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Große Gefühle. Die Wiener Band Wanda.

© Flo Senekowitsch/Wolfgang Seehofer

Austropop: Rock mich Amadeus

Der spannendste deutschsprachige Pop kommt derzeit aus Österreich – Indie-Bands wie Bilderbuch und Wanda haben längst auch hierzulande Erfolg.

Mit Bilderbuch hat alles begonnen, damals im Herbst 2013. Eine Band, die man vom Namen her kennt – die Gruppe veröffentlichte bereits zwei Alben, die von der Popkritik ohne allzu großes Interesse durchgewunken wurden – hat plötzlich einen Hit. Einen, der „viral geht“, wie man im Internetneudeutsch sagt.

Im Videoclip zu „Maschin“ sieht man einen jungen Mann mit wasserstoffblonden Haaren in einem gelben Lamborghini fläzen. Viel mehr passiert nicht, einmal verändert der junge Mann die Einstellung des Sitzes und lässt im Takt der Musik das Fenster hochfahren. Der zugehörige Song ist zeitgemäßer Poprock, der nach Disco klingt, aber auch nach Prince. Er atmet ein 90er-Jahre-Hip-Hop-Gefühl und bleibt nach einmaligem Hören im Ohr. Ein zweites Video macht die Runde. „Plansch“ ist ein Sommersong. Nur findet der Sommer hier nah am Wahnsinn statt. Trotz Arschbomben in den Swimmingpool erscheint er träge, vielleicht sogar gefährlich, ein bisschen so wie der Sommer in Ulrich Seidls Film „Hundstage“. Es folgt ein weiterer Clip zu einem Stück namens „OM“, in dem alles erleuchtet scheint.

Heute, ein paar Monate später, sind die 2008 aus Oberösterreich nach Wien gezogenen Bilderbuch eine große Nummer, auch in Deutschland. Ihr Konzert im Astra Kulturhaus im März ist längst ausverkauft und nächste Woche erscheint das Album „Schick Schock“. Es ist eine sehr gute Platte geworden. Sie klingt ein wenig so, als wäre Kanye West bei der österreichischen Pop-Legende Erste Allgemeine Verunsicherung eingestiegen oder als hätte Falco einen Gastauftritt bei Daft Punk. Manchmal, wenn Maurice Ernst, der Blonde aus dem Lamborghini, vom Meer und vom Strand singt, denkt man an die Austropop-Sehnsuchtslieder aus der Kindheit, die immer im Radio liefen, während sich halb Westdeutschland über die Brenner-Autobahn hinunter Richtung Adria schob: Rainhard Fendrichs „Strada del Sole“ etwa, Peter Cornelius’ „Reif für die Insel“ oder eben „An der Copacabana“ von der EAV.

Bilderbuch knüpfen Verbindungen in die Vergangenheit

Es ist interessant, dass das wieder funktioniert. Dass jene Musik, die vermutlich auch in Österreich drei Dekaden lang als muffig wahrgenommen wurde, wieder als Referenzgröße anerkannt wird. Es schwärmt noch keiner von alten Fendrich-Alben, aber gänzlich auszuschließen ist selbst das nicht mehr. Denn Bilderbuch sind nicht die einzigen, bei denen sich eine Verbindung in die Vergangenheit knüpfen lässt.

Die Wiener Band Wanda spielte vergangene Woche im Berliner Badehaus Szimpla drei ausverkaufte Konzerte am Stück. Die Luft brannte an allen drei Abenden, die Gruppe musste stets nach der eigentlichen Zugabe ein zweites Mal ihre Hits spielen, das Publikum ließ sie schlichtweg nicht von der Bühne. Alles ging rasend schnell bei Wanda: Der erste Song des Quintetts wurde im vergangenen Frühjahr bei Youtube hochgeladen. Das Debüt „Amore“ erschien im vergangenen Herbst, seitdem wächst das Interesse an der Band wöchentlich. Nun hat sich das Album erstmals auch in den deutschen Charts platzieren können, bald spielt die Band Konzerte mit Kraftklub.

Die Musik ist wie bei Bilderbuch ein Hybrid aus Tradition und Gegenwart: Bei Wanda muss man an Wolfgang Ambros, an Georg Danzer, an Falco und an italienische Rockmusik der siebziger und achtziger Jahre denken, aber nicht nur. In den Texten geht es zwar mit schöner Regelmäßigkeit um den Tod, der hier wie einst bei Georg Kreisler ein Wiener sein muss. Das Morbide wird von punktgenauem Gitarrenrock in die Gegenwart getragen. Lieder wie „Schick mir die Post“ oder „Auseinandergehen ist schwer“ dürften auch all jenen gefallen, die eigentlich The Libertines oder Oasis mögen. Gleiches gilt für ihren wohl besten Song „Bologna“, in dessen Refrain Marco Michael Wanda so wunderbar gepresst schmachtsingt: „Tante Ceccarelli hat in Bologna Amore gemacht/Amore, meine Stadt“.

Vieles wirkt fantastischer und doppelbödiger als im deutschen Pop

Junge Dynamiker. Bilderbuch mit Sänger Maurice Ernst (vorn).
Junge Dynamiker. Bilderbuch mit Sänger Maurice Ernst (vorn).

