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Ausverkauf von Kunst in NRW: Das große Kunstsammelsurium

Mäzene und Messis: Wie der Staat sein Bildertafelsilber verschleudert – und warum dem Bewahren Grenzen gesetzt sind.

Wenn im kommenden Frühjahr 50 Werke aus der Sammlung des Westdeutschen Rundfunks bei Sotheby’s in London versteigert werden, dann geht erneut ein Aufschrei durchs Land. Der WDR verkauft sein Tafelsilber, wird es wieder heißen. Man könnte auch sagen, er entsammelt, was durchaus vernünftig sein kann. Platz schaffen, Klarheit gewinnen, die Perspektive ändern – all dies verbindet sich positiv mit einer solchen Richtungsänderung. Doch die Kölner Sendeanstalt verfolgt keine neue Strategie, sie will schlicht an das Geld und die besten Stücke ihrer rund 600 Objekte zählenden Kollektion verticken, von denen ein nennenswerter Ertrag zu erwarten ist – etwa die Expressionisten aus den Chefetagen. Sie wurden in den 1950er Jahren erworben, nicht zuletzt um einen Neuanfang zu signalisieren, eine Wiedergutmachung an den einst als „entartet“ gebrandmarkten Künstlern. So sieht also die neue Perspektive aus: Geschichtsvergessenheit und straffe Durchökonomisierung.

Die auf drei Millionen Euro taxierte Sammlung wird dem Sender mit seinen 90 Millionen Schulden allerdings kaum aus der finanziellen Misere helfen. Der überheizte Kunstmarkt bringt zwar schnelles Geld, doch reicht es nie. Der Image-Schaden fällt weit größer aus. Das hat sich bereits bei der Versteigerung der beiden Warhols aus dem Aachener Casino erwiesen. Noch vor dem eigentlichen Termin hat sich das Land Nordrhein-Westfalen 80 Millionen Euro gutgeschrieben. Exakt diese Summe war von Christie’s vertraglich garantiert. Für 121 Millionen Euro kamen Warhols „Triple-Elvis“ und „Four Marlon“ im November 2014 in New York schließlich tatsächlich unter den Hammer. Die Mehreinnahmen gingen an die landeseigene Casino-Gesellschaft zur Sanierung ihrer Spielbanken, dem ursprünglich angekündigten Zweck des Verkaufs.

Was einst Identität stiftete, ist plötzlich bloßer Luxus

Und weil man in NRW in Übung ist, steht seit Jahresanfang die nächste Hökerei auf dem Plan: diesmal die Sammlung der WestLB, die seit ihrer Zerschlagung in die Portigon AG eingegangen ist. Einst half die Landesbank den klammen Museen, etwa der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, beim Erwerb neuer Kunst. Ein schöner Deal in guten Zeiten, denn das Land stärkte damit sein kulturpolitisches Profil, ein schlimmes Spiel in schlechten Zeiten.

NRW praktiziert nun genau das, was privaten Sammlern jahrelang zum Vorwurf gemacht worden ist: nur so lange kulturaffin zu sein, wie die Kasse stimmt und dann die Schätze zu versilbern. Kulturstaatsministerin Monika Grütters aber sprach hier ein Donnerwort. Um schlimmsten Schaden abzuwenden, wird die Kollektion der WestLB nun in eine landeseigene Stiftung überführt, die der Düsseldorfer Kunstsammlung angegliedert wird. Allerdings kostet das erneut. Was der Steuerzahler Jahre zuvor bereits erwarb, muss er nun zum zweiten Mal bezahlen, damit die Bilder an den Wänden öffentlicher Gebäude hängen bleiben.

Die leichtfertigen Verkäufe, zumindest die ungezügelten Gelüste hierzu, deuten auf ein dramatisches Defizit in der politischen Kultur. In Zeiten der Krise verschieben sich eben die Maßstäbe: vom Sammeln zum Entsammeln. Was zuvor noch als identitätsstiftend galt, wird zum verzichtbaren Luxus. Das schockiert, wird hier doch leichtfertig ein Generationenvertrag aufgekündigt. Aus gutem Grund sind die öffentlichen Sammlungen tabu. Oder sollte man es vielleicht doch lockerer nehmen – schließlich quellen die Depots über, und so viel Kunst kann sowieso keiner sehen? Der Deutsche Künstlerbund hat jetzt – ein kühner Vorstoß – zu einem Symposium mit dem provozierenden Titel „Sammeln, Ent-Sammeln“ eingeladen, auf dem die Düsseldorfer Künstlerin Andrea Knobloch, zugleich im Vorstand der Vereinigung, ihren ausgezeichneten Vortrag über die Zustände in NRW hielt.

Sammeln oder "entsammeln"?

