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Schroff. Szene aus „Über meine Leiche“ aus Wien.

© Reinhard Werner/Promo

Autorentheatertage in Berlin: Hier die Raumforderung, dort die Reflexion

Nicolas Charaux inszeniert zum Auftakt Stefan Hornbachs Stück „Über meine Leiche“. Damit eröffnen die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin.

Kuschelmonster haben Konjunktur auf der Bühne. Vor allem bei Uraufführungen: Mindestens ein bedauernswerter Schauspieler schwitzt neuerdings immer unter einem Eisbären-, Katzen- oder Nagerkostüm. Wobei das haarige Jobprofil im Theater keinen Deut dankbarer ausfällt als im echten Leben. Meist stolpert der Kuschelgenosse einfach nur relativ sinnfrei übers Szenario und tritt den Kollegen beim putzigen Engtanz zu Achtziger-Jahre-Schnulzen auf die Füße.

In Nicolas Charaux’ Inszenierung von der Wiener Burg, die das Deutsche Theater Berlin zum Auftakt seiner diesjährigen Autorentheatertage zeigt, hat sich das zottelige Krallentier offenbar zu höheren Aufgaben qualifiziert. Unter seinem Fell schält sich alsbald eine Ärztin hervor, die eine ausgesprochen unputzige Diagnose stellt: Friedrich, der junge Mann vor ihr, hat Krebs im Endstadium.

Jurychefin Barbara Behrend beschwört die zeitlose Kraft des Theaters

Stefan Hornbachs Stück „Über meine Leiche“ ist einer der drei Texte, die die diesjährige Jury als „Herzstück“ der Autorentheatertage am Deutschen Theater ausgewählt hat. Die Chefin des Gremiums, die Journalistin und Theaterkritikerin Barbara Behrendt, traf aus den 175 Einsendungen zunächst eine 15 Stücke umfassende Vorauswahl. Über diese Shortlist wiederum beugten sich auch ihre Mitjuroren, die Schauspielerin Wiebke Puls und der Filmregisseur Dietrich Brüggemann, und wählten ihre Top drei. Der Preis besteht jeweils in einer Uraufführung: entweder, wie in Hornbachs Fall, am Burgtheater Wien oder am Schauspiel Zürich beziehungsweise am DT selbst. Bei den Autorentheatertagen sind nun alle drei Inszenierungen erstmals zu sehen, bevor sie an den jeweiligen Häusern ins Repertoire gehen: Hornbachs Krebsstück bereits jetzt zum Start, die anderen zum Festival-Finale übernächstes Wochenende.

Gewissermaßen vorauseilend nimmt Jurychefin Barbara Behrendt in ihrer Auftaktrede die Dreier-Auswahl gegen den potenziellen Vorwurf des Unpolitischen in Schutz. Gegen die grassierenden Aktualitätsschnellschüsse, die sie angesichts der Flüchtlingssituation überall beobachte und die selten über den Meldungscharakter der „Tagesthemen“ hinauskämen, beschwört sie die zeitlose Kraft des Theaters und betont dessen Stärke als „Reflexionsmedium“ statt als „Informationsmedium“. Womit nun auch das DT seine Saison mit jener Gretchenfrage beschließt, die die Bühnenbranche – zuletzt beim Berliner Theatertreffen – seit Monaten auf jedem Podium diskutiert: Wie hast du’s mit der Kunst? Oder machst du nur noch in tagesaktueller Sozialarbeit?

Auch ausgewählt: Jakobs Noltes "Gespräch über die Kürbisse"...

Ob die beiden anderen Stücke, für die sich die Jury neben Hornbachs „Über meine Leiche“ entschieden hat, den Kunstmaßstäben genügen, wird sich zum Festivalabschluss zeigen. In Jakob Noltes "Gespräch über die Kürbisse“ treffen sich zwei Freundinnen zum Kaffee und erörtern in einer immer grotesker werdenden Unterhaltung die Probleme der Welt. Und Dominik Buschs Stück „Das Gelübde" folgt einem Jungmediziner, der sich in einem abstürzenden Flugzeug schwört, im Überlebensfall für den Rest seines Daseins auf einer Krankenstation in Afrika zu arbeiten.

Bei der Auftaktinszenierung von der Wiener Burg ist in puncto Kunst jedenfalls noch Luft nach oben. Hornbachs Text stellt dem an Krebs erkrankten Friedrich in Jana eine betont schroffe und betont unkonventionelle Sparringspartnerin gegenüber, die zwischen Friedrichs Jugendliebe und seinem (Krankheits-)Alter Ego changiert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist Jana, man kennt das, nur Friedrichs krisenlösende Kopfgeburt.

...und Dominik Buschs Stück „Das Gelübde"

Regisseur Nicolas Charaux hat bei der Straffung des stolzen 66-Seiters zu einem überschaubaren 75-Minüter zwar dankenswerterweise einige Redundanzen gekürzt, erweist sich dafür aber im szenischen Auspendeln zwischen Tragik und Komik nicht hundertprozentig geschmackssicher und greift im Übrigen zum Nächstliegenden: Das Schauspielertrio Tino Hillebrand, Merlin Sandmeyer und Marie-Luise Stockinger teilt in Joggingklamotten und bei fließenden Rollenidentitäten den Text unter sich auf und wird aus dem Off wechselweise mit Tennisbällen, Riesenknäueln und anderen (bühnen-)raumgreifenden Requisiten beworfen, von denen wir inständig nicht hoffen, dass sie im direkten Zusammenhang mit Friedrichs Krankheitsbild und seiner Äußerung „Da fordert etwas Raum in mir“ stehen.

Flankiert werden die drei von der Jury auserkorenen Texte bei den zweiwöchigen Autorentheatertagen traditionsgemäß von elf Gastspielen zeitgenössischer Dramatik der aktuellen Saison. Darunter: Die jüngste Stuttgarter Fritz-Kater-Uraufführung „Searching for I:N:R:I“ mit Fritzi Haberlandt und André Jung, aber auch explizit tagespolitische Sujets wie Jan-Christoph Gockels Rechercheprojekt „Ramstein Airbase: Game of Thrones“ zur digitalen Kriegsführung aus Mainz oder Nuran David Calis’ „Glaubenskämpfer“ aus Köln: ein Abend, der sich mit Schauspielern und Experten auf „Religionssuche zwischen Kloster, Moschee und Synagoge“ begibt.

bis 25. Juni, Infos und Programm unter www.deutschestheater.de

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