zum Hauptinhalt

Kultur: Austeilen und herrschen

Frauen an der Macht: Von weinenden Witwen, eisernen Ladys und wackeren Mädchen

Von Caroline Fetscher

Angela Merkel soll es werden. Sie soll, das will ihre Partei, im Herbst in den Betonklotz an der Spree einziehen, das Kanzleramt. Entworfen noch in der Ära ihres politischen Ziehvaters Kohl im Stil eines Ölministeriums in einem Golfscheichtum, soll der Machtbau der Männer nun den Einzug einer Frau erleben. Einst, noch im Kokon ihrer Karriere, sang sie als junge Pionierin in Kinderuniform artig die DDR-Hymne. Jetzt wird sie womöglich die erste deutsche Kanzlerin. Das Mädchen und die Macht. Kein Märchen mehr.

„Ob eine Person für einen Job geeignet ist, oder nicht, sollte nicht davon abhängen, wie ihre Chromosome aussehen“, hatte Bella Abzug, US-Politikerin und bekennende Frauenrechtlerin, einmal gesagt. Aber Frauen und politische Macht, dieses Spiel läuft immer noch nach eigenen und eigenartigen Regeln ab. Am Namen Bella Abzug blieb stets etwas vom Flair einer amüsanten Querulantin haften. Als lärmende Preisboxerin, Männerhasserin, enervierende Mutter Courage hat man sie bezeichnet. Hätte sie doch lieber über Rugby gesprochen. Oder über die Börse. Aber sie sprach gern und viel über „Frauenthemen“. Desaster. Sogar in den progressiven USA reden sich Politikerinnen, die ihre Existenz als weibliches Wesen erwähnen, mitunter um Kopf und Kragen. Wo Frauen über ungleiche Chancen dozieren und die Diskriminierung zwischen den Geschlechtern beklagen, mindern sie ihren Ruf und ihre Chancen darauf, Macht zu erwerben.

Frauen, die das Offensichtliche, wiewohl kollektiv Beschwiegene benennen, machen jene aggressiv, die im Status quo ihren Rückhalt sehen. Das sind viele, vor allem Männer. Das Offensichtliche, hier ist’s Tabu. Ausblenden müssen Politiker die bedrohliche Selbstreflexion ohnehin. Dazu gehört auch der konstante Verzicht der Frau auf Signale der Selbstironie. Würde sich Amerikas amtierende, nach Madeleine Albright zweite Außenministerin Condoleezza Rice Blödeleien leisten, wie Bush sie jetzt gelegentlich versucht, die Komik wäre weg. Im All der Emotionen muss das Raumschiff der Politikerin an diesen Planeten vorbeisteuern, ernsthaft, kühl, freundlich lächelnd, ohne Triumph, ohne Arroganz, unbeirrbar, nie irritiert, nahezu gepanzert, und dennoch weiblich wirkend, ohne Weiblichkeit etwa erotisch auszuspielen.

Die Macht der femme fatale Cleopatra ist ein antiker Mythos. Gleichzeitig soll die Machtpolitikerin aber auch nicht den Mann spielen, sondern implizit eine Selbstverständlichkeit unterstellen, die nicht existiert: Die Mächtigsten vergessen das Thema am besten gänzlich. Weder Margaret Thatcher noch Indira Gandhi oder Corazon Aquino gehen als Feministinnen in die Geschichte ein, sondern als machtbewusste, brachiale, pragmatische Politikerinnen. Menschen, denen in einer Mischung aus Hochachtung und Widerwillen Epitheta wie „Iron Lady“ zuerkannt wurden.

Wie kommt die Frau überhaupt zur Macht, und wo? Die Dritte Welt war hier die erste. Sirimavo Bandaranaike wurde 1960 in Ceylon die weltweit erste Premierministerin. Ihre Amtsübernahme ist beispielhaft für den dynastischen Typ der Töchter oder Ehefrauen eines Herrschers, die mangels Kronprinzen zum Zuge kommen. Ihr Gegenpol ist der authentische Machttypus. Referenzpunkt des dynastischen Typus ist der Mann, der verstorbene Vater oder Ehemann, dessen Erbe die Frauen verkörpern. Bei beiden Typen, dem dynastischen wie dem authentischen, ist die konservative Variante die häufigere, als sei es schon radikal genug, dass eine Frau überhaupt nach oben gerät. Dort angelangt, schützt sie sich vor möglichen Angriffen nicht allein durch Aussparen des Tabuthemas „Frau“, sondern auch durch eine dezidiert traditionsbewusste Haltung.

Bandaranaike, eine Aristokratin, beerbte im Juli 1960 ihren ermordeten Mann Solomon Bandaranaike im Amt. Ihr Spitzname war „weeping widow“, die weinende Witwe. Den Tränen zum Trotz regierte sie Sri Lanka mehrere Legislaturperioden lang, bis ihr notorischer Machtmissbrauch und die brutale Unterdrückung der Tamilen ihre Karriere, gelinde gesagt, überschatteten. Zur Phalanx der dynastischen Premierministerinnen gehören weitere ostasiatische, etwa Indira Gandhi, Tochter des ersten indischen Staatschefs Jawaharlal Nehru, mit deren Namen die blutige Unterdrückung der Sikhs in Indien verknüpft ist. 1984 fiel sie deren Attentat zum Opfer. Corazon Aquino, „Person of the Year“ des „Time Magazine“ 2001, war die Witwe des Oppositionschefs Benigno Aquino Jr., als sie 1986 an die Macht kam. Fortschritt und Korruption gelten als ihre ambivalente Hinterlassenschaft. Auch Sonia Gandhi, Cambridge-Absolventin und Witwe des ermordeten indischen Premiers Rajiv Gandhi reiht sich hier ein, ebenso die pakistanische Oxford- und Harvard-Absolventin Benazir Bhutto, Tochter des Ex-Staatschefs Zulfikar Ali Bhutto und berüchtigt wegen ihres Nepotismus wie wegen der wenig frauenfreundlichen Gesetzgebung. 1999 flüchtete sie ins Ausland.

