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Vertreibung: "Wir haben den Rasen schon vier Mal gemäht"

Europäische Geschichten. Geschichten von heute: Eine Ausstellung des Vertriebenenbundes im Kronprinzenpalais zeigt deutsches Leben in Osteuropa.

Deutsch, das habe sie immer mit gut erzogen, ordentlich und sauber verbunden, erzählt Caterina, eine freundliche Russin. 1990 kam die Tochter eines Deutschen nach Nowogradowka, ehemals Neuburg, eine Stunde von Odessa entfernt – in eine Neubausiedlung, die hier mit Mitteln der Bundesregierung errichtet wurde, um deutschstämmigen Bürgern der ehemaligen Sowjetrepubliken eine Alternative zur Auswanderung nach Deutschland zu bieten. Die meisten kamen aus Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, flohen vor Krieg und Bomben hierher. Heute nennt sich der landwirtschaftliche Betrieb in Nowogradowka wieder Neuburg, und Caterina ist stolz, dass auch der deutsche Ordnungsgeist wieder eingekehrt ist: „Wir haben das Gras im Garten in diesem Sommer schon vier Mal gemäht.“

Russlanddeutsche in Odessa, ein Junge, der in Siebenbürgen Deutsch in der Schule lernt und stolz vom Schulalltag erzählt, das Deutsche Staatstheater in Temeswar, wo ein Großteil des Publikums Rumänen sind, oder Erna Sidovà aus dem tschechischen Isergebirge, deren Eltern als ausgebildete Glasbläser 1945 im Lande blieben, als alle anderen vertrieben wurden: „Wir dachten immer, sie kommen zurück, aber sie kamen nicht.“ Das sind die Überreste ehemals deutscher Siedlungs- und Lebenskultur in Osteuropa. Alte Menschen, die noch in einem wunderbar gewählten Deutsch sprechen, oder jüngere, die die Sprache als Eintrittsbillett nach Westeuropa begreifen. Volker Koepp hat diese Kultur immer wieder in seinem Filmen beschrieben, in Czernowitz, an der Kurischen Nehrung. In Prag diskutiert man darüber, wie Franz Kafka im Schulunterricht vermittelt werden soll: als Deutscher? Als Tscheche? Und in Breslau besinnt man sich wieder auf die deutsche Vorgeschichte, die jahrzehntelang tabu war, und baut Teile des preußischen Schlosses wieder auf.

Europäische Geschichten. Geschichten von heute. Solche, die man gern erfahren hätte, in der Ausstellung „Die Gerufenen. Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa“, die das Zentrum gegen Vertreibungen – nicht zu verwechseln mit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung – im Berliner Kronprinzenpalais präsentiert. Doch dem Fortleben deutscher Kultur in den Ländern vom Baltischen Meer bis zum Schwarzen Meer, vom Böhmerwald bis zum Kaukasus sind in der Ausstellung nur eine Fotowand sowie ein paar Videointerviews gewidmet.

Der Fokus liegt auf jenen 800 Jahren, die Menschen aus der Eifel und aus dem Elsass, aus Preußen und Schwaben in Richtung Osten führten: aus Arbeitslosigkeit, Armut, oder weil sie mit Steuervergünstigungen, Befreiung vom Militärdienst oder Privilegien gelockt wurden. Ganz nebenbei fungiert die mit historischen Fotos und durchlaufenden Farbbändern übersichtlich gegliederte Ausstellung auch als Reiseanreiz, passend zum Ferienbeginn. Das ungarische Pécs, ehemals Fünfkirchen, ist im kommenden Jahr Kulturhauptstadt Europas, Sibiu, früher Hermannstadt, in Rumänien war es 2007. Europäischer Kulturreichtum, gerade durch seine Vermischung interessant: Da gibt es viel wiederzuentdecken.

Sie habe eine friedliche Geschichte erzählen wollen, eine heitere, freundliche, erklärt die immer wieder angefeindete Vertriebenenaktivistin Erika Steinbach bei der Pressekonferenz. Doch friedlich bleibt es auch dieses Mal nicht, schnell schlagen aggressiv die Wellen hoch, steht die Tätigkeit ihres Vaters als Wehrmachtssoldat im Vordergrund, oder das völkische Vokabular der Dreißigerjahre, das manch einer in der „Kultur im Osten“-Rhetorik wiedererkennen möchte.

Die Kuratoren Wilfried Rogasch, Katharina Klotz und Doris Müller-Toovey, die vor drei Jahren schon die Ausstellung „Erzwungene Wege“ über Flucht und Vertreibung am gleichen Ort entwarfen, verwehren sich zu Recht dagegen, verweisen auf die Vielzahl von Kultureinrichtungen in den bereisten Ländern, die seltene Objekte ausliehen. Sie haben eine solide, informative historische Ausstellung ausgerichtet: Das Herkunftsland von Bundespräsident Köhler, Bessarabien, dürfte man nach dem Rundgang ebenso kennen wie die Kirchenburgen von Siebenbürgen, die Bäderarchitektur von Karlsbad, die Textilfabriken von Lodz oder das Schwarzhäupterhaus in Riga.

Doch an dem Grundproblem, dass die Ausstellung bis auf einen Kürzestexkurs mit 1914 endet, konnten sie offenbar nichts ändern. Weder werden die nationalsozialistischen Expansionsideologien in irgendeiner Form dokumentiert, noch das gegenwärtige Leben vor Ort gespiegelt. Eine friedliche, eine freundliche Siedlungsgeschichte ist, so reduziert, eben eine falsche Geschichte.

Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, bis 30. August täglich 10 bis 20 Uhr

Christina Tilmann

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