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Wedding: Monster im Heizungsraum

Fünf junge Berliner Galerien zeigen ihre Künstler in einer Weddinger Fabrik. Ein schwarzer Ballon weist den Weg zum historischen Industriegelände. Das Projekt Micamoca verbirgt sich hinter einer Backsteinmauer.

Der italienische Architekt und Kunstsammler Mariano Pichler hat die ehemalige Tresorfabrik an der Lindower Straße gekauft und will sie gemeinsam mit dem Büro Kuehn Malvezzi zu einem Kunstareal entwickeln. Bis dahin sind die Weddinger Hallen ideal für einen Gastauftritt, fanden die Galerien Klemm’s, Feinkost, Kwadrat, Duve und Maribel Lopez. Fünf Galerien auf dem Sprung, noch nicht verwurzelt, aber doch bekannt. Sie engagierten das italienische Kuratorenteam Art At Work und zeigen nun unter dem Titel „Zweckgemeinschafft“ eine Gruppenausstellung.

In der hellen Werkhalle ist eine leichthändige, luftige Schau entstanden, die geschickt den Charme der leeren Fabrik nutzt, ohne vom pittoresken Ambiente abhängig zu sein. Im Heizungsraum hört man Wellen rauschen, Regen tropfen, Wind pfeifen. Der in Berlin lebende Künstler Daniel Gustav Cramer hat filmische Beobachtungen von Loch Ness gesammelt. Wenn Besucher zu lange auf die nebligen Aufnahmen starren, sind sie selbst überzeugt, Nessie auf dem Bildschirm entdecken zu können. Je genauer man hinsieht, desto weniger erkennt man.

Die Kuratoren bilden Gegensatzpaare, stellen Schärfe und Unschärfe, Intellekt und Intuition, Gegenwart und Vergangenheit einander gegenüber. Wunderbar nehmen die Fotografien von Lorna Macintyre den Wechsel des Tageslichtes auf. Die Künstlerin hat den gekachelten Fußboden einer Fabrikhalle fotografiert. Im Morgenlicht ist er klar, in der Abenddämmerung kann man den Raum nur diffus erspüren. Cristiano Mangione hat den weißen Kalk in einem exakten Kreis vom Mauerwerk abgeschlagen. Der Australier Christian Capurro wiederum trägt dicke Schichten schwarzer Tusche zu geheimnisvollen Schatten auf. So fördert die Kunst auf unterschiedlichem Weg Geschichte zu Tage, hier durch Tiefenbohrung, dort durch Übermalung.

Im vorderen Gebäudeteil zeigt Pichler zwei Arbeiten aus seiner Kollektion. Der Spanier Jorge Peris schraubt, bohrt und windet sich durch das Gemäuer. Ein Kompressor dröhnt, Sandstrahler fressen an den Wänden, die Kunst zehrt sich selbst auf. Bei dem lärmenden Baustellenspaß winkt die Vergänglichkeit allerdings mit dem Balken. In Mailand hat Mariano Pichler das Gelände einer ehemaligen Fabrik für Espressomaschinen in eine der ersten Adressen für zeitgenössische Kunst verwandelt. In Berlin besteht Micamoca noch als Ruine, Platz für geistige Beweglichkeit und Experimentierfreude. An diesem unfertigen Ort genießen die fünf Galerien auf dem Sprung diesen Moment der Schwerelosigkeit. Simone Reber

Micamoca, Lindower Straße 22; bis 17. Oktober, Do–So 14–19 Uhr.

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