Weit weniger bekannt ist die Karriere der Begum Khaleda Zia, Ehefrau des einstigen Militärherrschers Ziaur Rahman in Bangladesch, wo sie im Februar 1991 gewählt wurde. Ganz ohne Oxbridge oder Ivy League wurde die Politikerin ein Segen für ihr Land, führte die Schulpflicht für Mädchen ebenso ein wie den Parlamentarismus und eine liberale Ökonomie, während sie die Inflationsrate senkte und die Wachstumsquote steigerte. Wer im Westen kennt ihren Namen? Sie passt nicht ins Muster der Macht-Damen, die im Echoraum eines Manns agieren.

Begum Khaleda Zia mauserte sich von der dynastischen zur authentischen Premierministerin, wie es sie sonst allein in den westlich geprägten Demokratien mit langer Tradition gibt, in skandinavischen Staaten, Neuseeland oder Irland. Authentische Premierministerinnen: Zu dieser Kategorie gehören auch Golda Meir in Israel und Margaret Thatcher in Großbritannien, die erste Kabinettschefin in Europa, oder Edith Cresson – ein Jahr lang – in Frankreich 1991 bis 1992. Auch in den Demokratien gelten für Frauen an der Macht andere Maßstäbe.

„Wo Beckmann bei Schröder politisiert, psychologisiert er bei Merkel“, schreibt die Zeitschrift „Emma“ über eine Talkshow mit der Kandidatin. „Emma“ zitiert Beckmann: „Sind Sie wirklich hochbegabt oder bloß eine kleine Streberin?“ Von der Unverschämtheit der Frage schienen nur wenige Zuschauer überrascht. Kein Aufschrei, keine Kommentare, es war eben die typische Frage eines Mannes an eine Frau. Jetzt wird „das Mädchen“ Kanzlerkandidatin, und steigt im Namen der CDU die höchste Stufe zur Chefin hinauf, als hätte sich in ihr auf eigenartige Weise ein Stück westlich gewandelten DDR-Erbes in neuer Gestalt manifestiert.

Was wird diese CDU für die Frauen tun? Mit weiteren Ost-Reliquien und sozialistisch anmutenden Reformen wird Angela Merkels Truppe schwerlich aufwarten. Was etwa in Frankreich mit seinen Kinderkrippen unter Regierungen jeder Couleur alltäglich ist, rief bei CDU-Parteigängern Kopfschütteln bisher hervor. Wer für die Ganztagsbetreuung von Kleinkindern eintrat, an dem klebte das Etikett „Kommunist“, wie es etwa Rita Süssmuth zeitweise erging. Seit der Ära des Mutterkreuzes ist die deutsche Bewegung zur Gleichberechtigung von Frauen, trotz Alice Schwarzer und Genossinnen, nur zögerlich wieder auf die Füße gekommen. Als das Tausendjährige Reich nach einem Dutzend Jahren zerbarst, mühten sich die alliierten Befreier mit Reeducation-Maßnahmen, den Deutschen im Westen vor Augen zu halten, dass Frauen mehr können, dürfen und sollen, als Schürzen tragen und Lippen schürzen. Im Osten saßen die Frauen bald auf Traktoren, lernten Ingenieurswissenschaften, oder studierten, wie Angela Merkel, Physik. Trotzdem setzten sich die meist gerontokratischen Machteliten des Ostblocks ebenso aus „Krawattengruppen“ (Rita Süssmuth) zusammen wie im Westen.

„Frauen tragen die Hälfte des Himmels“, sagte Mao Tse-tung. Ergo, so forderte Bundeskanzler Schröder schließlich zum Thema „Gedöns“, müsse ihnen auch die Hälfte der Erde gehören. Globaler Wettbewerb, Sicherung des Bruttosozialprodukts, da könne es sich unsere Gesellschaft nicht leisten, auf die Talente der Frauen zu verzichten. Norwegens 1981 gewählte erste Ministerpräsidentin, Gro Harlem Brundtland – auch sie übrigens Harvard-Studentin – hat schon vor langer Zeit erklärt: „Der Mythos, dass Männer die Familie unterhalten, während den Frauen vor allem mütterliche Fürsorge der Familie obliegt, ist inzwischen gründlich widerlegt. Ohnehin war dieses Familienmuster nie die Norm, außer auf dem engen Feld der Mittelklasse.“ Welche Reformen, welche politische Kultur auch immer auf uns zukommt, wenn Angela Merkel gewählt wird, ist eines sicher: Eine Bundeskanzlerin bietet ein anderes, neues Rollenmodell für Mädchen und Frauen. Ob die CDU das anstrebt oder nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false