumwerk erhebt, das die Manifesta zum zweiten Ausstellungsort gemacht hat: ein Gebäude im Auftrag Mussolinis und deshalb als Werkzeug des „Duce“ historisch belastet. 2004 wurde „Alumix“ unter Denkmalschutz gestellt, Teile wie die riesigen Ofenhallen waren da schon abgerissen. Geblieben ist das ebenfalls imposante Transformatorenhaus, und genau hier sind die Kuratoren, das indische Raqs Media Collective, dem alten Fehler verfallen: Sie haben den Raum mit Kunst zum Thema „The Rest of Now“ vollgeklotzt.

Manches davon ist ein wunderbarer Reflex auf die ausgeweidete Industriehalle. Wenn etwa Jorge Otero-Pailos mit transparenten Latexmatten Abdrücke von den schmutzigen Wänden nimmt und dies als archäologische Arbeit begreift. Oder sich Meg Stuart Wassertropfen auf den Kopf fallen lässt, um fühlbar zu machen, dass die Zeit im Aluwerk überhaupt vergeht: Die Arbeiter dort konnten früher wegen der magnetischen Strahlung in bestimmten Bereichen keine Uhren tragen. Dazwischen aber hängt, steht und flimmert vieles, was das Thema illustrieren mag, in der mächtigen Halle aber wie abgestellt wirkt.

Ähnlich zwiespältig ist das kuratorische Ergebnis in der Tabakfabrik und im alten Postamt von Rovereto, wo der ehemalige Kurator der Berliner Kunst- Werke Anselm Franke gemeinsam mit Hila Peleg die Atmosphäre des Gebäudes mit allen didaktischen Mitteln bekämpft. Gäbe es die Filme von Guido van der Werve nicht, der einen winzigen, schwarz gekleideten Mann vor einem riesigen Eisbrecher gehen lässt, und ein paar andere sehenswerte Beiträge, könnte man auf einen Aufenthalt glatt verzichten. Die bislang größte Manifesta verhebt sich an ihrem eigenen Anspruch, möglichst viel über die Region verteilt zu zeigen und alles ortsspezifisch miteinander zu verknoten. Man hätte das Programm drastisch reduzieren und auf jene Beiträge fokussieren sollen, die tatsächlich mit den Orten sprechen.

Manifesta 7, bis 2. November. Dreibändiger Katalog 75 €. www.manifesta7.it

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