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Schreierei. Owen Peter Read, Meik van Severen und Solvejg Schomers in „Szenen der Freiheit“ von Jan Friedrich.

© Arno Declair

Autorentheatertage in Berlin: Vollgas auf der Standspur

Lustiger Zank, leuchtende Erzählkraft: Die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin eröffnen höchst unterhaltsam mit einem Gefecht zwischen dem Schauspieler Ulrich Matthes und dem Kritiker Peter Michalzik - und mit Stücken über Paare und Fernfahrer.

Wenn die gesamte Gegenwartsdramatik so unterhaltsam wäre wie die Eröffnung der diesjährigen Autorentheatertage am Deutschen Theater, dann würden Shakespeare, Ibsen und Tschechow vermutlich schon bald von den Spielplänen verschwinden. Ein Dramolett von Bernhard’scher Qualität wurde da aufgeführt. Wohlgemerkt: noch bevor sich überhaupt der Vorhang gehoben hatte.

Der Theaterkritiker Peter Michalzik – Sprecher der Jury, die aus 207 eingesandten Stücken vier Texte für eine Uraufführung im Rahmen der Autorentheatertage auswählen durfte – nagelte in seiner Begrüßungsrede 17 Thesen ins Rangfoyer, die irgendein Unbehagen am Diskurs über zeitgenössische Dramatik formulieren sollten. Keine darunter, an der man sich hätte entzünden können, mehr die Kategorie: „Das Sprechtheater hat Probleme mit dem Sprechen.“ Aha. Hätte man abhaken können. Wäre darüber nicht seinem Jury-Kollegen Ulrich Matthes der Kragen geplatzt. Der kündigte den allgemeinen Gute-Miene-Konsens auf und schoss coram publico gegen dieses schlecht gelaunte Grundrauschen, wobei Vokabeln wie „Plattitüde“, „Binsenweisheit“ oder auch „Blablabla“ fielen. Das hatte die Qualität des legendären Disputs zwischen Rudi Völler und Waldemar Hartmann. Die Gegenwartsdramatik sprüht vor Konfliktpotenzial!

Statt eines Alleinjurors gibt es bei den Autorentheatertagen nun eine vierköpfige Jury

In diesem Jahr treten die von Ulrich Khuon erfundenen Autorentheatertage mit renoviertem Konzept an. Statt eines Alleinjurors hat ein vierköpfiges Auswahlgremium (dem noch Regisseurin Jorinde Dröse und Autorin Nino Haratischwili angehörten) nach neuen Stoffen geforstet. Die ausgewählten Stücke werden auch nicht mehr wie bislang in Werkstattinszenierungen gezeigt, um danach in der Versenkung zu verschwinden. Sondern in Kooperation mit dem Burgtheater Wien und dem Schauspielhaus Zürich zur Uraufführung gebracht und in den Spielplan übernommen. Ein konsequentes und begrüßenswertes Bekenntnis zum Autor und zur angenommenen Qualität. Zumal die beiden am Eröffnungsabend gezeigten Stücke auf ihre jeweils eigene Art eine Erzählkraft leuchten ließen, die in den Bann schlägt. Motivisch gemeinsam ist „Dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz und „Szenen der Freiheit“ von Jan Friedrich dabei der Wunsch nach Ausbruch aus der grauen Unverbindlichkeit der Gegenwart. Mal wieder was spüren, statt sich im Anything-goes-Modus aneinander vorbeizulavieren! Nur nebenbei: Dazu passte das Matthes-Michalzik-Gefecht inhaltlich bestens.

"Dosenfleisch": In dem Stück geht es um Fernfahrer, Crash-Spotting und eine Raststätten-Betreiberin

Ferdinand Schmalz, 1985 in Graz geboren, hat zuvor mit seinem Stück „Am Beispiel der Butter“ Furore gemacht. Ein fulminanter Abstieg in die speckverhangenen Seelengewölbe seiner Heimat war das, vorgetragen in kalauer- und wortspielseliger Kunstsprache. Daran knüpft der Autor mit „Dosenfleisch“ nahtlos an. Das Thema diesmal: Fernverkehr. Was in sämtlichen Facetten durchdekliniert wird, die der Begriff hergibt.