Denn auch Künstler kennen das Problem. Für sie stellt das Sammeln tägliche Praxis dar. Maler, Bildhauer, Performer, Videokünstler, sie alle sammeln Fakten, Ideen, Eindrücke, aus denen sich dann im Atelier das Werk herausbildet. Zu den beliebtesten Fotomotiven in Kunstmagazinen gehört der Besuch im Atelier, wo sich all das materialisiert: der Künstler in seinem Gehäus mitten zwischen Zetteln, Zeichnungen, Computer, pittoresken Fundstücken. Hier wird die Suche nach dem Innersten, dem Kern der Dinge, der eigenen Idee von Welt konkret sichtbar. Darin steckt zugleich ein Fluch. „Der Berg an Material wird größer und größer. Wir horten Schätze, um uns zu ernähren, daran zu erfreuen, unserer Existenz zu vergewissern“, sagt der Potsdamer Maler Frank Michael Zeidler, zugleich Vorsitzender des Künstlerbunds.

Erwartungsgemäß schlägt er das Ungeheuerliche vor, den ursprünglichen Trieb umzukehren und fortan zu entsammeln, zumindest im Alter. Also verkaufen, verschenken, zerstören? Sentimentalität ist fehl am Platz. Der radikale Schritt erweist sich bei Künstlern als Überlebensstrategie für das Werk, Sortieren, Gruppieren, Komprimieren – all dies stellt die einzige Chance dar, Einfluss auf den späteren Umgang mit dem eigenen Nachlass zu nehmen. Künftige Generationen werden sich trotzdem ihren eigenen Reim auf das Sammelsurium machen.

Der Frankfurter Künstler Karsten Bott steht für das andere Extrem. Seit 1988 betreibt er sein „Archiv für Gegenwartsgeschichte“ und sammelt darin Gegenstände des täglichen Gebrauchs, von denen er glaubt, dass sie von den Museen und Archiven vernachlässigt werden: geknackte Fahrradschlösser, leere Milchtüten, Fleischklopfer, Haarwässerchen. Sein erklärtes Ziel ist ein netzartiges Abbild unserer Umwelt. In seiner Heimatstadt unterhält er ein riesiges Lager mit Tausenden von gefüllten Bananenkartons, die anderen Schauder über den Rücken jagen mögen, für Museen allerdings begehrtes Ausstellungsmaterial darstellen. Erst jüngst stellte Bott im Frankfurter Historischen Museum aus, die Mainzer Kunsthalle füllte er komplett mit einem regelrechten Meer an Dingen, über das der Besucher auf hölzernen Stegen schritt.

Grütters schreitet ein

Bott lebt den Wahn aus, den heute jeder zuhause im Kleinen täglich vor sich hat: die überbordende Menge an Utensilien, die gefüllten Schränke, Schubladen, Regalwände. Der durchschnittliche heutige Haushalt hortet 10 000 Dinge, so haben Statistiker herausgefunden; im 19. Jahrhundert waren es nur 1000. Damit müssen wir leben. Dieses Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, doch gilt auch hier der Rat, auszuwählen. Wenn etwas fehlt, so spürt man es nur am singulären Gegenstand, dessen Wert sich nicht unbedingt pekuniär bemisst. Genau hier läuft die Diskussion um den Verkauf aus den diversen Sammlungen Nordrhein-Westfalens schief. Vor allem geht es ums Geld, die schnelle Liquidierung. Die weitere Bedeutung spielt keine Rolle mehr.

Über ein halbes Jahrhundert ist es her, dass der WDR Kirchners „Berglandschaft mit Berghütten“ für 8000 Mark erwarb, vor knapp 20 Jahren wurde das Gemälde auf das Hundertfache in Euro geschätzt, heute dürfte es die Millionengrenze überschreiten. Der Preis weckt die Begehrlichkeit der Intendanz, schürt die Erregung beim Publikum. Was auf dem Gemälde tatsächlich zu sehen ist, interessiert kaum. Bei Sotheby’s wird es seinen großen Auftritt haben und dann auch schon wieder von der Bühne verschwinden, vielleicht auf Nimmerwiedersehen bei einem privaten Sammler. Doch auch hier ist Kulturstaatsministerin Grütters eingeschritten und hat in Aussicht gestellt, das Bild auf die Liste national wertvoller Kulturgüter zu setzen. Verkauft werden dürfte es dann trotzdem noch, nur nicht ins Ausland. Egal wohin, das Bild zieht weiter.

Die Galerie des Künstlerbunds zeigt zum Thema Sammeln eine Ausstellung mit Christophe Berhault, Bruno Jakob, Nana Petzet und dem Photomagazin Ohio (Markgrafenstr. 67, bis 19. Februar; Di bis Fr 14-18 Uhr). Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler veranstaltet am 12.12. mit der Akademie der Künste ein Symposiumzum Umgang mit Künstlernachlässen (www.anlass-nachlass.de).

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