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Kultur: Austicken in Veronaville

Ein Leben für „Sims“ und „SimCity“: Erfahrungen mit Pixel-Kreaturen im digitalen Haushalt

Ich bin digital. Mir ist langweilig. Ich bin schwanger. So offen sprachen die Pixelviecher in „SimLife“ schon 1992 zu ihren spielenden Schöpfern. Die „SimLife“-Entwickler von Maxis gelten seit ihrem ersten Simulationsspiel „SimCity“ von 1989 als Genre-Pioniere. Was mit Städten und Ameisen begann, erfasste mit den „Sims“ auch das menschliche Treiben und wurde mit über 54 Millionen verkauften Kopien zu einem der erfolgreichsten PC-Spiele aller Zeiten. Nun feiert die Sims-Reihe ihren fünften Geburtstag. Doch was wird hier eigentlich simuliert?

Lassen sich durchzockte Nächte mit „SimCity 4“ noch rechtfertigen mit der Freude daran, Städte zu bauen und zu regieren, führen die Sims schnell zu Erklärungsnot. Denn bei ihnen geht es um Alltag pur, um Kochen, Windelnwechseln und Tellerwaschen. Von Partys und Seitensprüngen sagt man besser nichts. Statt reale Freunde einzuladen oder mal die Wohnung aufzuräumen, wird am PC geklickt, geflirtet und gebügelt. Sehnen sich Sims-Spieler nach einer Normalität, die ihnen abhanden gekommen ist? Oder nach mehr?

Verglichen mit „Sims 2“, der aktuellen, erfolgreichsten Ausgabe des Spiels, waren die Anfänge bescheiden. Den ersten Sims von 2000 ging es vor allem um die Sicherung von Grundbedürfnissen: Nahrung, Schlaf, Wärme, Hygiene. Zuviel Persönlichkeit und freier Wille schadete nur, ließ die Sims jeden Befehl verweigern und ungnädig scheitern. Da stehen die „Sims 2“ schon weiter oben auf der Bedürfnispyramide und verlangen nach Anerkennung und Aufmerksamkeit. Sims-Schöpfer Will Wright spricht sogar von Bewusstsein. Ihre Programmierung ist beeindruckend komplex, dennoch zeigen die Sims kaum mehr Bewusstsein als ein Tamagotchi.

Die Sims der zweiten Generation sind nicht nur bei der Lebensplanung flexibler, auch ihr Aussehen kann individueller gestaltet werden, inklusive Frisur, Unterhemd, Alter und Familienbeziehungen, bis hin zum eigenen Doppelgänger. Mit der Laufbahn seines Sims wählt man das persönliche Lebensziel: Romantik, Wissen, Familie, Ruhm oder Ruf. Bei den Sims ist alles überschaubar geregelt. Wohnwelten halten, was ihre Namen versprechen (Schönsichtingen, Merkwürdighausen und Veronaville), Diebe arbeiten von 11 bis 17 Uhr, Hochstapler von 9 bis 15 Uhr. Zwar gilt weiter das Arbeit-ist-alles und Häusle-baue-Prinzip, mittlerweile jedoch dürfen die Sims sogar von Außerirdischen träumen oder Romane schreiben. Der Spieler kann seine Sims wie mit der Kamera beobachten, heran- und wegzoomen, und über eine Steuerungsleiste oder Sprechblasen erfahren, was sie brauchen. Und ihre Wünsche erfüllen: Ist der Sim froh, freut sich sein Mensch. Haben zwei Sims das Ziel „Familie“, lassen sie sich verkuppeln und per Mausklick zum Küssen verführen, bis die Option „Baby machen“ erscheint.

Das Spiel mendelt übrigens genetisch korrekt und vererbt Alien-Gene dominant. Nach der nicht steuerbaren Babyphase wächst ein Sim heran zum Kleinkind, dann zum Kind, Teenager, Erwachsenen und so genannten „Knacker“. Dass die Sims anders als in der ersten Version altern und sterben können, war so umstritten, dass ein Trick zum Erreichen der ewigen Jugend gleich mit ins Handbuch kam. Alternativ dazu lässt der Sensenmann aber auch mit sich knobeln. Oder man kauft den Heiligen Gral.