Schmalz versammelt an einer Elfriede-Jelinek-Gedenkraststätte ein Völkchen deformierter Transit-Menschen. Einen Lkw-Fahrer (Daniel Jesch), der wegen eines Unfalls ausgebremst wird, bei dem das titelgebende Dosenfleisch ins Spiel kommt. Den Versicherungsinspektor Rolf (Tino Hillebrand), der an der Panoramascheibe gebannt Crash-Spotting betreibt. Die Fernsehschauspielerin Jayne (Frida-Lovisa Hamann), die zu scharfsichtigen Analysen des Gefühlsstaus neigt („einen echten Verkehr, den gibt es nicht. Weil keiner mehr mit einem anderen wirklich verkehren will“). Und schließlich die Raststättenbesitzerin Beate (Dorothee Hartinger), die mit Jayne die Erkenntnisfreude teilt („am Ende sind wir alle Unfälle, mehr nicht“) sowie ein Hobby der splattermäßigen Sorte. Tiefkühlgänsehaut garantiert.

„Dosenfleisch“ folgt dabei der These von Paul Haggis’ Filmdrama „L. A. Crash“, wonach wir heute schon Blechschäden brauchen, um in Kontakt zu kommen. Ein toller Text. Schade nur, dass die Inszenierung von Carina Riedl, die ab Herbst am Burgtheater läuft, keine der Sprachfantasie angemessenen Bilder findet. Ihr (sehr gutes!) Ensemble wird eher zum Aufsagen hingestellt. Angetrieben allerdings von der großartigen Schlagzeugerin Katharina Ernst, deren Spiel der Motor dieser Vollgasfahrt auf dem emotionalen Standstreifen wird.

Die Autorentheatertage bestehen freilich nicht nur aus Uraufführungen. Sie bringen auch zwölf Gastspiele nach Berlin, die von der Bestverfassung der Gegenwartsdramatik künden sollen, um deren Zustand man sich, gerade angesichts ihres starken Auftritts beim diesjährigen Theatertreffen und bei den Mülheimer Stücken, sowieso wenig Sorgen gemacht hat. Den Trend zum geschärften politischen Bewusstsein, der seit Längerem zu beobachten ist, bildet auch Khuons Festival ab. Etwa mit vier Stücken zum NSU, darunter Elfriede Jelineks „Das schweigende Mädchen“ und Nuran David Calis’ „Die Lücke in der Keupertstraße“. Oder mit Arbeiten zum Umgang mit Geflüchteten, wozu Nicolas Stemanns „Labyrinth“ zählt – eine Produktion aus Amsterdam, die als Installation gezeigt werden muss, weil die Protagonisten nicht reisen dürfen.

Mittzwanziger in Berlin: Auch "Szenen der Freiheit" läuft bei den Autorentheatertagen

Das Private zieht gegenüber dem Politischen aber nicht notwendigerweise den Kürzeren. Was Jan Friedrich mit „Szenen der Freiheit“ beweist, uraufgeführt von Fabian Gerhardt. Sein Stück folgt fünf Mittzwanzigern in Berlin, die auf und unter einer großen Bettschaukel (Bühne: Susanne Hiller) ihre Sehnsucht nach Verbindlichkeit mit dem Mainstream-Imperativ der sexuellen Libertinage zusammenzubringen versuchen. Die Paarbeziehung, die Anni (Adrienne von Mangoldt) mit Pechvogel Bastian (Alexander Küsters) hat, scheitert ebenso wie das offene Modell von Josch (Meik van Severen) und Pascal (Owen Peter Read), bei dem auch der Hund mitmachen darf. Und Lore (Solvejg Schomers) findet auf SM-Suche nach authentischem Schmerz in der Tiefgarage auch kein Glück. Jan Friedrich, Jahrgang 92, legt ein erkennbar persönliches Stück vor, durch das der Geist des britischen In-yer-Face-Theaters weht (das seine Hochzeit hatte, als der Autor Grundschüler war). Hier traut sich einer, ungeschützt vom Wunsch nach Nähe zu erzählen. Auch das gehört zum Schreiben für die Gegenwart: sich angreifbar zu machen.

Deutsches Theater, bis 27. Juni, Programm unter www.deutschestheater.de

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