© Christoph Pöll

Im Vergleich zu den Protagonisten des deutschen Pop-Mainstreams besitzen Bilderbuch und Wanda ein gehöriges Maß an Inszenierungslust. Beide sehen keinen Widerspruch darin, gleichzeitig authentisch zu wirken und schillernde Welten aufzubauen, die mit dieser Authentizität nichts zu tun haben. Musikvideos spielen dabei eine große Rolle: Bilderbuch-Clips sind bunt und eskapistisch. Bei Wanda taucht man ein in eine stringent inszenierte Welt hedonistischer Vintage-Mittzwanziger. Attraktive Menschen rauchen und trinken. Aber dazwischen passiert so viel, dass man sich als Zaungast einer Party wähnt, die auf ein Kommando hin Richtung zarter Wahnsinn kippt: Im Video zu „Auseinandergehen ist schwer“ verwandelt sich der Pianist in einen Zombie. Bei „Schick mir die Post“ läuft mehrfach der Tod durch das Bild. Und: In jedem der kleinen Wanda-Filme taucht ein Apfel auf, wie in einer Zahnpastawerbung. Warum eigentlich? Die Band würde vermutlich entgegnen: Nun, warum denn nicht?

Wer ein bisschen wühlt in der Pop-Geschichte Österreichs, der wird Hinweise darauf finden, dass dort die Prioritäten schon immer anders gesetzt wurden als in Deutschland. Vieles wirkt eine Spur fantastischer und vor allem doppelbödiger. Beispiele finden sich quer durch die Dekaden. 1977 etwa nahmen die Schmetterlinge um Willi Resetarits, der später als Ostbahn Kurti bekannt werden sollte, mit der vergifteten Revue-Nummer „Boom Boom Boomerang“ am Grand Prix Eurovision de la Chanson teil, nur ein Jahr nach der Uraufführung ihres sozialistischen Oratoriums „Proletenpassion“. Vom Resultat einer Conchita Wurst, die den Wettbewerb letztes Jahr gewann und deren Arrangements übrigens von Wanda-Produzent Paul Wallister stammen, konnten sie damals nur träumen – sie wurden vorletzte.

Wanda sind vier Mal für das österreichische "Echo"-Pendant nominiert

Elf Jahre später hatten Edelweiss großen Erfolg mit dem Dancefloor-Song „Bring Me Edelweiss“. Der Zug an die Chartspitzen Europas – sogar in Großbritannien erreichte der Song die Top 10 – war von dem Trio generalstabsmäßig geplant, als Vorlage diente das einige Monate zuvor veröffentlichte Manifest „The Manual – How To Make A Number One Hit“ der britischen Band The KLF. In den Nullerjahren übersetzte die Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune aus dem Umfeld des Radiosenders FM4 Indie-Hits in so eine Art Thomas-Bernhard-Weltenhass, und der sonst in der sehr guten Band Kreisky beschäftigte Franz Adrian Wenzl begeisterte als alpiner Queen-Wiederkommer Austrofred.

Wanda dürften bald absahnen. Beim „Amadeus Award“, dem österreichischen Pendant zum „Echo“, sind sie gleich vier Mal nominiert. Ihr stärkster Konkurrent ist einer, der viel von dem, was Wanda mitbringen, als Behauptung im Gepäck trägt: Der aus Graz stammende Andreas Gabalier verkaufte bisher über 700 000 Tonträger, spielte schon in der Berliner Waldbühne und stilisiert sich gerne als wilder Hund, als Lederhosen-Rebell, als Volks-Rock’n’Roller, was natürlich totaler Blödsinn ist. Er spielt Schlagermusik, bei der die Verstärker etwas weiter aufgedreht werden als sonst in diesem Genre. Letztlich bewegt er sich in einer Ahnenreihe mit Bands wie den Zillertaler Schürzenjägern. Den revolutionären Gestus, den man mit Rock’n’Roll verbindet, die Lust am Exzess, am Grenzenniederreißen, also all das, was sich bei Wanda und Bilderbuch findet, sucht man bei ihm vergeblich. Dafür gibt es Machogehabe und Volkstümelei.

Empfehlenswert ist dagegen die Musik eines anderen Einzelinterpreten: Der Wiener Ernst Molden, ein wunderbar verwegen wirkender Bohemien mit Charaktergesicht und voller Mähne. Er veröffentlicht seit Jahren dunkelgraue Lieder aus der Donaustadt, mal eigene, mal altbekannte, mal aus dem Englischen übertragene. Sein neues Werk erscheint im Frühjahr und ist gemeinsam mit dem Songwriter Der Nino aus Wien entstanden, der sich mit Wanda das Label teilt. Es heißt „Unser Österreich“, wie eine Sendung des ORF, wirkt aber keinesfalls öffentlich-rechtlich. Angenehm unruhig covern sich die beiden durch das Werk großer Austropop-Kollegen wie Ludwig Hirsch oder Falco. Im Wiener Stadtmagazin „Falter“ stellte Molden vor einigen Jahren eine interessante These auf: Für Pop, so sagte er, sei die „singendere und silbensparendere Wiener Sprache tausendmal geeigneter als das Hochdeutsche.“ Vieles spricht dafür, dass Ernst Molden Recht hat.

Wanda: „ Amore“ erscheint bei Problembär Records/Rough Trade. Bilderbuch: „Schick Schock“ am 27.2. bei Virgin Records/Universal Music. Ernst Molden & Der Nino aus Wien „Unser Österreich“ am 13.3. bei Monkey/Rough Trade

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