Trotz der spürbaren Selbstironie offenbart der durchökonomisierte Alltag der Sims auch eine dunklere Seite. Sie zeigt, wie leicht so ein Spiel als Weltanschauungsunterricht missbraucht werden kann. Zumal die Welt der Sims bestimmt wird von den bekannten bürgerlichen Werten, mit oder ohne Aliens als Nachbarn. Da sind Ansehen und Zufriedenheit eng gekoppelt an Statussymbole, Familienglück oder den beruflichen Aufstieg. Zur Erfüllung eines Traums braucht es oft nur die richtigen Möbel.

Nicht von ungefähr ähnelt das aktuelle „Big Brother“-Dorf in Design und Spielaufbau den Sims, denn dort soll ebenfalls das Leben simuliert werden. Doch die Unterschiede liegen nicht nur darin, dass der Menschenzoo bei den Sims rein digital ist, sondern auch in der Position des Spielers, der bei den Sims selbst die Kontrolle hat, Regisseur oder Gott sein darf, und nicht bloß Schauspieler oder Statist.

Das Spektrum der Sims-Spieler umfasst sehr unterschiedliche Typen. Da gibt es zum Beispiel den Grenz- oder Schattenspieler: die Mutter, die einmal gefahrlos über die Stränge schlagen und ein anderes Leben ausprobieren will, als Ehebrecherin, Raubmörderin oder Faulenzerin. Dann gibt es den Weltfremden, den beziehungsgestörten Einsiedler. Und es gibt die Unsicheren, die sich fragen, wie das wohl wäre, mit dem Freund zusammenzuleben oder ein Kind zu haben. Erstmal nur schnuppern, sagen sie sich, am Glaskasten gucken. Aber das Spiel verführt auch zu reizvollen mikrosoziologischen und teilweise sadistischen Experimenten. Leben im Härtetest. Mal so richtig böse sein, ohne Konsequenzen.

Der Frauenanteil unter den Sims-Spielern ist hoch. Das scheint nicht nur daran zu liegen, dass das Spiel auf First-Person-Shooter-Traditionen und Gewalt verzichtet und auf Kreativität setzt. Eine Studie zeigt, dass es besonders Frauen Spaß macht, sich einmal so richtig daneben zu benehmen. Die Spielerinnen sind oft verblüfft über die Erfolge, die sie mit nur etwas mehr Egozentrik erreichen.

Simulationsspiele wie die „Sims“ leben noch von einer ganz anderen Gruppe von Spielern. Diese sind Teil einer hochaktiven Community, die sich Hacks und Programm-Erweiterungen selber herstellen und im Netz tauschen. Diese Bastler erweitern und verändern das Spiel auf der Code-Ebene. Die erste Generation der Sims hatte eine zu hohe künstliche Intelligenz, sie kam zu gut alleine klar. Deshalb wurden nachträglich Störungen eingebaut, damit sich der Spieler gebraucht fühlte. Doch obwohl die Sims ein „God Game“ sind, ist der Spieler nicht allmächtig. Die Figuren sind nur Bausteine, und eher Seifenopern-Charaktere als Romanfiguren von Jane Austen.

Waren die ersten Sims noch so simpel gestrickt, dass sie ironische Abwehrreflexe provozierten, haben wir mit den „Sims 2“ nun das Nachfolgemodell: spannender, komplexer, verführerischer, dabei fehleranfällig und unvollkommen genug, um so charmant zu menscheln wie die kleine Nervensäge in Steven Spielbergs Film „AI“. Wir sollten dennoch auf der Hut sein. Uns nicht blenden lassen von unserer Sehnsucht nach Selbstähnlichkeit. Nicht wenige Sims, die als Kopien ihrer Schöpfer geschaffen wurden, endeten sofort am Herd – verbrannt zu einem Haufen digitaler Asche.

Die Autorin, Jahrgang 1970, lebt in Köln und hat im Eichborn Verlag den Roman „Der Kahuna Modus“ veröffentlicht – dazu ein selbst entwickeltes Computerspiel (www.kahunamodus.de).

Nika Bertram

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